(CIV.)
Der Tyrannische Bruder.

[13] Wie die Sünder in der Gefahr zagen / weil sie ein böses Gewissen haben / daß sie kein Vertrauen zu Gott setzen können; also ist hingegen der Gerechte getrost / wie ein junger Löw / sagt Salomon in den Sprüchwörtern 28. und David getrauet ihm mit seinem Gott über die Mauren zu springen in dem 18. Psalm. 30. Ob nun jemand Unrecht gethan / wie kein Mensch ist / der nicht fehlet / und wird deßwegen mit einer allzuharten Straffe beleget / daß er in seinem Gewissen überzeugt / er habe genug gebüsset / so kan er sich endlich der Barmhertzigkeit Gottes versichern / und sein Vertrauen / welches er wegen seiner Mißhandlung sincken lassen / wieder erheben / und zu Gnaden kommen, wie auß nachgesetzter Geschichte am Pandora zu sehen seyn wird.

2. Nachdeme das unwegsame Meer / durch die Uberfahrt in die neue Welt / nicht sonder Eingeben Gottes / wiederumb eröffnet worden / haben sich auch die Frantzosen / welche vor Jahren wegen der Seefahrten sehr berühmt gewesen / dahin zu schiffen bemühet. Unter andern hatte auch ein reicher vom Adel Lust / etwas Neues in der neuen Welt zu erfahren / und ihme einen Namen zu machen; begibt sich deßwegen mit den Niderländern auff ein Schiff / und segelt lange Zeit mit ihnen[13] auff der Magelanischen Strassen / von Ferdinand Magellano / der die Welt ümschiffet / also benamt.

3. Nachdem nun dieser Frantzoß / welchen wir Peregrin nennen wollen / wieder nach Hauß gekommen / hat er sich entschlossen / noch eine Reisefahrt dahin zu unternehmen / und zu solcher ein gutes Schiff gekaufft / alle Nohtturft verschafft / erfahrne Schiffleute geworben / seine gute Freunde / welche Lust darzu gehabt / mit sich genommen / und ihm vorgesetzt / eine fruchtbare Insel nach seinem Namen zu nennen / und mit seinen Leuten bewohnt zu machen. Solcher Meinung hat er Mann- und Weibs-Personen / welche der Armut zu entfliehen / sich auß dieser Welt außführen lassen / mit sich eingeschiffet.

4. Unter andern war dieser Schiff-Hauptmann / von Pyrrha seiner Schwester / einer verständigen / höflichen und Mannbaren Jungfrauen / ersuchet / daß er sie zu seiner Gefertin und Dienerin / mit auff das Schiff nehmen wolte vorwendend / daß sie durch seine Abwesenheit / nicht weniger Ungemach auff dem Lande / als auff dem Meer zu erwarten haben würde. Der Schiffmann gab ihrer Bitte leichtlich statt / und verhoffet seiner Schwester so viel fleissiger zu hüten / weil sie in seiner Gegenwart und Auffsicht / ihme einige Schande zu zuziehen / scheu tragen würde. Diß war wol gemeint / ist aber / wie folgen soll / übel außgeschlagen.

5. Unter andern hatte Peregrin mit sich genommen / einen jungen / schönen und trefflich tapffern Edelmann (wir wollen ihn durch den Namen Deucalion kennen machen) der neben seinem Gewehr / eine Laute mit sich führte / und selbe so meisterlich zu bezwingen wuste / daß sie in seinen Händen für kein stummes Holtz zu achten. Der Müssiggang / sagt jener / ist der Wollust Hochzeit-Lader / und die Liebe eine Arbeit derer die nichts thunend / übel thun lernen. Daß man aber auff den Schiffen gleichsam müssig seyn muß / ist leichtlich abzunehmen / und allen bewust / welche darauff gewesen.

6. Deuculeon verliebte sich durch solche Veranlassung[14] in deß Schiffherrn schöne Schwester. Er gab ihr mit den Augen zu verstehen / was er mit dem Mund zu sagen scheu getragen; Pyrrha hat so brünstiges Anblicken nicht beobachtet / biß sie seiner Gewogenheit deutlicher verständiget worden / als auff eine Zeit eine Windstille / und er auf deß Schiffs Hindertheil sitzend / diese Verßlein / seinem Lautenspiel gleichstimmend / hören lassen.


1.

– – U – – UU – – U – – U

Du / du ruhiger Wasser-Speigel /

(sonder schwülstiger Fluten Hügel)

sihst in Silber zerflossenen Wellen /

meiner Augen Liebsthränen Quellen.

