(XCVIII.)
Die Gleichheit der Angesichter.

[350] Es ist eine Streit-Frage unter den Naturkündigern / warumb theils Kinder ihren Eltern / theils aber denselben nicht gleich sehen? Ins gemein wird solches den Bildungs Kräfften / und dann der unterschiedlichen Beschaffenheit[350] deß Saamens wie auch dem Gestirn beygemessen / und solches alles kan sich finden in zweyen zuglejch empfangenen und gebornen Kindern / welcher Mütter etwan eine Person zu der Zeit / in welcher sich die Leibes Frucht zu gestalten pfleget / betrachtet / wie wir hiervon / ein denkwürdiges und wahres Exempel / ob es gleich einem Freuden-Spiele nicht gar unähnlich / beyfügen wollen.

2. In der Statt Aquila im Königreich Neapoli / haben sich zween Knaben gefunden / welche in dem Angesicht / an der Stirne / Alter / Grösse und Geberden / einander gantz völlig gleich / daß keiner vor dem andern zu erkennen gewesen / als an den Kleidern / welche bey Hermolas viel stattlicher / der eines Edelmanns Sohn / als bey Eleonor / eines gemeines Burgers Kind.

3. Als Hermolas die Knaben Jahre zurucke geleget / wird er von seinen Eltern nach Sinea gesendet / aldar seinem Studiren ferner obzuliegen. Er findet aber eine Jungfrau Prudentia genant / welcher Schönheit ihme seine Freyheit zu einer angenemen Dienstbarkeit machte. Er sahe wol / daß er zu ihr keinen Zutritt / als durch die Thür der Kirchen / ich wil sagen / durch eheliche Verbůndniß / zu welcher ihre Eltern weil sie vermeint / die Tochter bey diesem reichen Neapolitaner wol anzubringen / gerne verstanden; Seine Eltern aber einwilligen zu machen / wuste er keinen Rath.

4. In dem er nun mit diesen Gedancken umbgehet / verliebte sich Hortensia ein adelich Jungfrau / in diesen Hermolas / und weil sie keine Gelegenheit / ihn an zusprechen / schreibt sie ihme einen sehr höflichen Brief / welchen er / zu einer Kurtzweil / mit gleicher Müntz bezahlet. Die Verliebten lassen sich füglich mit den Jägern vergleichen / welche das Gefangene verlassen / und einem andern nacheilen; Also hatte Hortensia Quintellum / der sie brünstig liebte / bereit in ihren Garnen / wolte aber den schönen Neapolitaner erjagen.

8. Als nun Quintellus sahe / daß ihme Hermolas seiner Liebsten Gunst weggenommen / lässet er ihm sagen daß er der[351] Hortensia müssig gehen solte / oder ihne zu einem abgesagten Feinde haben wurde. Hermolas sagte / er solte einen Mann finden / der sich für der Weiber Waffen (den Worten) nicht fürchtete. Es gange ihm aber Quintellus mit seinen Beyständen so lang nach / daß er Hermolas endlich begegnet / unn Mörderischer Weiß angriff. Der Neapolitaner stunde an einem Thor / und schützte sich dergestalt / daß ihm Quintellus in den Degen laufft / und in das Bein verwundet / darüber er auch zu Boden fället / und Hermolas / der auch etliche geringe Wunden hatte / zu entspringen Gelegenheit bekommen.

6. Quintellus wird zu dem Wundartzt getragen / und befindet sich sein Stich zwar gefärlich / aber doch nicht tödtlich. Hemolas aber muste dem Gefängniß entfliehen / und sich zu Viterbo eine Zeit aufhalten / entfernet von seiner schönen Prudentia welche den Ruff erschallen lassen / daß Hermolas nach Aquilla verraist / und nicht mehr widerkommen würde. In dessen wurde Quintellus von seinen Wunden gebeilt / unn ob er wol Hermolas erstlich beschuldiget / hat er doch nochmals sein Unrecht erkannt / und ihn wider entschuldiget / darmit aber seine Freunde keines wegs zu frieden seyn wollen.

