5. An eine sehr häßliche Jungfrau.

[372] Haut und Beinreiche Jungfrau.

Rühmet euch doch nit so offt eurer Keuschheit / dann kein Mensch mit euren Haut und Beinen eine Fleischliche Sünde begehen kan; sondern man würde es eine Knochen- und Beinsünde / oder eine Pein deß Fegfeuers nennen müssen. Wer solte oder wolte aber so unglückselig sehn / und ein solch Adams Rieb beflecken / welches im Paradiß mit Fleisch überzogen gewesen / nun aber in seiner ersten Gestalt erscheinet. Wann die Seelen eine Empfindlichkeit deß Leibs haben / solte sich die eure / wegen ihres harten Lagers billich beklagen.

Ich bilde mir ein / wie lang / wie schmal / wie subtil ihr seyd / und halt euch für die Linien / so Apelles und Protogenes gezogen dann euch ja die Künstler / welche die Flöhe an die Ketten legen / schwerlich fangen solten.[372]

Zarte Jungfrau / seyd ihr nit eine Latern gewesen? Ihr seyd ja so durchsichtig als ein altes Hauß / und so außgedorret / daß man eure Gebeine für Schwefelholtz gebrauchen könte. Nehmet eurer wol in acht / gehet in dem Schatten / daß die warme Sonne euch nit anzünden / und grosses Unglücke aus solcher Brunst erfolge / wann ihr sonderlich bey einem Zeughauß verbey gehen soltet. Für dem Wasser habt ihr nichts zu fürchten / dann ihr seyd so leicht / daß ihr nit könt unterfallen. Die Ichel und Stachelschweine sind glatter / als eure Haut / und greifft mit weniger Gefahr eine Dornhecken an / wie dann auch jüngsthin / sich einer in euer Kien / das er angerührt / verschnitten. Euer Mutter hat euch an einem Ladstecken ersehen / und ihr habt die drey Feinde menschliches Geschlechts überwunden: Das Fleisch ist von euch gewichen / oder nie bey und an euch gewesen / die Welt erschrecket und fürchtet sich für euer Gestalt; dem Schatten habt ihr nichts / als etliche Beine zu nagen überlassen. Ihr seyd deß Todes natürliche Schwester / und der Schlaf ist eurer beeder jüngster Bruder. So bleibet nun schön und eine Jungfrau / so lang ihr lebt / der Liebespfeil wird auf euren Gebeinen nicht hafften können. Führt euch der Wind nit hinweg so habt ihr keine Gefahr / weil ihr Schatten artig herum wallet; Aber nach eurem Tod werden die Kammacher / Beindrexler / Messerer und dergleichen Handwercker sich um eure magere Verlassenschafft reissen. Hiermit verbleibe ich


Euer

beflissener Warsager.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 372-373.
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