– – – – – UU – – UU – – – U U – –

Ich trieffende Bäche vermehret das Meer /

Weil schweiget der Winde sonst brausendes Heer.


2.

Nun mein Seufftzen verstärckt die Winde.

Diese Winde / so jetzt gelinde

unser Segel Gezelt erregen;

der Eißvögelein Nester hegen.

Der Würbel die Fluten und Struten vertreibt /

Mein Leben / ohn Scheiden beharzlich verbleibt.

* Wann die Eißvögel nisten /

so ist das Meer Windstill.


3.

Ach / es schweigen nie meine Schmertzen /

sie bekriegen die Ruh' im Hertzen.

Meine Flammen vermehrt das Meynen /

so die Schöneste nicht bescheinen;

Ihr sehet und höret mein trauriges Spiel:

Sie siehet mich / höres / und schweiget doch still.


6. Dieses Liedlein hat Pyrrha / nicht sonder Empfindlichkeit gleicher Gegen-Liebe verborgen angehöret / und sich beduncken lassen / daß niemand auff dem Schiffe / als sie / welche solches Klaglied verursachte / suchte deßwegen Gelegenheit / sich ihres Wahns zu versichern. Das Schiff / so groß es auch seyn mag / ist doch zu viel Leuten ein kleines Hauß /[15] daß gleichsam alle in einem Zimmer wohnen / und einander kennen müssen. Nachdeme nun dieser Peregrin mit den seinen etliche Monat herum geschwebet / halten die Schiffleute mit ihrem Herrn Raht / wo sie den Weg hinrichten wolten / und waren bereit unfern von der besagten Magelanischen Strassen.

7. Inzwischen dieser Berathschlagung spielte Deucaleon ein Liebesgedicht auff seiner Laute / und Pyrrha fragte: wer doch die Glückseelige were / deren dieses zu Angedencken gesungen würde? Er antwortete / daß solche die Tugend / so ihm in Pyrrha Gestalt zu Gesicht käme. Nach kurtzen Wortwechsel / versprechen diese beyde einander die eheliche Treue / und sind bedacht / solche Verlöbnus zu volziehen / sobald sie zu Land kommen würden; befürchtend / daß Peregrin / welcher ein stoltzer Mann / nicht darzu verstehen würde / wann er ihrer Liebe einträgtig werden solte. Ob sie nun wol beyderseits / sich als ehrliche und Tugendliebende Gemühter keusch zu halten gemeint / hat doch der Verzug ihrer Reise / und das lustrende Fleisch und Blut / die zulässige Verträulichkeit inbrünstig Liebe gewandelt / daß sie für keine Sünde geachtet / warzu das eheliche Band allein verpflichtet.

8. Nachdeme sie nun ihr Beylager ohne Gesang und Klang gehalten / hat Pyrrha nach und nach die Anzeichen einer Schwangern spüren müssen; welches dann dem klugen und argwöhnischen Peregrin nicht verborgen seyn mögen; daher nimbt er Ursach seiner Schwester zu zusprechen / und mit vielen falschen Worten die Bekandtnus herauß zu locken. Als er nun deß Verlauffs gewiß / und Pyrrha eröffnet / was sie nicht länger verbergen mögen / hat er seine gefaste Nachgier / mit geneigter Einwilligung verborgen / auß Forcht Deucaleon / möchte die Schiffleute und Soldaten / welche ihn sehr geliebt / auff seine Seiten bringen / und sich ihme widersetzen.

9. Nachdem sie nun an einer unbekandten kleinen Insel die Ancker gesencket / frisches Wasser zu holen / und eine Zeit[16] zu rasten / ist Deucaleon mit seiner Pyrrha / mit vielen andern außgestiegen. In der Nacht lässet Peregrin / etliche Kleider / Speise / Pulver und Bley / einen Hauen / Schreib- und Feuerzeig / etc. außladen / und befihlet den Schiffleuten / welchen er seinen Rath geoffenbaret / das frische Wasser in das Schiff zu bringen / und die neuen Eheleute zu Nachts in der Insel allein zu lassen / welches auch also werckstellig gemacht worden. Zu Morgens sahen sich diese in der Einöde gantz allein: bitten / schreyen und flehen / so sie nachgeschicket / war vergebens. Sie sahen die Straffe ihrer Mißhandlung / und hatten ihren Ehestand ohne des Schiffherrn Vorwissen angefangen / und mochten selben nun auch ihme unwissend fort setzen.

