(CXXXVI.)
Die Vollsäuffer.

[128] Ein Trunckenbold giebt keinen guten Mond: Er ist alle Tag voll / der Mond aber in vier Wochen nur einmal. Solche werden nachdenklich Helden in der Fůllerey / von den Propheten genennet / weil sie mit Gläsern streiten / und wann sie einen erlegt / so rühmen sie sich / als ob sie eine Heldenthat verrichtet. Darzu dienet nun das Gesundheittrincken / welches den Artzten und Apotheckern allein wol bekommet / denen aber welche solcher Gestalt andrer Gesundheit anwünschen mit Worten / bringen ihnen mit Wercken die Kranckheit an den Halß / und scheinet fast verantwortlicher / daß man die Gesundheit nit bescheid thue / und nüchtern die Stiege abgeworffen werde / als daß man sich dardurch vollsauffe / und die Stiegen selbst abfalle.

2. Woher nun dieser Gebrauch komme / sind unterschiedliche Meinungen. Etliche führen das Gesundheittrincken von den Hebreern her / welche bey den Geburtstagen jhrer Könige und Fürsten / ihnen langes Leben / glückliche Regierung / und alles Wolergehen angewünschet / dieses ist auch nachmals auff gemeinen Mahlzeiten in Gebrauch gekommen / und soll auch Joseph solches gethan haben / mit dem Becher / den er Benjamin hat lassen einbinden / von welchem geschrieben stehet / daß er damit weisgesagt / das ist dem König viel gutes angewünschet. Nachmals ist es auch auff Gemeine und Anwesende gebracht worden / daß die Lateiner zu sagen pflegen: Bene Te, bene me, bene nostras familias, etc.

3. Etliche wollen diese Gewonheit sey von den Leichb gängnissen entstanden / in welchen man nach abgelegter Traurigkeit den Trost und Freuden Becher hat lassen herum gehen / zugleich auch den noch übrigen Gesundheit / Heil und Segen[128] gewünschet. Dieses weren noch verantwortlich / wann es bey dem Becher der Frölichkeit verbliebe / mit vorbehalt der alten Teutschen Freyheit / daß man wie bey Ahasveri Mahl / Bescheid zu thun nit gezwungen würde / welches gewißlich der Stiffter alles Unheils / der leidige Teuffel erfunden haben mag; massen solche Säufferey Sünde / und ein Anlaß zu allen Lastern.

4. Je köstlicher eine Sache / je schädlicher ist desselben Mißbrauch. Was ist doch schätzbarer und köstlicher / als der Wein? Er giebt die beste Nahrung / er wird am geschwindsten zu Blut / er erfreüet dz Hertz / versichert solches für allen Gifft / dient dem Hirn / vertreibt die Sorgen / macht wol schlaffen / und die Zunge fertig zu reden / er erwärmet den Magen / hilfft der Deyung / macht gutes Geblüt / stärcket die Lebens geisterlein / und ist eine alltägige Artzney. Wird er aber mißbraucht / unn zu viel getruncken / so bringt er nit weniger Schaden; er verursachet den Schlag / Lähmūg der Glieder / das Zipperlein / Flüsse / Haubtweh / und schwächet / wegen der Menge die natürliche Lebenshitze / daß dz Sprichwort wahr / welches saget: Offt und frühe getruncken / früh gestorben. Der Wein sagt Celestina / hat 2. Mängel / der gute verderbet den Beutel / der böse den Magen. Trinck ich Wein so verderb ich / sagt jener / trinck ich Wasser so sterb ich; doch ist besser dreymal verdorben als einmal gestorben.

5. Noch viel grössers Nachtheil bringt das ůberflüssige Weintrincken dem Verstand: In dem dardurch das Gehirn verdüstert / der Mund die Geheimniß deß Hertzens verräth / den Willen deß Menschen zu böser Brunst verleitet / und das Ebenbild der Gottheit / dessen Anzeichen in unsrer Vernunfft / wiewol sehr unvollkommen / übergeblieben / wird durch die Trunckenheit ausgeleschet / und der Mensch dem Viehe gleich / ja noch ärger / dann das Viehe nit mehr trincket / als der Durst und Notturfft erfordet / und liesse sich über Noth zu sauffen nicht nöthigen / solte man es auch zu tod schlagen.

6. Also wird der Wein wol gemeinet: Die beste und die ärgste Gabe / so den Menschen verliehen worden. Wie nun jener gesagt / ein Zorniger solte sich in dem Spiegel beschauen / und sein ungestaltes Angesicht betrachten: Also soll auch ein Nůchterner[129] andre Trunckene betrachten / so wird er leichtlich absehen können / daß auch ihme solches übel anstehe: wie wir dann lesen / daß die Lacedemonier ihre Knechte voll sauffen lassen / ihren Kindern für diesen Lastern einen Abscheu zu machen / als durch welches sie den Gebrauch aller äusserlichen und innerlichen Sinne verlieren.

