(CXXIII.)
Die beglückte Einfalt.

[84] Die Naturkündiger schreiben / daß der Hirsch / wann er verwundet worden / ein Kraut esse / das Hirschen Zungen benant / und daß er von solchem Kraut wieder heil werde. In nachfolgender Geschichte wollen wir sehen einen Gefangnen / der fälschlich angeklagt / und unschuldig verurtheilt worden / welchen ein schlechtes und einfältiges Wort bey dem Leben erhalten hat / als ihm gleichsam das Messer schon an der Gurgel gestanden. Ist etwas lächerliches in dieser Erzehlung / so ists doch sehr ernstlich und ohne Schertze zu betrachten / wie die Göttliche Vorsehung die Unschuldigen / auff gantz unerwarte Weise zu retten pflege.

2. In Aragonien haben die Landherren fast alle den Blutbann / und so viel Macht über die Unterthanen / als über leibeigene Knechte. Man kan an keinen Oberrichter die Sache bringen / sonderlich aber in Diebssachen / Todschlägen / Brennen und dergleichen / da dann ein solcher Herr so viel verlieret / wann er einen hinricht als wann der König in Franckreich in einer Feldschlacht den kürtzern ziehet.

3. Es begabe sich / daß in besagten Königreich ein Marggraff 2. Underthanen hatte / welche sich nit wol mit einander stellen konten. Der eine Manuel genant / hatte Ceviliam eine Dirne sehr geliebt / welche der andre Gauderich gefreyet / und deßwegen zu eiffern Ursach hatte / weil Manuel ihr zu gefallen gienge / und Gauderich zu bösem Verdacht veranlaste. Ob nun wol Cevilia ein ehrliches Weib / so liesse sie doch / auß stoltz gerne geschehen / daß ihr mehr / als einer auffwartete / und achtete solches für einen Ruhm ihrer Schönheit.

4. Gauderich hielte deßwegen sein Weib übel / schluge sie auff einer Seiten / und auff der andern draute er Manuel / er solte sich bey seinem Hause nicht mehr betretten lassen. Manuel[84] lachte dieser Trauwort / und darüber kamen sie zu Streichen und salbten einander mit Fäusten / auff gut Bäurisch / daß kein Todschlag darbey zu befahren.

5. Gauderich hatte wider einen von seinen Nachbaren Sergen 2. Rechtfertigung / eine wegen einer Erbschafft / die andere wegen etlicher Schmähwort / so sie wider einander außgestossen: Cevilia sahe das böse Haußhalten / welches jr Mann mit ihr führte / unn bespricht sich mit Manuel / daß er ihren Mann erwürgen / und sie freyen solte / welches er auch zu thun versprochen.

6. Dieser Manuel nimmet etliche Strassenrauber zu sich / unn wartet Gauderich in dem Walde / da er Holtz laden muste / vor / und hilfft ihn jämmerlich ermorden. Nach dieser That machen sich die Thäter von dannen / und erwartet Manuel die Gelegenheit / wieder zu kommen und Ceviliam zu heuraten; inzwischen aber ließ er den Ruff gehen / daß er in den Krieg gezogen were.

7. Es fügte sich aber / daß eben denselben Tag Sergius in den Wald gegangen / einen Vorrath von Holtz zu schaffen / und fande alldar den entleibten Gauderich / seinen gewesenen Feind. Er erstaunet ob solchem Anblick / und weiß nicht was er sich entschliessen sol. Die Flucht macht ihn verdächtig; solte er darzu stillschweigen / so würde jeder der seine Strittigkeiten mit diesem Entleibten gewust / ihn für den Thäter halten. Nach langem Bedacht gehet er hin / und meldet diesen Fall der Obrigkeit an / bringt es aber mit zittrender und zagender Stimme für / daß er / als der Thäter / in das Gefängniß geworffen wird.

8. Dieser Sergius war zwar unschuldig / doch bekente er auß Furcht der Marter / er were der Todschläger seines gewesenen Nachbaren / und wurde darüber zum Strang verurtheilet. Es mangelte aber deß Orts an einem Galgen / den solte ein Zimmerman auffrichten / der Sergio guter Freund und Gevatter war / deßwegen er verweigerte seinen Tod zu fördern; sonders Zweiffel auß Göttlicher Vorsehung / damit die Unschuld / mit Verlauff der Zeit / an den Tag kommen möchte.[85]

9. Der Zimmermann wird für den Graffen erfordert / und befragt; warum er den Galgen nit auffrichten wolte / wie S. Gräfl. Gnaden gnädig befohlen. Ach sagte er / wann ich gewust hette / daß der Galgen für E.G. gehörte / ich wolte ihn längst fertig haben, ich habe aber gehört / daß man meinen Gevattern daran hangen solte / daß were mir leid. Nun wil ich den Galgen also bald für E. Gnad machen. Hierüber erzörnete sich der Graf / und ließ diesen auch in Verhafft bringen / wiewol er dieses auß unschuldiger Einfalt gesagt.

10. Inzwischen höret Manuel / daß Sergius üm das Leben kommen solte / und wil sein Gewissen / mit keiner Mordthat mehr beschweren / sondern schreibet an seinen Herrn abwesend / daß er und nicht der Gefangene / den Gauderich ermorden lassen. Man besuchet den Botten / und befindet noch einen Brieff bey ihm an Ceviliam / in welchem Manuel sie bittet / sie solte nach Barcelona kommen / er wolte sich mit ihr trauen lassen / weil nun mehr Gauderich durch ihren Rath und seine Thate auß dem Wege geraumet worden.

11. Diese Nachrichtung brachte Ceviliam also bald in das Gefängniß / und überführte sie ihres Ehebrecherischen Mordes / welches sie auch / ohne alle peinliche Frage gestanden / und an dem Galgen / welcher für den unschuldigen Sergium gemachet / erworget / er aber auff freyen Fuß gestellet worden. Fast wie dort Haminan der Galgen gedienet / welchen er für den alten Mardochai bauen lassen.

12. Also ist deß Gevatter Zimmermans Einfalt mit Fug beglückt zu nennen / weil er dardurch unwissend Sergio das Leben errettet. Er hat auch in der Gefängniß Zeit gehabt seinen Fehler zu erkennen und üm Verzeihung zu bitten / welche ihm auch widerfahren / weil er keinen Vorsatz gehabt / seinen Herrn zu beleidigen. Daher sagt jener recht / daß auch die Unschuld keine sichere Freystatt sey für die Unglückseligen / für welche meisten Theils die Hochgericht erbauet sind.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 84-86.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.