7. Hortensia machet sich heimlich in Mannskleidern darvon / und kommt nach Aquilla / ihren Hermolas zu ehlicher Beyliebe zu bewegen / nach dem sie aber in der Statt herumb spatzieret / begegnet ihr Eleonor / den sie für den Hermolas / wegen besagter Gleichheit ansiehet / und auf das freundlichste zuspricht. Als dieser den Irrthum / so ihme mehrmals begegnet / erkennet / und höret / daß sie eine Reiche von Adel / will er solches Glück nicht auß Handen lassen / doch ihren Worten auch nicht vollen Glauben zustellen; sondern bittet sie / daß sie bey einem seiner Freunde etliche Wochen verharren wolte / biß er seine Eltern zu solcher Verehlichung willigen machte.

8. Inzwischen nimmt er seinen Weg auf Siena / und leget seine Werbung bey Hortensia Freunden selbsten ab / die ihn für Hermolas / welcher den Sinesern noch nicht trairen[352] will / ob er gleich gehört / daß Quintill sein Feind / widerumb genesen / in das Gefängniß legen lassen. Bevor nun Eleonor in das Gefängniß gekommen / und von Hortensia Freunden das Ja Wort zu dem Ende erhalten / daß ihre Tochter nur möchte wiederkommen / schreibt er alsobald nach Aquila / und bittet seine verhoffte Hochzeiterin sich wider einzustellen / wie sie auch gethan / den vermeinten Hermolas aber / in dem Gefängniß / und als ob er sie entführet / beklagt gefunden.

9. Nach dem aber der rechte Hermolas wieder nach Sinea gekommen / und von seinen Freunden Verlaub erlangt Prudentiam zu freyen / wird er ungefehr von den Schergen begegnet / und weil sie vermeint / daß er auß dem Gefängniß gebrochen / alsobald angefallen / und wieder in Verhafft genommen. Sie funden aber allda Eleonor / für Hermolas / und wurde der Irrthum / welcher die Gleichheit ihrer Angesichter begehen machen / bald erkant.

10. Sie bekennen beede die Warheit / werden gegeneinander gehöret / unn weil Hermolas dem Richter die Hand gesalbt / sind sie der Verhafft erlassen / und wider auf freyen Fuß gestellt worden; da dann Hermolas ohne fernere Verzögerung Prudentiam gefreyet / und mit sich nach Aquila geführet / welche ihren Namen in der That erwiesen / und sich bey seinen Eltern und Freunden geliebt und geneigt gemachet.

11. Weil nun Hortensia in deß Eleonors Angesicht gefunden / was sie an Hermolas geliebet / hat sie von ihme nit absetzen / sondern den Betrug für angenehm halten / und sich mit ihme trauen lassen wollen / welcher auch nachmals / als die Schiffer die Ungewitter erzehlet / was sich wegen der grossen Gleichheit Hermolas und seines Angesichts begeben / etc. hat auch durch seine Demuth Hortensiam und jre gantze Freundschaft zu günstiger Gewogenheit veranlasst.

12. Under andern Wundern Gottes / die wegen ihrer alltäglichen Gemeine / fast nicht geachtet und beobachtet werden / ist die grosse Ungleichheit der Menschlichen Angesichter / Augen[353] und Stimmen / nicht das geringste. Ohne solche würden sich vielerley Irrungen begeben / und finden sich unter viel tausenden kaum zween / welche unter einander in allem gleichen / und zwar viel ehe Manns- und Weibspersonen. In so grosser Ungleichheit aller Sachen bestehet die Schönheit dieses Weltwesens / von welcher wir mit David sagen können: Groß sind die Wercke deß Herrn; Wer ihr achtet der hat eitel Lust daran.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCCL350-CCCLIV354.
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