(XL.)
Das unverständige Verfahren.

[146] Jener Weise hat recht gesagt / daß eine ehrliche Jungfrau nicht nur alles böses meiden / sondern auch den Schein und Argwahn / böses von ihr zu gedencken / nach Möglichkeit verhüten soll; dann was hilfft doch unschuldig seyn / und ein böses Gerücht haben / welches ihr an einer guten Heurat hinderlich seyn kan. Wer aber nicht Ursach zu böser Nachrede gibt / der hat ein gutes Gewissen / und wird sein Glück noch wol erwarten.

2. In Franckreich / wurde in der Picardia geboren Eduina / welcher unverständiges / ich wil nicht sagen / unehrliches Verfahren zu folgender Anmerckung Ursach gegeben. Dieser Eduina Mutter war eine fromine alte Frau / die sich vielmehr von ihrer Tochter regieren lassen / als daß sie derselben mit Verstand Einhalt solte gethan haben / und ist die Liebe / so die Eltern gegen ihre Kinder tragen / mehrmals beschaffen / wie der alten Affen / so ihre Jungen in dem Liebkosen erdrucken.

3. Also vermeinte diese Mutter / ihre Tochter werde von allen die sie ansehen / so hertzlich geliebt / als von ihr / und daß jederman diese aufgehende Sonne anbete. Hierdurch wurde Eduina so stoltz / daß sie alle / die ihres Stands waren / verachtete / und also gleichsam ihren Fall liebte / in dem sie gar zu hoch zu steigen sich gelusten liesse. Es ist schwer zu Ehren zu kommen / schwerer sich in selben zu handhaben / und so schwer als unmüglich / die verlohrne Ehr wieder zu erlangen.

4. Leubat / ein junger / reicher und tapferer Freyherr war[146] der ersten einer / so dieser Eduina aufwartete / und hätt sie auch mit diesem eine glückselige Heurat thun können / wiewol seine Freunde sich darwider gesetzet / und nicht zulassen wolten / daß er eine vom Adel heuraten solte; Er aber wolte sich nicht lassen wendig machen / sondern beharte in dieser Liebe / weil er brünstige Gegenneigung verspürte / welche das stärckste Band der mit gleichem Pfeil verwundten Hertzen. Weil aber Eduina aus eitler Ehrsucht diesen Aufwarter halten wollen / hat der Dienst nicht lang bestehen können / welchen sie mit mündlicher und schrifftlicher Gewogenheit belohnet; jedoch sonder Verletzung ihrer Ehre / daß es doch bey etlichen das Ansehen gehabt / als ob diese beede verlobte Heuratsleute wären.

5. Es begabe sich / daß der Königliche Stadthalter nach Amiens kommet / und mit ihm sein Sohn / ein sehr schöner höflicher und wolbegabter Jüngling / welchen wir Pergentin nennen wollen. Dieser hatte um sich die prächtige Bekleidung / vor- und hinter sich viel Diener und Knechte / bey sich auch nicht wenig Gelt / welches Hönigsafft dieses Bienlein entschuldiget / daß sie sich auf solche Blumen setzen / und die geringeren Kräutlein verlassen wollen.

6. Die Zeitvertreibung dieses Hofmanns ist leichtlich zu erraten / spielen / tantzen bey Frauenzimmer in Gesellschafft seyn / ware diesem alltägliches Brod; aber dergestalt / daß sie solches lieber gemahlt sehen wollen / als sich darmit ersättigen / und ihnen zu einer Speise machen; dann er wuste wol / daß unter allen Frauenzimmer keine / so ihm zu einer Gemahlin werden könte / wegen deß Standes grosser Ungleichheit: könte er sich aber bey einem fremden Feuer wärmen / so gienge er wieder darvon / und lachte darzu.

7. Pergentin nun höfelte Eduinä / welche ihm mit ihrer schönen Gestalt / und wolgestalten Worten grosses Vergnügen leistete. Morgens sahe er sie in der Kirchen / Mittags in Gesellschafften spatziren fahren und reiten / Abends auf dem Tantz / nach den Sitten der Frantzosen / die sich kützlen / damit sie zu lachen Ursach haben. Daß also Leubat zurucke stehen /[147] und diesen Einkömmling den Platz raumen muste. Eduina hatte ein Quintlein oder Pfündlein mehr Weiberstoltz eingefasst als eine andre / und hatte zuvor den Ruhm / daß sie die schönste und verständigste / nun aber auch den Namen der glückseligsten überkommen / weil ihr ein solcher Herr aufwartete.

