Hoch-Wohlgeborner Graff /

Gnädiger Herr /

In der Welt ist das schönste Buch die Welt selbsten. Der schönste Theil dieses Buches ist der Mensch / welcher nicht sonder Vrsachen die kleine Welt genennet wird / und das schönste Capitel in besagtem Buche / ist das / welches von der Menschen Thun und Wandel zu handlen pfleget.

Die Betrachtung der herrlichen unnd Wunder vollen Geschöpffe deß Allmächtigen / ist eine Kette / welche uns niedrige Menschen gleichsam zu deß Höchsten GOTTes Allmacht ziehet / und zu danckschuldigen Preiß fůr seine hohe Wolthaten anhält / und ist solcher Betrachtungen kein Geschöpff fähig / als der Mensch / der nach dem Ebenbild GOTTes anfänglich erschaffen / unnd nach deme er sich solches frevelich verlustig gemachet / das Gewissen / nechst der Freyheit seines Willens und seiner Wercke behalten / daß er das Gute von dem Bösen unterscheiden / jenes thun unnd dieses meiden kan; Massen ihm der Fluch und Segen gleichsamb für Augen lieget / und in seiner freyständigen Wahl beruhet / ein GOTT- oder dem Satan wolgefälliges Leben anzutretten und zu vollführen. Dieser freye Wille deß Menschen ist die Hertzwurtzel der Tugenden und der Laster / welche zeitige oder unzeitige / gute oder böse Frůchte bringet. Andere Geschöpfe folgen ihrer natůrlichen Neigung / halten ihren ordentlichen Lauff / wie die Sterne / fördern ihr Wachsthumb wie die Blumen unnd Kräuter / pflegen sich zu nehren und zu mehren wie die Thiere: Aber dem Menschen allein ist eine unsterbliche Seele gegeben / welcher er durch sein Wol- oder Vbelthun / das ewige Leben / oder den ewigen Todt / nach diesen hinfallenden Eitelkeiten / zuziehen kan / dessen alle andere Geschöpfe nicht fähig sind.


Solche Wercke der Menschenkinder sind von Anfang der Welte beobachtet / unnd andern zu růhmlicher Nachfolge / oder nutzlicher Warnung / auffgezeichnet worden. Die Haubt-Wissenschafften haben sich hierunter Gebots-weise bemühet / unnd schreibet uns das Wort GOTTES die Lehren eines Christlichen Wandels vor. Die Rechte weisen uns / wie man auß gleich-begebenden Fällen / gleiche Vrtheil und Gesetze geben soll. Die Artzney-Kunst lehret deß Leibes Gesundheit handhaben / und wann sie verlohren / wider erlangen.

Was nun diese Haubt-Wissenschafften mit Lehren und Gesetzen außwürcken / das thut die Geschichtschreibung mit Exemplen und Beyspielen / deßwegen sie auch der Spiegel guter und böser Sitten / das Liecht der Warheit / die Richtschnur menschliches Leben / unnd diese Welt ein Schauplatz genennet wird / darauff nicht nur Könige / Fürsten und Herren / wie in den Trauerspielen / sondern auch Edle / Burger / Bauren / wie in den Freudenspielen erscheinen / biß solchen offt veränderten Personen / der Todt die Larvenkleider endlich außziehet.


Hieraus wird sonders zweiffel erhellen / wohin der Titel gegenwertigen Bůchleins absiehet; nemlich die Begebenheiten der Privat-Personen vorstellig zu machen / welchen / wie fast allen Menschen / etwas besonder-merckwůrdiges in ihrem Leben begegnet / daraus die Nachwelt eine Lehre oder Warnung zu schöpfen haben möchte / und ist der erste Theil dieser ringschätzigen Arbeit bey vielen so beliebt gewesen / daß in gar kurtzer Zeit alle Exemplarien verkaufft und solcher nun zum fünftenmahl auffgeleget worden.

Weilen nun besagter erster Theil dieses Schauplatzes mit E. Hochgr. Excell. ansehnlichen Nahmen herrlichst gezieret / und desselben Pforten mit dero uraltadelichen Wappen behänget worden; als geruhen sie gnädig dero hohe Gewonheit ferners zu erstrecken / und dieses vollständige hundert Lust- und Lehrreicher Geschichte gnädig an- und aufzunehmen; massen mich solches das unter-dienstliche Anvertrauen / welches zu E. Hochgr. Excell. angeborner Hoheit / anererbter Dapferkeit / klugen Erfahrenheit / in allen Ritterlichen Vbungen / Künsten / Sprachen / und allen viel andern hochlöblichen Tugenden / ich beharrlich setze / ungezweiffelt versicheret. Hiermit E. Hochgräfl. Excell. deß Höchsten Obschutz / mit Anerwünschung allem selbst verlangten glücklichen Ergehens / befehlend / verbleibet

Deroselben

Gehorsamer und Dienstergebener Knecht


G.P.H.

unter den Hochlöblichen

Fruchtbringenden

genannt

Der Spielende.


EPIGRAMMA

Ad petantiquæ, togâ & sago

Illustrissimæ

RANZOVIORVM familiæ

INSIGNIA.

Qvid sibi Rantzoidum signant Insignia prisca?1

Quid ruber & niveus pingit utrinque color?

Purpure â lymphâ fluxerunt vulner a CHRISTI:

Hoc, Pietas gentis, more notata placet.


RANTZOVIUS

per anagramma.

VIRTUS ZONA.

Evolutio.

Nobilit as proavum decus est & culmen honoris

Splendens fumosis atrium imaginibus:

At magis excelsum decus est & Gloria vera,

cum Zonâ Virtus cingit avita domum.

Interrupta venit Fortuna a levißima veils;

Zonâ Virtutis vindice cincta manet.

Rantzoidum Nomen tacito hoc enigmate claudit,

Herculeis vinculis prosper a quæque tenens.

1

videantur Genealog. Hieron. Henninges, & Ristii præfat. der Friedens-Posaune. edit Hamb. 1646.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664.
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