(CXXVII.)
Die seltene Rache.

[98] Wer mit einen Wolff zu thun hat / sagt das Sprichwort / der schicket ihm zur hinder Thür einen Hund in das Hauß / zu verstehen / daß wir Menschen sehr geneigt sind uns heimlich oder offentlich zu rächen / welches doch nit seyn solte / weil Gott die Rache gebühret / und unsre Rache zwar sanfft thut / aber einen bösen Lohn giebet / und ein solcher Rachgieriger nit zu hohen Ehren kommet / oder wann er in denselben sitzet / sich durch die Rache wider stürtzet. Gerecht und Fromm seyn ist die gröste Rache / die man dem Neidhart und Feinde thun kan. Wer[98] sich rächen wil / muß sich wol verwahren: daher der Ahl in dem Lehrgedicht die Schlange fraget / wie es komme / daß man ihr mehr / als der Schlangen nachtrachte? Die Schlange antwortet: die Rache ist meine Wehr / niemand beleidiget mich ohne Schaden und Gefahr / wie dich.

2. Wir Menschen ehren Gott nit / weil er die Missethaten rächet / sondern / weil er selbe verzeihet / und uns unsre Sünden vergiebet: also werden auch die Wolthätigen und Sanfftmütigen geehret und gerühmet / die Rachgierigen aber haben Gott und Menschen zu Feinden. Hier wollen wir von einer löblichen und zulässigen Rache eine Erzehlung einfügen / und deß allergnädigen Gottes wunderbare Schickung darauß erkennen / welche sich in dieser Begebenheit blicken lässet.

3. In Franckreich an dem Loirefluß / hielte sich auff eine adeliche Jungfrau / genāt Sydonia / welche nach ihrer Mutter frühzeitigen Tod / von ihrer Basen angenommen worden / da Apronian / ein reicher Edellmann / der von seinen Vattern zu den Regimentsdiensten erzogen worden / mit ihr in Kundschafft und Freundschafft kommen / hat er in ihren Angesicht grosse Schönheit / in ihren Geberden / grosse Holdseligkeit / und in ihrem Verstand solche Ubertrefflichkeit gefunden / die ihn zu ehlichen Gedancken veranlasst / und were die Sache sonders Zweiffel / nach Wunsch Werckstellig gemachet worden / wann nicht Flesculus der Jungfrauen Vatter solches verhindert.

4. Dieser war aller Gelehrten Feind / weil er ungelehrt war / gestalt die Wissenschafften keine ärgere Verächter / als die derselben unfähig sind; und solches auß dem falschen Wahn daß die Rechtsverständigen alles Unheil in einem Geschlecht anrichten / zancken und grübeln / ja sich niemals mit billichen Sachen ersättigen lassen. Sie sind / sagte dieser Edelmann / wie der Epheu / oder Wintergrün / ein Kraut / daß sich an einen Stamnien oder einer Mauren erhöhet / allen Safft außsauget / und endlich zu Grund richtet: wolte also seine Tochter lieber einem geben / der den Degen an seiner Seiten hätte / und seines gleichen wäre / als einen / der sich unter dem Schein Rechtens von ander Leute Ungerechtigkeit nehren müsste.[99]

5. Apronian war zwar bereit die Feder / so er in der Hand zu haben pflegte / auf den Hut zu stecken / und das Schwert anzugürten / wo er dz Dintenfaß zu tragen pflegte; Aventin aber sein Vatter wil darein nit willigen / sondern seinen einigen Sohn sein Amt und seine Güter hinterlassen / weil er sich wol darbey befunden und lachte dieses verliebten Vorsatzes / daß er Sydonia Vatter zu Gefallen in den Krieg ziehen wollen / welchen er über hundert Meil Wegs / weil damals in gantz Franckreich Friede war / suchen müßte / und viel näher eine andre und ihm anständigere Heurat finden könte.

6. Apronian lässet bey Flesculo üm seine Tochter anwerben / muß aber zum andern und drittenmal hören / er gebe seine Tochter keinem von der Federn aus erheblichen Ursachen / welcher er zu eröffnen nit schuldig seye. Inzwischen aber mehret sich dieser Verliebten Hertzensneigung / und wol der Sydonia und Apronian durch ihre Eltern verbotten / mit einander zureden / so unterliessen sie doch nit schrifftliche Versicherung ihrer Beständigkeit zu wechslen / entschlossen / alle Hinternissen zu überwinden: ja endlich ihr Eheliches Versprechen eidlich zu bekräfftigen / daß sie niemand als der Tod scheiden solte / es seye gleich selber natürlich / oder bürgerlich / wie die Juristen reden / das Grab / oder das Kloster.