7. Das viel trincken ist nun das einige / welches man uns Teutschen aufrucket / und ist doch etlicher massen zu entschuldigen / ja unter die Hoftugenden zu rechnen / wann nemlich einer einen starcken Trunck vertragen kan / daß er bey guten Verstand bleibet / seine Sachen bey solcher Gelegenheit werben kan (massen etlicher Fürsten Gnade mit sauffen zu erkauffen) sonsten aber kein Gefallen oder Belieben zu dem Trunck träget / und durch viel bescheid thun die Bescheidenheit nicht verlieret. Wann nun solches selten und gezwungen beschihet / ist er wol bezecht oder betruncken / aber deßwegen kein Trunckenbold und Vollsäuffer zu schelten; und halten die Artzney verständigen mit Hippocrate deß Monats einmal / solches für gesund / hingegen aber ein gar zu unordentliches Leben für sehr gefährlich und beschwerlich.

8 Solche Leute sind von einander leichtlich zu unterscheiden. Der Vollsauffer wird in Regimentssachen wenig dienen / weil sein Verstand sich nit gar weit erstrecken kan / und heist es bey ihm heut voll / morgen doll. Nach deme die Feuchtigkeit od' die Hitze deß Weins den Leib beherrschet / nach deme werden die Anzeichen zu beobachten seyn. Die Hitze verursachet den Zorn / die Fertigkeit zu reden / die Röthe in dem Angesicht / wie auch der Prophet solches beobachtet / wann er das Weh schreiet über die / so Abends und Morgends sitzen außzutrincken / wz eingeschencket ist / daß sie der Wein erhitze. Darvon kommen die kupfern Wangen / die scharlacken Nasen mit Rubinen versetzet / und die funklenden Augen.

9. Wann nun die Feuchtigkeit überhand hat / erfolget darauf die Trägheit / ein auffgelauffner Bauch / ein schweres Haubt / das lauffen über den gantzen Leib / eine schwache Zunge[130] und noch schwächere Beine / darauf sich der Leib / ohne schwanken nit halten kan. Dieses alles würcket nach Beschaffenheit deß Weins unn deß Gehirns dessen / der solchen zu sich genommen: deßwegen auch die alten Bacchum gemahlet auf einen Melancolischen Thiegerthier / neben ihn einen Cholerischen Löwen / hinter ihn ein phlegmatisches Schwein / und vor ihn einen blutreichen Affen.

10. Welche aber dem vollsauffen nicht ergeben sind / sondern nur zu Zeiten / wann es seyn muß / sich bezechen / ohne Verletzung ihres Verstandes / erweisen / daß sie ein gutes und reines Gehirn haben / und also vermuthlich kluge und weltweise Leute sind: massen ein schwaches Hirn / wie die Weiber und Kinder haben / keinen starcken Trunck vertragen können. Diesen wird man in dem Angesicht nicht ansehen / daß sie gerne trincken / und wann solches seyn muß / werden sie wieder außnüchtern und darauf fasten. In gemein sind sie grosse starcke Leute / wie die Teutschen zu seyn pflegen / daß man wol zween Spanier und ein Italiäner daraus schnitzen könte / wann sie von Holtze weren. Cyrus hat das Königreich ertruncken / und die Athenienser haben ihre Obrigkeit (Onoptas ap. Cæl. Rhodig.) erwehlet / nach der Wolvermögenheit zu trincken. Nestor wird bey dem Homero mit seinem grossen Becher eingeführet / und viel werden durch den Trunck kluger: ja es scheinet / Gott habe aus sondrer Vorsehung den kalten Mägen der Teutschen den guten Rheinwein verordnet / und das Eichene Holtz selben aufzuhalten gegeben / daß sie solches herrlichen Gewächses deß Patriarchen Noa / mehr als andre Völcker geniessen sollen und können.

11. Dieser Unterscheid zwischen einem Trunckenbold und einem Trunckenen / hat auch der Apostel beobachtet / wann er sagt / daß kein Trunckenbold / das ist / der sich täglich vollzusauffen pfleget / dem der Tag zu trincken zu kurtz / und die Nacht üm auszunüchtern nicht lang genug ist / soll das Reich GOttes ererben. Wann solches von den Trunckenen / welche keine Gewonheit daraus machen / solte gesaget seyn / were es manchem zu kurtz geredet. Wir vergehen[131] uns aber zu weit / und wollen auff dem Schauplatz etliche närrische Säuffer stellen / welche einander zu abenteurlichen Bescheid thun vermüssiget.

12. Die Schiffer schneiden sich in die Weichen deß Leibs / oder in die Hand / und lassen ein Tröpfflein Bluts in den Becher oder Glaß triefen / wann sie mit einander Brüderschafft machen: etliche schneiden / oder durchstechen die Ohren / sie trincken aus Pantoffeln / aus den ledern Häublein / durch de Knebelbart / etc. wie solches der Säuffer Buchhalter / der Teutsche Rabalais fleissiger in sein Regiester getragen. Die Frantzosen haben sich in diesem Stucke / wie auch allen andern Sachen sinnreich erwiesen / wiewol fast unhöflich / in deme etliche gute Gesellen eine Gesundheit getruncken von dem Wein / der einer gantz entblösten Weibsperson auf den Rucken gegossen worden / etc. Von solchen Soldaten Baccchi ist ein mehrers zu sehen in dem VI. Theil der grossen Schauplatzes jämmerlicher Mordgeschichte.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 128-132.
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