(CLXI.)
Die Spätlinge.

[145] Man sagt nicht ohne Ursache / daß die keine Kinder haben / unglückselig glückselig sind / weil kleine Kinder kleine Sorg / grosse Kinder grosse Sorgen mit sich zu bringen pflegen. Von Anfang deß Menschlichen Lebens / ist Schmertzen und Angst / in der Geburt Jammer und Elend / in der Erziehung Sorg und Mühe / in Erwachsung der Kinder[145] Mangel und Unterrichtung vonnöthen / bey ihrem Tod / Klag und Betrübnis. Dieses alles haben die Weiber nicht zubefahren / welche unfruchtbar sind / und ist gleichsam der Fluch Eva auf sie nicht geerbet. Wann es aber mit dem Kindertragen übel hergehet / so mehret sich der guten Weiberlein Elende / und werden sie zu Zeiten wegen eines Spätlings außgeschrien / da sie doch keine Schuld daran haben.

2. Spätlinge nennen wir / wann die Schafe in dem Herbste lammen / Frülinge / wann sie in dem Lentzen werfen. Hier aber wird dieses Wort genommen für solche Kinder / die spat nach ihrem Zwilling oder Dreyling geboren werden / und kommet solches her von unterschiedlichen Zeiten der Empfängnis. Diese Sache wird verglichen einerley Fleisch / welches Stücke zu unterschiedener Zeit in den siedenden Hafen geleget wird. Hier fragt sichs nun / warumb solches nit öffter beschehe / da man doch sich der Weiber bediene / nachdeme sie empfangen haben. Die Artzneyverständige ziehen theils folgende Erzehlungen in Zweiffel / und wollen / daß die Mutter nach der Empfängnis geschlossen bleibe / theils / daß sie durch kräfftige Beywohnung / und weibliche Begierde wieder eröffnet / und noch einer affter Frucht zu Zeiten fähig werde.

3. Etliche geben noch eine andere Ursache / und sagen / daß die Knäblein ins gemein in dem siebenden oder achten / die Mägdlein aber in dem neunden Monat geboren werden; Wann nun der Knab gezeitiget / sey kein Wunder / daß die unvollkommene Frucht noch länger in ihrem Orte verbleibe / und dann auch hernach folge / wie etwann das Winter- und Sommer-Korn nicht zu gleicher Zeit reiffe wird. Was für Unterscheid zwischen der rechten und lincken Hand / dergleichen ist auch zwischen Mann und Weibspersonen / daher sehen wir / daß keine Weibsperson lincks und rechts zu gleich ist / weil sie nicht gnugsame Wärme / so die beede Arm gleich stärcken könte. Wir wollen aber diesen Streit nicht außfechten / und uns begnügen / etliche sondre Begebenheiten anzumercken.[146]

4. Zu Achen ist für etlichen Jahren ein Frau darnider kommen mit Dreylingen / welche 8. Tage und 8. Nachte nacheinander geboren worden / daß der erste vierzehen Tage nach dem letzten auf die Welt gekommen. Dieses hat den Naturkündigern grosses Nachdencken verursacht. M.L. Jaubert in dem dritten Buch von den gemeinen Fehlern am 1. Cap.

5. Zu Beaufort bey Angiers ist ein junges Weib Mariæ Chamiere Tochter / eines Kindes genesen / und 10. Tage hernach / wider eines Kindes / welches man ihr auß dem Leibe reissen müssen / und darüber ist sie gestorben / Pareus in seinem 22. Buch am 5. Cap.

6. Eine Spanierin brachte ein Kind auf die Welt: die Diener sagten ihrem Herrn die neue Mähr; er aber gabe zur Antwort; es wird darbey nit bleiben / und were mir eine Schand / daß ihm nit mehr Kinder auf einmal geboren werden solten / als einem gemeinen Mann. Was geschihet? nach etlichen Stunden bringt sie noch fünff Kinder auf die Welt. Al. Torquemada in dem 1. Buch.

7. Zacharias Scarpaire Weib / kame zu Florentz mit einem Sohn darnider; und 3. Monat hernach noch mit einem Sohn / welcher heut zu Tage noch bey Leben ist / und mit Gewürtz handelt / in der Burg S. Laurentz N. Nicolas in dem 6. Discurs Tr. 1. c. 22. dergleichen erzehlet auch Dodonäus in seiner 3. Anmerckung.

8. Deß Gaillarts Präsidentens zu Valence Weib hat 4. Monat nach ihres Herrn Todt / einen Knaben zur Welt geboren / und 5. Monat hernach noch einen / der erste war unvollkommen / und ist bald gestorben / der ander aber ist groß worden A. Laurent in seinem 2. Buch von der Zergliederung / bey der 32. Frage.

9. Christina Schühtin / hatte mit ihrem ersten Mann zehen Kinder erzeuget / und verheuratete sich nach ihrem Tod zu Michael Vogel / Richter zu Bolligheim / in einem Flecken 3. Stunde von Basel / und befande sich wieder schwanger in dem 50. Jahre ihres Alters / unnd in dem 30. ihres[147] Ehestandes. Diese kame erstlich mit einer Tochter / Maria nachgehends benamet darnider / und 8. Wochen und 5. Tage hernach mit einem Sohn Michael nach seinem Vatter genennet / welcher Sohn noch im Leben. Christina aber ist nicht mehr schwanger worden. Fr. Rousset.

10. Weil die Sache nicht gar erfreulich / wil ich hier noch zwo kurtze Erzehlungen anfügen / welche einen miltzreichen noch wol solten lachen machen. Ein Spanier gienge nach Gewonheit in die Kirchen / als sein Weib in Kindsnöthen lage. In deme er nun sein Gebet verrichtet / kame einer seiner Diener und brachte die fröliche Zeitung / daß sein Weib genesen. Wol sagte der Herr: Was hat sie gebohren? eine Tochter.

Knecht: Nein Herr / viel besser.

Herr: Was dann / einen Sohn?

Knecht: Nein viel besser.

Herr: Hat sie dann Zwilling oder Dreyling gebracht?

Knecht: Nein viel besser.

Herr: Sag dann / du solt ein gutes Botten-Brod haben.

Knecht: eine todte Tochter. Dieses hat er für das beste gehalten / weil die Weiber / wegen ihrer Menge in Hispania sehr verachtet sind.

11. Ein Edelmann hatte Verlangen zu wissen / ob sein schwangers Weib / einen Sohn gebären würde? Er hatte viel Mannslehen / welche alle ohne männliche Erben / nach seinen Tode heim fielen. Solches versprache ihm ein Storger oder Landsfahrer zu sagen / wann er ihn sein Weib gantz entblösset wolte sehen lassen. Der Edelmann willigte darein / wiewol nit gerne. Nachdem er nun das Weib / ihr unwissend / geschauet / sagte er: forne wie ein Mägdlein; hinten wie ein Knab.

12. Hierůber erzörnte sich der Edelmann / und lohnte dem Propheten mit Prügeln. Es fügte sich aber daß das Weib darnider kame / und Zwilling / einen Sohn und eine Tochter auf die Welt brachte / deßwegen der Edelmann bereute / daß er die Warheit so übel bezahlet. Es ist aber die Natur gleichsam keusch zu nennen / in deme sie Zwilling eines Geschlechts in[148] ein Balglein / unterschiednes Geschlechts in zwey Bälglein absonderlich verhüllet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 145-149.
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