(CXLIV.)
Die Riesenkinder.

[155] Wann wir von einem grossen Mann sagen wollen / so nennen wir ihn vierschrötig. Was schrot und schroten seye / wissen die Müntzer wol / welche dieses Wort für das Gewicht / das Korn aber fůr den halt der Müntze gebrauchen: Wie es sich aber auf einen grossen Mann ziehen lasse / und wie das Wort vier darzu komme / das ist unlautbar. Wir halten darfür / daß es vor alters geheissen vierschrittig: massen ins gemein ein jeder so hoch / als drey seiner Schritte / das ist 6. Schuhe in die weiten außtragen / welche aber vier Schritte lang sind / die müssen acht Schuhe / und also übermässig hoch seyn. Deme seye nun wie ihm wolle / (gestalt wir eigentlichern Muthmassungen gerne weichen) so sollen dieses Orts etliche solche Riesenkinder auf den Schauplatz gestellet werden.

2. Von den ersten Riesen ist ein grosser Streit unter den Gelehrten / über den Spruch 1. Mos. 6 / 2 / 4. Da stehet / daß die Kinder Gottes die schönen Töchter der Menschenkinder zu Weibern genommen / welchen sie gewolt / sie beschlaffen / gewaltige und grosse Riesen von ihnen erzeuget. Durch die Kinder Gottes werden ausser allen Zweiffel die Nachkommen Seths verstanden / durch die Töchter aber der Menschen / das Cainische Geschlecht. Etliche halten darfür / daß der böse Feind / in leiblicher Gestalt / die Weibsbilder beschlaffen / und dardurch sein Reich vermehret / ist aber gefehlt / weil die Frommkeit oder Boßheit keine grössere oder kleinere Kinder erzeugen machet.

3. Andere verstehen durch die Kinder oder Söhne Gottes sehr grosse Leute / weil die Berge / die Cedern und alles wz groß ist / bey den Hebreern Gott beygemessen wird / als Ninive war eine Stadt Gottes / das ist / sehr groß. Wann aber vorhin Riesen gewesen / so hätte die heilige Schrifft hiermit ihre Ankunfft nit vermelden dörffen / daß solcher hergekommen von den Kindern Gottes / welche zu den Kindern der Menschen eingegangen: man wolte dann sagen / daß solche Riesenkinder dermals angefangen Gewaltige zu werden / und andre unter zu drucken /[156] wie Nimroth gethan / von welchem in dem Text folget.

4. Die Grösse deß Leibes scheinet ein Zeichen einer Vollkommenheit / deßwegen auch die Götter von Poeten für doppelt groß / die Halbgötter / halb so groß / als gemeine Leute sind / beschrieben / und von den Mahlern auch grösser gemahlet werden. Saul der erste König in Israel / war eines Kopffs grösser / als alle andre / unn ihn hatte Gott erwehlet / und ist die Grösse deß Leibes / ein grosses Stuck der Schönheit / daß auch die kleinen Weiberlein sich auf ihren hohen Schuhen groß machen wollen / und also ihrer Länge eine Elln zusetzen. Ein kleines Männlein wird allezeit wünschen grösser zu seyn; ein Grosser aber wird nicht wollen klein werden. Gleich wie ein Herr auß seiner Behausung erkennt wird / und kleine und schlechte Leute nicht pflegen in grossen Palästen zu wohnen: also ist in einem grossen Leib auch ein grosser Geist vermutlich / und solche Leute sind ins gemein die Mitternächtigen Völcker / und die Teutschen / von welchen Tacitus schreibet / daß sie sich vor dem 20. Jahre nit geheuratet / und deßwegen so viel stärckere Kinder erzeuget / und die Weiber die Geburtsschmertzen leichter erdultet.

