(CXXIX.)
Der verborgene Falck.

[105] Das Sprichwort sagt recht / daß die / welcher Eltern noch leben / und sie nichts lernen lassen / arme Waisen / die aber von ihren Eltern viel erben / sind keine Waisen zu nennen. Die Mütter lehren die Kinder gehen wie der Krebs seine Jungen / und sagte der Mohr zu Heydelberg / sein Vatter habe auch ein wackers Söhnlein wollen haben / da er nun geboren / und die Weiber bey der Kindertauff den Wein allen außgetruncken / und gerne mehr gehabt / habe er solches gehöret / den Krug genommen / und Wein geholet / nachmals sich wieder zu seiner Mutter in das Bette gemachet / die ihn gescholten / daß er Barfuß im Schnee über die Gaß gelauffen / und keine Schuh angezogen.

2. Dieses ist nun eines kurtzweiligen Tischraths Schertz / ausser allem Streit aber unwidersprechlich / daß die Kinder den Eltern sollen Gehorsam leisten / weil sie leben / und sonderlich ihre letzte Wort unnd Vermahnungen in[105] unentfallenen Angedencken behalten und jederzeit beobachten; wann sie aber solche übertretten und verachten / werden sie es spat bereuen müssen / ob gleich selbe zu Zeiten nur schlechte Sachen antreffen / wie jener seinen Söhnen von dem Lurtschspiel befohlen.


Söhnigen Söhnigen was ihr thut /

Behalt die 4. und 6. gut.


Welche aber unter ihnen dieses nicht beobachtet / haben sich arm gespielet.

3. Dieses wird gemeldet wegen eines Genuesers Namens Reinaldo Scaglia / welcher einem einigen Sohn grossen Reichthum hinterlassen / und ihme auff seinem Todbette diese drey Lehren gegeben: 1. Soll er seinem Weibe keine Geheimniß vertrauen. 2. Soll er keinen an Kindsstatt aufferziehen. 3. Soll unter keiner Herrschafft wohnen / welche keinen Oberherrn habe. Wann er aber eines oder das andre auß der Obacht lassen solte / könne er versichert seyn / daß die Reue nicht werde außbleiben. Hiermit gabe er ihm den letzten Segen / und verschiede.

4. Salardo hatte gehöret / daß der Sterbenden letzte Wort wol zu mercken / weil sie gleichsam einen Vorgeschmack deß ewigen Lebens haben / unnd von zukünfftigen Weissagungen / war auch gewillet / dieses alles in unentfallenen Angedencken zu behalten. Nach wenig Monaten verliebte er sich in Theodoram Doriam / und liesse sich mit ihr / auff vorhergehende Einwilligung beederseits Freundschafft / nach Landsgewohnheit trauen.

5. Dieser beeden Liebe war so brünstig / daß sie gleichsam wie Leib und Seele verbunden / und ohne Schmertzen nicht mochten geschieden seyn; jedoch waren sie ohne Kinder / welche ihre Glückseligkeit vollkommen machen können / deßwegen sie solchen Mangel ersetzet / und Posthumio / einen schönen Knaben einer Wittibin der Nachbarschafft / an Kindsstatt / angenommen / und mit Vätterlicher und Mütterlicher Liebneigung aufferzogen.

6. Es fügte sich auch nach etlichen Jahren / daß Salardo[106] eine Raise in Monferrat verrichtet / und alldar einen Herrensitz an sich kauffet / weil er seine Gelder nicht besser / als an unbewegliche Güter angelegt vermeinte. Der Hertzog nahme diesen Frembden gnädig auff / und weil er ein höflicher und kluger Kopff / muste er fast täglich bey Hofe seyn / und wurde endlich so geliebet / daß nichts ohne ihn gehandelt / und alles durch seine Vermittlung geworben wurde.