7. Zu solchem Gelübd hatte Ursach geben Odilio ein junger Gauch / der erst von dem Italianischen Fechtboden kommen / und vermeinet / daß ihn alle Weibsbilder in der Welt (wie in dem Pomerantzen-Land die Hofdirne üm Gelt zu thun pflegen) ohne Liebsbrunst nit ansehen können. Als er nun Sidoniam erblicket / und von ihr schlecht abgewiesen worden / hat er sie an ihren Vatter begehret / weil er gehöret / daß sie ein Soldat und kein Schrifftling / darvon bringen solte.

8. Flesculus erfreuet sich dieses künfftigen Tochtermannes / und verspricht ihm / was nit sein eigen war / der Hoffnung / er würde Sydoniam so leicht / als ihn / zu solchen Verlöbniß willigen machen. Sie fanden sich aber beede weit betrogen / weil Apronian bereit den Ort eingenommen / und mit seiner Besatzung / deß Belägrenden Theils spottete. Als nun Odilio sahe /[100] daß ihm Apronian vorkommen / wolte er mit ihm fechten / und Sydoniam zum Preiß ihres Streites aufwerffen; Apronian aber welcher mit der Feder / und nit mit dem Degen umzugehen pflegte / konte sich ohne Lebensgefahr nit darzu verstehen / deßwegen ihn Odilio / nach dem verjüngten Masstab prügeln liesse.

9. Apronian erzehlte seiner Sydonia / was er wegen ihrer gelitten / und daß er sich zu rächen begehrte / in dem sie beede in das Kloster gehen / und diesen Odilio mit leerer Hoffnung abziehen machen würden. Nach kurtzem Bedacht entschleußt Sydonia sich dergestalt ihres Vatters Gehorsam / und Odilio Vermessenheit zu entziehen / und Apronian machte den Anfang und begabe sich in ein Carthäuser Kloster / welches unferne von der Statt gelegen war

10. In dem Kloster schriebe er beharrlich an Sydoniam / sie solte ihm folgen und sich an Odilio / ja an der gantzen Welt mit ihren Abtritt auß der Welt rächen. Sydonia wurde anders theils von ihren Vatter genöthiget / sich mit Odilio / welchen sie als einen Feind hasste / trauen zu lassen / und entschlosse sich endlich lieber die Mauren als den Mann zu haben / flohe auch heimlich dahin / und berichtete solches zurücke / daß sie niemand als der Tod von so heiligem Vorsatz scheiden solte.

11. Als Apronian solches gehöret / und zugleich vernommen / wie Flesculus und Odilio sich darüber betrübet / hat er sich hertzlich erfreüet / und weil er noch in dem Prob-Jahre / hat er vermeint / er habe nun seine Rache werckstellig gemacht / weil er Odilio Sydoniam auß den Händen gerissen / und ist wieder auß dem Kloster gesprungen / willens weltlich zubleiben und zu heuraten wo er aber hingekommen / ist er mit den Mönchsstand geschertzet und verlachet worden / daß keine Jungfer deß Ortes seiner Hulde haben wollen.

12. Nach etlicher Zeit ist dieser Apronian in eine schwere Kranckheit gefallen / und hat dardurch Zeit gewonnen / alle Thorheiten seines Lebens zu betrachten / da ihm dann das Klostergelübd / welches er benebens Sydonia gethan / wieder zu Sinne kommen / und ihn in seinen Gewissen also geängstiget / daß[101] er nochmals sich verbunden / wann ihn Gott anff dem Siechbette der Kranckheit würde ob siegen lassen / daß er wiederum in das Kloster gehen / und die übrige Zeit seines Lebens in Gottes Diensten zu bringen wolte: dieses hat er auch / nach erfolgter Genesung gethan / unn sich also an der Welt / Fleisch und Blut / ja an allen seinen Feinden / auff eine seltene Weise gerächet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 98-102.
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