(XXX.)
Die ungleichen Zwillinge.

[116] Gombert und Roffroy / Zwillinge von Poitirs bürtig / waren zwar von einem Geblůt gebohren / 9. Monden in einem Leibe gelegen / und fast in einer Viertelstund auf diese Welt kommen; aber doch so ungleichen Sinnes / als Jacob und[116] Esau mögen gewesen seyn / deren Gestalt deß Leibs auch keine Gleichheit gehabt.

2. Gombert war in seiner Jugend ein feiner Knab / Lehrbegierig / sittig / fleissig / und erwiese mehr Bescheidenheit / als fast die zarten Jahre zuliessen. Sein Bruder hingegen war unbedachtsam / konte und wolte nichts erlernen / sondern mit spielen / hin und wider laufen / und andern unnützen Possen seine Zeit vertreiben. Weil er aber gezwungen wurde / dieses und jenes zu fassen / so war seine Gedächtniß ein löcherichter Beutel.

3. Dieser Zwillinge Vater war ein Burgersmann / von grossem Reichthum / der seine Kinder zu denen Sachen auferziehen wolte / zu welchen sie von der Natur gewidmet waren / wie alle verstandige Väter thun solten. Also hat GOtt geschaffen / daß ein jeglicher Baum Frucht bringen solte / nach seiner Art / und wird man nicht Feigen lesen von den Disteln / noch Trauben von den Hecken. Die wilden Thiere dienen wol in den Häusern / und die heimischen Thiere in den Wälden. Die Kinder sind den Eltern allen Gehorsam zu leisten schuldig: Die Eltern aber sollen ihren freyen Willen (darinnen deß Menschen Vollkommenheit bestehet) wider ihre Neigung / wann solche zulässig / nicht befesseln und bezwingen.

4. Also hat dieser Vater / Gombert zu dem studieren / und Roffroy zu dem Soldaten Wesen / auferzogen / daß beede nach ihrer Art glücklich fortkommen. Nach ihres Vaters Tod / haben sie das Erb mit ihren Schwestern getheilt / und haben diese beede von Jugend auf mit einander gezancket / in dem der eine gehasst / was der andre geliebt / und der andre im Widerspiel geliebt / was dieser gehasset. Gombert war verzagt / einsam / fleissig / und satzte über seinen Büchern; Roffroy hingegen behertzt / täglich in Gesellschafft / leichtsinnig und ein Liebhaber der Waffen.

5. Gombert hatte die Gesetze studieret / und so viel erlernet daß er andern als ein Fürsprecher und Sachwalter für Gericht bedient war: Dieses mißfiele dem andern Bruder / welcher ein grosser Herr seyn wolte / und ihm riete / er solte ihm[117] ein hohes Amt kauffen. Gombert aber folgte nicht / sondern bliebe bey seinen kleinen Mitteln / und heuratet eine sehr häußliche Frau / die alles fleissig zusammen hielte / was der Mann erworben / und beygetragen.

6. Roffroy hingegen hält sich bey Hofe auf / und dienet einem Fürsten auf seinen Unkosten / mit etlichen Knechten und Pferden / verhoffend grosse Dienste / mit welchen man ihm das Maul täglich aufgesperret; daher machte er von seinem liegenden Haab ein Stůck nach dem andern zu Geld / welches sein Bruder an sich brachte. In dem nun Roffroy nichts mehr als den Krieg verlangt / der vielen die Staffeln zu hohen Ehren / durch die Leichname der Erschlagenen machet / begiebt sich ein Unruhe in dem Reich / da er verhoffte grosse Dienste zu erlangen; aber das Glück hat ihn als einen Neuling zurucke gesetzet / daß er auf eine Zeit / in einem Turnier auf seinen Schild mahlen lassen / ein Wasserrad mit Schöpfeimern und diesem Beywort:


Hofnungs leer / und Schmertzens voll.


7. Der Krieg geht bald zu Ende / Roffroy Vermögen ist durchgebracht / und hat er zu der guldnen Ernde / welche er ihm eingebildet / nit gelangen mögen. Also waren diese Brüder gleich dem Krieg und dem Friede / so sich zu gleicher Zeit nit stellen mögen. Er komt wieder nach Hauß nach zehenjährigen Hofdiensten / und bringt mehr Reue / als Gelt mit sich: Er ist arm / sein Bruder hingegen / welchen er so offt verachtet / reich / der ihn nun wieder hilffloß liesse / und den Titel von Schenckungen in seinem Recht nicht studieret hatte.

