(XCV.)
Der gewisse Traum.

[342] Der Mensch hat bißweilen ein prophetische Einbildung / daß er erräht was war ist / ob es ihme gleich niemand / als seine Gedancken eröffnet. Also wurde auff einem Churfürsten Tag einem Gesandten wissend / was in gröster Geheime gehandelt und gehalten worden / daß die Räthe darüber in einen bösen Verdacht unter einander gerathen: als sie aber die Ordnung ihrer Geschäffte verändert / hat sich befunden / daß der Gesandte viel errahten / aber nichts gewisses gewust.

2. Vielmal komt solche Einbildung in den Traum / und[342] schreibt Cardan / daß er ein Diener gehabt / dem alles getraumet / was ihme begegnet / und als er ihme auf eine Zeit gesagt daß er einen bösen Traum gehabt / wie nemlich der Hencker neben ihme die Stiegen hinauf gegangen / hat er in ihn gesetzt / und ihn einen Diebstal bekennen machen / welches wegen er auch an den Galgen kommen / und neben dem Hencker die Leiter hinauf steigen müssen.

5. Salviat von adelichem Frantzösischem Geblüt / war ein kleiner Wais / nach seiner Eltern früezeitigem Tod / und verbliebe in Gewalt seiner Vormunder / biß zu seinen Vogtbahren Jahren. Als er nun zu dem Verstand kommen / welcher ihme Verwaltung seiner Güter einhändigen machen / hat er seine Schwester / so älter als er / zu sich genommen / ihr alle seine Geschäffte anvertrauet / und seine Einkunfften unter Handen gegeben.

4. Dieser Salviat wolte Welschland durchraisen / wie er auch gethan / und seiner Schwester die Verwaltung seines Haußwesens hinterlassen. Unter andern hatte er viel schönes und kostbares Silbergeschirr / das in seiner Behausung wol versperret war. Wie man nun in grossen Flüssen grosse Fische fängt; also gibt es auch in grossen Stätten grosse Dieb / wie wir vernehmen werden.

5. Etliche solche Nachtarbeiter sahen / daß in dem Hause nur Weibspersonen und ein kleiner Laquey / wüsten auch von einem Goldschmied / daß viel Silberwercke / so er vor Salviats ab raisen geschätzet / vorhanden / und machten einen Anschlag darauf / solcher Gestalt. Sie giengen bey Tag in das Hauß / besahen alle Gelegenheit / und hatten Spitzen und Leinwad zu verkauffen / damit sie sich bey Salviats Schwester aufzuhalten Ursach nahmen.

6. Bey Nachts steigen sie in das Hauß / und hatten alle ihre Angesichter geschwärtzet / bemächtigen sich der Jungfrau und ihrer Dienerin / sperren sie in eine Kammer / und drauen ihnen sie alsobald / wann sie schreyen würden zu erwürgen; massen sie einen unter ihnen mit einem Pistol für die Thüre stellen / und das schönste und beste von Gelt und Geltswehrt mit sich nahmen.[343]

7. Deß folgenden Tags / als alles still worden schrien sie zu den Fenstern hinauß / man solte ihnen zu Hülffe kommen / wie erfolget / und fande sich das Hauß geplündert / alle Kisten und Kästen geleeret / unnd möchte man noch Stumpf noch Stiel / wie man zu reden pflegt / von den Raubern vernehmen. Odoria schreibt es ihrem Bruder nach Rom / und meldet die Nacht / in welcher es geschehen / mit allen Umständen deß Verlaufs / allermassen es ihme auch eben selbe Nacht eygentlich getraumet hatte.

8. Es war noch wunderlicher / daß Salviat die Kleider / Gestalt und Gebärden dieser Rauber so wol in dem Gedächtniß behalten / daß er solche seiner Schwester eigentlich beschrieben / und befohlen / man solte an diesem Ort der Statt nachfragen / ob nicht solche und solche Personen alldar. Die Diebe haben vermeint / daß sie ihre Sache so listig angefangen / als unvonnöthen deßwegen die Wohnung zu ändern / und hatten auch von dem Raub nichts nit verkaufft / sondern die silberne Geschirr selbsten zu schmeltzen in willens.

9. Den Schergen werden diese von Rom ůberschickte Merckzeigen angemeldet / unnd sie finden die erbare Gesellschaft ermelter massen / an beschriebenen Ort / und machten sie den Diebstal bekennen / so bald sie der Gefängniß ansichtig worden. Ob nun wol Odoria für sie gebetten / müssen sie doch an dem Strang das Leben enden / weilen der gleichen Händel mehr auf sie gebracht worden.

10. Salviat hat sich dieses wunderlichen Funds wenig zu erfreuen / weil er kaum den hundersten Theil / ob wal fast alles noch vorhanden / wieder bekommen; den Rest aber hatten die Diener der Gerechtigkeit für ihr Mühe zu sich genommen / und dem Richter seinen Theil nach Hause gesendet.

11. Dergleichen wunderlicher Traum ist mir auf eine Zeit begegnet. Ein ungeschickter Schrifftling gebrauchte viel Latein in seinen Reden / das er doch nichtverstanden / noch die End-sylben recht zu setzen mächtig war. Ich sagte zu ihme Schertzweiß / er solte das Latein versparen biß die Zufuhren / (welche damals der Statt gesperret) eröffnet werden möchten /[344] würde sonsten daren Mangel leyden. Er schweigt still / und rächet sich nach Jahr unn Tagen an mir / durch eine schändliche Verleumbdung / die mir wieder zu Ohren kommet. Als ich nun nicht erfahren kan / wer doch solches von mir außgegeben / hingegen von vielen deßwegen angefeindet war / traumte mir / daß eben dieser Schrifftling mir mit einem Messer die Gurgel abstechen wolte. Als ich ihn nun im Schlaff wohl erkannt / begegnete er mir folgenden Tages / unnd nach dem ich ihm deßwegen bedräulich zugesprochen / hat er es endlich bekennet und sich verwundert / woher ich es erfahren habe.

12. Also kan Gott nichts verborgen bleiben / seine Augen sind heller als die Sonne / und schauen alles / was die Menschen thun / auch in die heimlichen Winckel. Der Menschen Augen kan man betriegen / Gottes Augen aber niemals / sondern er offenbaret die Boßheit der Gottlosen / und lässet auff den Dächern predigen die Wercke der Finsterniß.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCCXLII342-CCCXLV345.
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