10. In was Bestürtzung waren doch diese beyde Eheleute? die Reue war bey beyden / der Ort reitzte sie zu der Buß / und ob sie sich wol in ihrer Lieb Freyer ergötzten / waren sie doch voller Furcht und Wartung der Dinge / die da kommen solten / weil die Zeit der Geburt herzu nahet. Sie musten auß der Noth eine Tugend machen / und sich in der Einöde zu leben schicken. Sie baueten eine Hütten / sonders Zweiffel wie Adam und Eva / als sie aus dem Garten Eden verstossen worden. Deucaleon gienge täglichs auff die Jagt / und versahe die Küchen mit Wildpret: Pyrrha aber grube Wurtzel auß / suchte Kräuter zusammen / und führten also nächst einer gesunden Wasser-Quelle / ein elendes Haußhalten / da es an Mangel nicht gemangelt.

11. Nach etlichen Wochen muste Pyrrha die neue Welt vermehren / zwar nit mit Steinen / wie jene bey dem Poeten / sondern mit einem jungen Sohn / welchen der Vatter nach Christlicher Gewonheit selbst getaufft / und zugleich aus der H. Tauff erhoben: Weil aber / wie unschwer zu ermessen / die Nahrung der Mutter und des Kindes kärglich / ist dieser lebendige Stein Deucaleonis bald wieder in die Erden verscharret worden. Deucaleon erkranckte nach etlichen Monden / und tröstete sich mit seiner Pyrrha Liebe / und mehr als[17] männlicher Standhafftigkeit: Setzte also sein letztes Schwanen-Gesang zu Papier / und liese seine Laute kläglich darzu erklingen.


1.


Trauriges Leben / nichtiger Thand /

flüchtiger Schatten / ungelücks Pfand /

felsigte Wälder / grünende Wähler /

schlanckende Flüsse / liebliche Thäler /

sehet die Plag /

höret die Klag!


2.


Einsame Wüsten / grausame Thier'

höret mich kläglich allhier!

Pyrrha hör nun Deucaleons Lieder /

Echo bringt ächtzend Trauren herwider /

reimet mir nach /

dopplend das Ach.


3.


Süßlichte Sände / bittrer Gestanck /

vorige Freüde machet mich kranck:

Quälen und plagen / zagen und klagen /

folget dem frevlen Sünden behagen.

Schwanen Gesang /

ender den Klang.


4.


Lieben hat vor mein Leben beglückt /

Leiden und scheiden beydes bestrickt:

traurige Seele / schmertzliches Leben /

eile dich nun dem höchsten zu geben:

Leben und Todt

Kommet von GOTT.


5.


Treue Gefertin / liebestes Haab /

Pyrrha hier grab Deucaleons Grab!

hertzlich geliebte / schmertzliches leiden /

machet uns endlich trennen und scheiden.

Seeliger Todt /

endet die Noth.


Mit diesen und dergleichen Worten sinckete er zu der Erden / und Pyrrha begrube ihn mit vielen Threnen / hangend seine Laute / seinen Degen und seine Büchsen an den ob dem Grab stehenden Palmbaum.[18]

12. Wie vielmahls ihr Pyrrha den Todt gewünschet / ist nicht außzusagen / doch hatte sie die Hoffnung / daß die Straffe / welche ihr / ihr tyrannischer Bruder angelegt / sich enden / und ihr GOTT aus diesem Elend helffen werde / wie auch ein Jahr nach ihres Manns Tod erfolgt / in dem ein Frantzösisches Schiff durch Ungewitter / an besagte Insel geworffen / daß diese Pyrrha mit zerrissenen Kleidern / in fast abscheulicher Gestalt auffgenommen / und ihre Geschichte mit Verwunderung angehöret worden. Der Schiffherr nahme zum Gedächtnis die Laute und den Degen von Deucaleons Grab / und liesse auff dem Grab ein Creutz auffrichten. Also kam Pandora wieder in Franckreich / und hörte / daß ihr unbarmhertziger Bruder todt; lebte noch etliche Jahr in grosser Traurigkeit / und wurde von ihrer vielen als ein Wunder angesehen.

Wir lernen hierauß / daß das Raisen / sonderlich zu Wasser / eine sehr gefährliche Sache seye für die Weibsbilder und daß sie der Müssiggang und die Gelegenheit zu sündigen / ihre Ehre in Gefahr / wo nicht in die höchste Schande setzet. Also sagt man die frommen Weiber sind Schnecken-Art / und weichen nicht von ihrem Hause.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 13-19.
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