8. Pergentin Höflichkeit verwandelte sich nach und nach in warhafftige Liebe / und war selbe so blind / daß sie sich zu weiden in die eheliche Dienstbarkeit wolte leiten lassen / welches der Königliche Stadthalter ersehen / und ihn darvon abzuführen bemühet war; wie auch Leubat / der ihm das Gras unter den Füssen nicht wolte lassen abschneiden / und wurde von der Eduina mit guten Worten besänfftiget / die eine freye Wahl behalten wolte / damit sie nicht zwischen zweyen Stühlen nidersitze.

9. Pergentin ziehet zurucke / wird aber von Eduina wieder herbey gebracht / und mit so holden Worten gleichsam bezaubert / daß er seiner selbst nicht mächtig / und mit Leubat / den sie auch nicht wolte fahren lassen / zu eifern begunte. Also vermeinte sich Eduina zu erhalten / dardurch sie sich verderbt. Leubat wolte sie gar oder nicht haben: Pergentin hingegen / kan keinen leiden / der ihme die Schuhe außtretten wil; ob er zwar mehr begünstiget als der andre / den er gegen seiner Person verachtet sahe.

10. In solcher Begebenheit hat Eduina sich entschliessen können / verständig zu verfahren / auch einen so bald nit gestillet / und mit sanfften Worten zu frieden gestellet / daß der andre nicht einen kläglichen Krieg angefangen. Das gebrechliche Schifflein schwebte Anckerloß zwischen zweyen widrigen Winden. Sie konte keine Gleichheit halten / daß beede mit ihr zu frieden / und vermeinte einer / der andre were besser in dem Hof. Endlich bricht Leudat / und bemühet sich hefftig Pergentin auch von ihr wendig zu machen / als von einer unbeständigen / welche deß Hasses viel würdiger / als der Liebe. Solches auszuwürcken rühmt er sich geheimer Begünstigung /[148] welche er von Eduina nie erhalten / weiset ihre Geschencke / Briefe / und neigt dardurch Pergentin / daß er ein böses und ungerechtes Urtheil von dieser Jungfrauen gefället.

11. Als nun Eduina gesehen / daß Leubat ihrem Angel entkommen / trachtete sie Pergentin mit höflichem Gewalt ihr eigen zu machen / und ihn zu bewegen / daß er Leubat soll ermorden lassen / weil er für der Klingen sich in Gefahr begeben würde / welches ihr leid were. Pergentin verspricht solches in das Werck zu richten / wann sie hingegen ihm zu Willen werden wolte. Die Rachgier dieses Weibsbilds ist so brünstig / daß sie sich zu verderben verspricht / ihren Feind zu schaden / und war nur die Frage / welches am ersten solte in das Werck gerichtet werden.

12. Pergentin und Leubat waren zu selber Zeit vertraute Freunde / und hatte dieser jenem seine Heimlichkeiten eröffnet / daß er nicht Ursach / sich mit ihm zu entzweyen / sondern ihm vielmehr zu entdecken / mit was mörderischen Gedancken Eduina umginge / und wie er sie zu verlassen entschlossen: Weil er leichtlich erachten können / daß sie dergleichen Rathschläge auch wider ihn / wann er ihr in allen nicht gehorsamen würde / ergreiffen möchte.

13. Solcher gestalt hat Eduina einen doppelten Korb bekommen / und ist eine sehr alte Jungfrau wider ihren Willen worden / gleich einem Baumen ohne Frucht / dessen Blätter fallen / und der Stämmer außdorret. Zu Vollziehung ihres Unglücks / hat sie sich mit einem jungen und armen Gauchen / Specios genant / verehelichet / der sein Liebes-Feuer in so altem Aschen bald außgeleschet / und ihr alles Vermögen durch die Gurgel gejaget.

14. Die Lehre kan seyn von der Unbeständigkeit der Tochter deß Unverstandes / daß solche ein schlechtes End zu nehmen pfleget. Wie der Schütz / welcher keine stete Faust hat / nicht leichtlich den Zweck treffen kan; so kan ein jeder seines Glücks Werckmeister seyn / wann er die Tugend beständig liebet / und die Laster hasset / als welche Zanck / Streit / Haß / Neid und endliche Reue nach sich ziehen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CXLVI146-CXLIX149.
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