3. Raht an einen der Lügen gestrafft worden.

[369] Vertrauter Freund.

In was Begebenheit ihr der Unwarheit beschuldiget worden / hab ich aus eurem jüngsten sattsam verstanden / und wil euch meinen Raht / zu Folg eures Begehrens / ohne Maßgebung / getreulich mittheilen. Erstlich habt ihr wol gethan / daß ihr euch gestellet / als ob ihr solches nit gehöret oder verstanden / dann mit stillschweigen kan man viel verantworten / und keine Antwort ist auch eine Antwort / wann man es auch für das ja Wort solte aufnehmen / und stillschweigen für ein Bekäntnis halten wolte; massen mir wol wissend / daß Lügen euer Latein / und man euch für einen Hochgelehrten darinnen hält / der den Lufft offt verfälschet. Dieses sage ich euch nit zur Schande / sondern / zum Ruhm nach / weil solche Art zu reden sehr nutzlich und nothwendig / und wann sie mit Verstand angebracht wird / ist es eine Tugend / die von vollkommener Welt Weißheit herrühret. Die Unwarhelt ist von Anfang der[369] Welt die stärckste gewesen / und hat von den klugen Gesetzgebern auf den Altar müssen gesetzet werden / das Volck durch Bildung falscher Götter in dem Zaum zuhalten. Zu dem haben die Priester allerhand Fabeln erdichtet / welche noch heut zu Tage hoch gehalten werden / und sind solche deß Menschen Verstand viel gemässer / als die Warheit / wie wir sehen an den Mahometischen Glauben / dem vielmehr bey pflichten / als der Christlichen Warheit. Man frage noch heut an dem Fürstenhöfen nach / ob sie nicht durch hoffen und harren (welches endlich auf nichts außlaufft) gehandhabt werden / daher ein Hofbescheid bey solchen unüberwindlichen Rednern für Weywasser gehalten wird / damit man die kommenden / und hinweggehenden besprützet. Die Feldherrn / die Rentmeister / die Juristen / die Artzneygelährte können sich der nothwendigen Unwarheit nicht entschlagen / und müssen ihre Regiementer / Ansehen / Treu und Glauben dardurch erhalten / und ihre Wort mit viel neuen Hilffreden / und Schein Ursachen zu bemänteln wissen; massen die Unwarheit wol bekleidet / und die Warheit entblösst zu gehen pfleget. Die Handwercksleute / die Verliebten / die Knechte und Mägde können ohne Lügenstab nicht durch das Land kommen. Man betrachte doch alle Höfligkeit / und sehe / ob sie nit mit Lügen überzuckert ist. Ein Wüterig wird gnädigst / ein Bucklichter wol geboren / ein Kauffmann hoch edel / eine Reiche die aller schönste / und eine Hur tugendsam tituliret / und dieses ist der Welt Sprache / daß man keinen Brief ohne Lügen mehr schreiben kan / in dem von dem Handküssen / Dienstverpflichtung / und den ergebnen Knechten / deren eines so gewiß als das andre. Ich wil nicht sagen von Abraham / der seines Weibes Ehre mit der Unwarheit errettet / noch von Salomo / der die Weiber mit dem strittigen Kind durch die Unwarheit außgeforschet / noch von der Judith / die ihr Vaterland mit der Unwarheit beschützet / sondern von dem Weltwesen in gemein / welches / wann man die Unwarheit und Eitelkeit darvon absondern solte / nichts oder wenig übriges haben würde.[370]

Diesem nach ist mein Raht ihr solt euch / wegen der Bestraffung eurer Worte / ferner nicht anmelden / sondern solche der Vergessenheit aufopffern / und damit ihr nicht glauben möget / ich gebrauche mich der Weltüblichen Wolredenheit / so sage ich / daß ich nicht seye


Euer

Dienstschuldiger Knecht.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 369-371.
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