In diesem Wolstand gedachte er an seines Vattern letzte Vermahnung / und sagte bey sich selbsten / daß die Alten nit allezeit wol rahten / und daß die Erfahrung ihm nun ein anders lehre / in dem er einen gehorsamen Sohn an Posthumio / und einen gnädigen Fürsten an seinen Hertzog: Er wolte nun das erste auch probiren und seinem Weib ein Geheimniß vertrauen / zu erfahren / ob sie ihm dann untreu / und ihn in Ungelegenheit bringen würde.

8. Dieses Vorhabens nimmet er den besten Falcken / auß seines Herrn Federflug / und gibt ihn seinen Freunde Sostheno / mit Bitte solchen lang zu verbergen / biß er böse Zeitung von ihm hören werde. Der Freund ist ihm in diesem zu willen / und nimmet den Falcken an. Als solches geschehen / fügte er sich zu seinem Weib / und sagt ihr / daß er ein Mittel gefunden / sich deß Hoflebens zu entziehen / und deß Fürsten Gnaden / welch ihm so viel Verdrust machten / zu entgehen / in deme er seinem besten Falcken den Kopff umgedrehet / (er hatte aber einen schlechten Vogel von den seinigen in den Händen) und nun gewillet were / solchen mit ihr heimlich zu verzehren / sie solte ihn zurichten / und dieses verschwiegen halten.

9. Theodora sagte / daß er übel gethan / doch sey das beste hiervon kein Wort zu sagen / und solche geschehene Sachen in höchster Stille zu halten; massen keine Marter in der Welt sie dieses solte bekennen machen / etc. Als nun der Falck über Tisch kame / wolte Theodora nit darvon essen / auß Furcht sich dieser Mißhandlung theilhafftig zu machen. Salardo legt ihr für / sie wil nicht einen bissen darvon kosten: Er befihlet ihr sie soll essen / sie sagt nein: Er drauet ihr / sie spottet seiner /[107] daß er endlich erzörnet / ihr die Hand auff die Wangen leget / und ihr einen harten Backenstreich versetzet. Hierüber laufft sie auß dem Hause / und weil sie kein andres Mittel sich zu rächen / eilet sie nach Hoff / und verschwatzet das Geheimniß dem Hertzog / welcher Salardo alsobald in Verhafft bringen lässet / und nach befragen / wegen solchen Frevels zum Tod verurtheilet.

10. Zu allem Unglück war kein Scharffrichter vorhanden / welcher Salardo das Leben enden solte / und der Hertzog hatte verruffen lassen / daß seiner Güter ein drittel dem Weib / ein drittel dem Sohn / und der dritte Theil dem der ihn erwürgen würde / heimfallen solte. Als Posthumius solches hörte / meldet er sich an / seinen Pflegvatter zu hencken / damit die Güter beysammen bleiben möchten / und hierein verwilligte Theodora / und lobte Posthumium als einen guten Haußhalter.

11. Salarda reute nun der Schimpff und gedachte / daß vielleicht der Falck inzwischen gestorben seyn möchte / weil Er niemand von seiner Unschuld / sondern jederman von seinem augestellten Rechtstag reden höre. In diesem Zustande gedachte er zu rücke an seines Vatters Vermahnungen / welchen er zu wider sich in Todes Gefahr gestecket / und nun leichtlich darinnen ümkommen könne / in deme er seines Weibs / und seines Sohnes Untreu / so wol als seines Fürsten Ungnade zugleich erfahre.

12. Als er nun das Urtheil angehöret und sich zum Tode bereiten sollen / kommet Sosthnes mit dem verborgenen Falcken hervor / beglaubet Salardo Unschuld / und erzehlet dem Hertzog alles / was sich mit diesem Edelmann begeben / und wie er seines Vatters Lehren auff die Probe setzen wöllen. Als der Hertzog solches angehöret / hat er ihn auff freyen Fuß gestellet / Posthumium aber als einen undanckbaren Sohn an den Galgen wollen hencken lassen / Salardo aber hat ihn erbetten / und mit dem Strang deß Lands verwiesen: Theodora hörte von ferne / wie es ihrem Manne ergangen / und ist seinem Grimm zu entfliehen / in ein Kloster entloffen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 105-108.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon