(CXIV.)
Die Sieben-Schläfer.

[51] Die Bildungs-Kräfften (Imaginatio) von den Bildern welche sie durch die äusserlichen Sinne fassen / können verletzet werden / daß die Gedächtniß und der Verstand unverletzt bleibet. (Galen. de loc. aff. & de sympt. diff. Cels. l. 3. c. 17. Menoch. Consil. 92. num. 221. vol. 1. Daher man nicht allen wunderlichen Leuten die Verwaltung jhrer Güter nimmet / ob sie gleich zu Zeiten grillisiren. Also drehet sich in den Augen eines Schwindelhirns alles herum. In den Augen eines Gelbsüchtigen ist alles gelb / und die Schlaffenden verlieren jhre Vernunfft und Gedächtniß nicht / ob sie gleich wunderliche und zerbrochene Traum-Bilder sehen: gleicher weiß / wie ein Unsinniger der schläffet / deßwegen nit verständig kan genennet werden.[51]

2. Wie es mit den natürlichen Ursachen / deß Menschen Schlaffes beschaffen / ist vnder den Naturkündigern noch fast strittig. Etliche wollen / daß der Schlaff sey eine Ruhe aller äusserlichen Sinne zu der Gesundheit und Erquickung deß Thieres dienlich / dardurch wird der Schlaff unterschieden / von den Ohnmächten / Schlage / fraischlich und andern der gleichen Zufällen / die einen krancken Schlaff mit sich bringen / und von übermässiger Feuchtigkeit oder Kälte herkommen.

3. Der natürliche gesunde Schlaff aber / entstehet von den auffsteigenden Dämpffen / welche das Gehirn anfeuchten und gleich einem Tau / wider herunter fallen / und alle Bewegung hinweg nehmen. Etliche aber sagen / daß nicht die Feuchtigkeit sondern der Mangel der Lebens Wärme / deß Schlaffes Ursache / die nemlich nicht genugsam / die Glieder zu beherrschen / ohne darzwischen kommende Ruhe / und deßwegen blassen auch die Schlaffenden / weil das Geblüt zu dem Hertzen eilet / und die äusserlichen Glieder gleichsam verlässet.

4. Die Ursach deß Schlaffes muß eine geschwinde Ursach seyn / welche von einer Schnell beweglicher Sache entstehet: Solches können die groben auffsteigenden Dämpffe nit seyn / die von der Speise herkommen / sondern die Wärme wie gesagt / welche fast in einem Augenblick den gantzen Leib beweget / und auch unbeweglich machet / wann nemlich solche Wärme zu rücke weichet / die Kochungen zu befördern / die zu deß Menschen Unterhaltung vonnöthen sind / und deßwegen muß auch ein Schlaffender ohne Farb seyn.

5. Der Schlaff entstehet auch von der Müd- und Mattigkeit / von der Stille / von dem lieblichen Getön / etc. Diese äusserlichen Ursachen befördern die innerlichen / daß die Hirn-Geisterlein (Spiritus animales) als die vornemsten Werckzeuge deß Leibes / zu gewissen Zeiten ruhen auß angeschaffener Eigenschafft; gleich wie die Lebens Geister (Spiritus vitales) von dem Hertzen regieret / und sich in der Freude / im Zorn / und Traurigkeit bemercken lassen.

6. Dem seye nun wie jhm wolle / so ist der Schlaff ein König[52] der Götter / wie jhn Orpheus nennet / der reiche und arme grosse und kleine vergleichet / und ohne den Schlaff kan deß Menschen Leben nicht lang bestehen. Der Schlaff ist ein Anzeigung einer guten Gesundheit / eine Erquickung der Kräfften / ein Anstand der Sorgen / eine Ruhe deß Leibes / und Beschäfftigung der Gedancken / vermittelst der natürlichen und übernatürlichen Träume.

7. Also giebt es auch übernatürliche Schläffer / wie erzehlet wird in den Kirchen-Historien / daß sieben verfolgte Christen zu Zeiten Käysers Domitianis sieben Jahr (daher das Sprichwort von den faulen Siebenschläfern / oder auch von denen / die biß auff die siebende Stunde deß Tages zu Bette liegen / entstanden) hinter einer alten eingefallenen Mauren geschlaffen / und ob wol solches hart zu glauben scheinet / so muß man doch nicht zweiffeln / daß Gottes Allmacht nicht verkürtzet / und daß er uns unbewuste Mittel habe / die seinigen zu retten in der zeit der Noth. Die Folge gehet auch nicht an: Ich glaube es nicht / wie Thomas / darumb ist es falsch.

8. Albert Crantz schreibet in seinem achten Buch Wendischer Geschichte am 40. Cap. daß zu Lübeck in der Mühl-Strassen (in noch stehendem Hause bey dem Lämlein oder Lamken genant) ein Schuler sich heimlich verschlossen / daß er ohne Hinderniß schlaffen und ruhen möchte; legte sich deßwegen in ein Kämmerlein / dahin niemand zu kommen pflegte. Die Leute in dem Hause vermeintend daß er in sein Vatterland verraiset / und konten doch nicht wissen / warumb er nicht Urlaub genommen.

9. Sieben Jahr hernach (ist eine verdächtige Zahlwegen deß Erlaß Jahrs / da die Juden jhren Knechten die Freyheit versprochen / und selten gehalten) wurde dieser Student ohngefehr gefunden / und von einem in dem Hause auffgewecket. Er vermeinte daß er wenig Stunde geschlaffen / und war an der Gestalt und Kleidern gantz nicht geändert / und hat doch die Zeit über noch gessen noch getruncken / welcher übernatürlich / oder betrüglich zugehen müssen.[53]

10. Dieses erinnerten sich alle in dem Hause / daß er vor 7. Jahren verlohren / und auch gesuchet worden / wie es auch dazumal zugegangen / hat er alles gewust; was ihm aber inzwischen begegnet / war ihm als einem starck schlaffenden / unbekandt. Dieses wird auch in der Lübeckischen Chronica oder Zeit- Buch gelesen / daß sich gewißlich dergleichen etwas / wo nit alles erzehlter massen zugetragen haben muß. Zu Erfüllung dieser Erzehlung wollen wir zween Träume der wachenden anführen / so theils vortheilig / theils nachtheilig außgeschlagen.

11. Thomas à Vega in Comment. super Gal. c. 84. hat geschrieben hinderlassen / daß einer lang an einem hitzigen Fieber gelegen / und gantz verwirrte Reden geführet. Unter andern bate er / man solte ihn doch in dem Weyer (auff den Fußboden deutend) schwimmen lassen, er verhoffte sich wieder zu kühlen / und gesund zu werden / Der Artzt sahe / daß er keinen Schaden nehmen konte / und verwilliget darein: So bald wirfft er sich auß dem Bette / und waltzte sich in dem Zimmer herum / sagend / daß ihm das Wasser an die Knorren / hernach an die Knie / hernach an die Gurgel gienge / und den gantzen Leib erfrischet habe / daß er nun bald wieder genesen würde / welches auch erfolget.

12. Marcel. Donatus in hist. Medic. mirab. l. 2. cap. 1. schreibet hingegen / daß einer zu Vincentz ihme eingebildet / er habe einen so grossen Leib / daß er nicht könne zu der Thür hinauß gehen; der Artzt wolte ihm seinen falschen Wahn zu verstehen geben / und ließ ihn mit Gewalt auß dem Zimmer tragen / darüber er sehr klagte / daß man seinen Leib und alle Gebeine zerbrochen / über die Träger Rache geschrien / und ist bald hernach gestorben.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 51-54.
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