(XLI.)
Die freye Leibeigne.

[149] Es ist heut zu Tage fast die grösste Klage über Knechte und Mägde / daß ihrer viel rathsam gehalten / man solte die Leibeigenschafft wieder einführen / damit man das Gesindlein besser in Furchten halten könte. Welcher Gestalt aber solches zu Wercke zu richten / daß die Freygebornen Leibeigne werden / ist von tiefem Nachsinnen. Wir wollen diesem kurtzen Eingang eine Geschicht nachfügen von einer freyen Leibeignen / deren es in ihrer Dienstbarkeit nit übel gelungen.

2. Zu Siponte / einer Stadt in Calabria / an dem Meer gelegen / die jetzund Mondfredonia genennet wird / war geboren Lucio / welcher in seinen Jünglings-Jahren von Gelasio seinem Vatter / nach Perugia / deß Pabsts hohe Schul geschicket worden / dem Studieren obzuliegen. Wann man einen Neapolitaner nennet / so warnet man fast einen jeden / er solle sich vor einem Betrüger vorsehen: weil sie listige Köpfe / und von sehr reinem Gehirn; unter allen aber sind die Calabreser die klůgsten. Dieser Lucio wolte seiner Landsleute Ruhm auf sich nit ermanglen lassen / und erweisen / daß er so witzig / als ein andrer / und dar durch alles zu erhalten vermöchte / was vielen so schwer als unthunlich fallen solte.

3. Unferne von einer Wohnung hielte sich eine Jungfrau / mittelmässiges Standes / die durch ihre Mutter und zween Brüder Ene und Berthold bewachet und beobachtet wurden. Diesen Platz belägerte Lucio / und weil der Ort schwach / daß er deßwegen übel zu verwahren / ist er nach kurtzem Widerstand von ihme überstiegen worden / und hat die Wacht der Eroberung endlich müssen innen werden / weil der Feind eine Besatzung eingeleget.

4. Die Brüder gedachten sich an diesem Jungferschänder zu rächen / betrachteten aber / daß ihrer Schwester dardurch nicht gerathen / und daß niemand eine solche Dirne / welche nit mehr Kauffmanns Gut ist / mit dergleichen Aussteuer freyen würde. Diesem nach entschliessen sie Lucio zu[150] tödten / oder zu nöthen / daß er ihre Schwester wieder zu Ehren brächte. Welches auch kurtz zu sagen / beschehen / und haben die Löwen den Fuchsen in seinem Bau gefangen / wie die Fabel lautet.

5. Lucio wurde der Dolch an die Gurgel gesetzt: Er hätte lieber drey Weiber genommen / als daß er einmal hätte sterben sollen. Wie andre Heuraten erstlich freywillig / nachmals aber nothdringlich und bindig zu seyn pflegen / also ist dieses erstlich gezwungen / nachmals aber freykürig worden / und war Lucio so verliebt / daß er leichtlich einen Schluß nehmen können. Dieses alles liesse sich noch thun / weil sich Lucio zu Perugia aufgehalten. Wie aber ferners?

6. Es kommt die Zeit / daß Lucio soll nach Hauß ziehen / und kunte leichtlich die Rechnung machen / wie angenehm er bey seinen Eltern / wann er diese Musam von der hohen Schul mitbringen würde / welcher wegen er so viel Gelt verzehret. Er sagt zu seiner Sylvia (also ward seine neulich geehlichte Liebste genennet) wie die seinen zu Hause gesinnet / und bittet sie / daß sie sich für eine Leibeigne Magd außgeben solte / welche er erkaufft / und seiner Mutter mitbringe. Also / sagt er / können wir ungeschieden seyn / und meinen Eltern kan der Handel mit guter Gelegenheit eröffnet werden.

7. Sylvia ist Lucio in allem gehorsam / und erzehlt / genommener Abrede gemäß / vorgebend / das ist eine Griechin / welche von ihrer Kindheit an in Italia auferzogen worden / und machte sich durch ihre Demut bey Lucio Mutter beliebt / um nit wieder / wie sie fürchten müsste / verkauffet zu werden. Lucio wohnte ihr so selten bey / daß ihre Liebe dardurch in brünstigen Kräfften dem gantzen Hause unwissend verbliebe.

8. Es fügte sich aber / daß Gelasius / Lucio Vatter sich in diese freye leibeigne verliebet / und wie die Kindliche Liebe jenen Stummen Sohn Crösi reden machen / so musste auch Lucio herauß brechen / und seinem Vatter sagen / daß diese seine Schnur / welche er für eine Knechtin gehalten; wiewol er solches zuvor Vrtica seiner Mutter eröffnen wollen /[151] welche mit Sylvia zu eifern Ursach bekommen. Dieser Zeitung aber wil Urtica gantz keinen Glauben zustellen / sondern verkaufft Sylviam / als eine Leibeigene / an einen von ihren Befreunden / und trachtet Gelasius sie durch die dritte Person wieder zu erkauffen / und bey einem seiner Vertrauten zu unterhalten.

9. Dieses alles zu unterbrechen / stellet Lucio Sabiniam seinen Freund an / welcher einen glaubwürdigen Brief vorweiset / daß ihme Sylvia von Lucio noch nicht bezahlet worden / und daß die Zeit solcher Bezahlung verflossen / nach welcher ihm Sylvia wieder heim gehen solte. Mit diesem Beweiß stellet er seine Klage an / und wird ihm diese Leibeigen vermeinte zugesprochen.

10. Nachdem aber die gantze Sache von Perugia aus / nach ihrem warhafften Verlauff berichtet worden / hat Gelasius seinen Sohn enterben wollen; weil er sich wider seinen Willen geheuratet. Er hingegen solches vielmehr seiner unziemlichen Brunst beygemessen / und deßwegen klagbar werden wollen / biß endlich der Streit durch Urticam gestillet / Sylvia für Lucio Eheweib angenommen / und von dem gantzen Hauß lieb und wehrt gehalten worden. Es hat auch diese Widerwertigkeit zu stärckerer Verknüpfung der Ehelich verliebten gedienet / und kan uns lehren / daß / wiewol selten / einen guten Ausgang gewinnen kan / was keinen gar löblichen Anfang gehabt. Ich sage selten / dann sich darauff zu verlassen / ist eine sträffliche Ermessenheit.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CXLIX149-CLII152.
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