8. Einsten setzte er ihm nach dem Essen dieses Lehrgedicht für: Der getreue Hund / sagte er / begegnete auf eine Zeit dem Löwen / welcher in dem Wald hin und her liefe / und suchte seinen Hunger zu stillen / unnd redete ihm zu / daß er sich dem Menschen untergeben solte / der ihn mit Speiß und Tranck wol versorgen würde / daß er ohne Mühe sein Leben zubringen könte; gleicher Weise wie auch ihn sein Herr wol hielte und keinen Mangel liesse. Der Löw sagte / daß er kein so geringes Thier / welches sich an eine Ketten wolte gefangen[118] lassen legen / wie der Hund / und fast so viel Schläge / als Bissen Brod erdulten könte. Er hingegen belustigte sich mit jagen / wie die Könige auf Erden / und nicht eben Hungers sondern Lusts wegen / wiewol er nicht allezeit begegnete / was er wünschte.

9. Dieses verstunde Roffroy gar wol / weil er aber seines Bruders vonnöthen hatte / und sein Unrecht erkante / nahme er es nit ůbel auf. Hierbey erinnerte ich mich / daß dort ein Hofmanne zu Diogene gesagt: Wann du schmeicheln köntest / wie ich / so würdest du so schlecht nicht leben: Darauff er geantwortet: Und wann du so schlecht und mässig leben köntest / als ich / so würdest du deinem Herrn so Knechtisch nicht schmeicheln. Der für sich zu leben hat / ist sein selbsten Herr und König / und ist der Mittelstand billich für gulden zu halten / der vielen Veränderungen nicht unterworfen ist.

10. Zu andrer Zeit erzehlte Gombert seinem Bruder folgende Fabel: Die Mucken hat auf eine Zeit mit der Omeissen gezanckt / sagend / daß sie in der Luft schwebe wie ein grosser Vogel / der Fürsten und Herrn Gast were / in warmen Orten und bey guten Speisen und schönen Blumen sich aufhielte: Da hingegen die Omeiß in kleinen Orten der Erden wohnte / den Sommer arbeiten / Wasser trincken und elend leben müsste / ja ein bäurisch Thierlein gegen dem Adel der Mucken zu rechnen. Die Omeiß sagte hingegen / daß sie einen gewissen Sitz / wohnte in ihrem eignen / unnd keinem frembden Hause / daß das Korn und Wasser ihr eine liebe und gesunde Speise seye / so sie durch ihre Arbeit / und nicht durch den Müssiggang erworben / daß sie sicher in dem Schatten und die Mucken in stätiger Gefahr schweben müsste / und jederman beschwerlich were / Ja sie hätte in dem Winter zu leben / wann die Mucken nach der Sommer-Wärme sterbe / oder ja als tod darnider liege. etc.

11. Roffroy hätte wol antworten können / daß die Omeissen die Gärten verderbten / und viel Advocaten von ander Leute Ungerechtigkeit lebten: Aber er wolte seinen Bruder nicht beleidigen / sondern beklagte sich wider sein widerwertiges[119] Glůck / und sein undanckbares Vaterland / das seine Dienste nit erkenne / da er doch sich über seine Thorheit beschweren sollen / und seines Unglücks eigener Werckmeister gewesen. Also verkauffte er was er noch übrig hatte / und rüstet sich in Teutschland für einen Soldaten zu dienen / da die Tapfern Stösse / die Verzagten Unziefer zu Lohn bekommen. Wie es ihm ferner ergangen / wird nicht berichtet.

12. Es erinnert uns diese Erzehlung der zweyen Hunde / von welchen Plutarchus Meldung thut / daß der eine zu dem Haußwesen / der ander zu der Jagt auferzogen worden / und ob sie gleich einer Art von einer Bürde / doch ein gantzes ungleiches Leben geführet / daß der eine feist unn in Ruhe gelebt / der andre von dem Wolf zerrissen worden. Viel sicherer unn Gott gafälliger ist der gering Stand / als hohe Ehr oder derselben Hoffnung mit grosser Gefahr und bösem Gewissen sitzen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CXVI116-CXX120.
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