5. Wann nun die Grösse deß Leibes so hoch zu achten / ist ausser Zweiffel / daß die Thiere hierinnen überlegen / als die Elephanten / Pferde / Püffel / etc. Es findet sich aber / daß die grösten Thiere den kleinsten Verstand haben / und daß ein kleiner viel gesunder und vernünfftiger / als ein grosser weil jenes Leib von der natürlichen Hitze viel leichter erwärmet und beseelet werden kan / als dessen / da die Hitze zertheilet / und die böse Feuchtigkeiten nit verzehren mag. Ein Grosser ist besser zu der Handarbeit / ein kleiner zu der Haubtarbeit. Samuel hat den kleinen David seinem grossen Bruder auß Gottes Befehl vorgezogen / und sind die grossen Riesen gottlose Leute gewesen / welche mehr Fleisch auff sich haben / und mehr fleischlich gesinnet gewesen / als andre.

6. Die natürliche Ursache deß Wachsthums ist die Feuchtigkeit mit Schleim vermischet / dahero kommet auch / daß die Fische in kurtzer Zeit so groß erwachsen sind / aber unn[157] den Thieren die allerdummsten und unberichtesten. Diese Feuchte betaubet das Gehirn / daß kein grosses Nachsinnen darbey seyn kan; wie dann auch die Weiber feuchterer Natur / als die Männer / und weniger klug / als sie. Wann nun der Mensch wegen seines Verstandes ein Mensch genennet wird / so ist diese Grösse deß Leibes ihme die dienlichste / welche als ein schicklicher Werckzeug seiner Vernunfft zu gebrauchen / und solte die mittelmässige Grösse / wann es wünschen gelte / fast am vorträglichsten seyn.

7. Es ist aber das Riesengeschlecht noch nicht abgestorben / und haben sich zu unsrer Vätter Zeiten / wie auch bey uns übergrosse Leute gefunden. Dergleichen einen Surius (in den merckwürdigen Sachen unsrer Zeit) beschreibet / und vermeldet / daß er ein Schaff oder gantzes Kalb auf einmal verzehren können / mit Haut und Haare / und noch gesagt / daß ihm solches erst einen Lust zu essen mache.

8. An Joachim deß zweyten Churfürsten von Brandenburg Hof ist einer der kleine Michel genant / Thürwarter gewesen / welcher 8. Schuhe hoch gemessen worden / hat aber nicht lang gelebt. Matth. Horstius, in seinem Zweykampff von David und Goliath.

9. Chassagnion meldet in seinem Buch von Riesen / daß König Franciscus in Franckreich einen Bauren von Bourdeau unter seine Trabanten genommen / dem andre mittelmässige Männer durch die Beine unangestossen gehen können; er hat sich aber in das Hofleben nicht geschicket / und ist wieder zu der Bauren Arbeit entflohen.

10. In Indien sollen noch viel Riesenkinder gefunden werden / sonderlich in der Insel Sametra und China / da etliche 12. etliche 15. Schuhe hoch sind / und hat König Henrich der vierte einen Trabanten gehabt / der so hoch ist gewesen / als er / wann er zu Pferde gesessen.

In Engelland habe ich einen solchen grossen Mann gesehen / daß ihm alle die höhesten unter den Armen durchgehen können. Dieser war ein Schmidsknecht in Schottland / und hatte man ihm eine Gruben gegraben / darinnen er stehen müssen /[158] mit den andern gleich auf den Ambos zu schlagen: Als der König diesen Riesen gesehen / hat er ihn zu seinem Thorwärtel gemachet / und mit sich geführet / daß er auch bey jüngsthingerichtem König Karls Zeiten / noch bey Hoff gewesen.

12. Diese Erzehlung von den Riesen / wollen wir mit den kleinen Männlein beschliessen. Ein Zahnbrecher unn Storcher hatte sich vermessen 3. Männlein / vermittelst eines Bades / grösser zumachen: Sie versprachen jme dz begehrte Geld / und zahlten die hälffte alsobald. Als diese nun in dem Bad sassen / liesse er ihre Kleid' durch etliche Schneid' kleiner und kürtzer machen / und vermeinten diese Zwerge / daß sie so viel höher worden / fanden sich aber betrogen / und von jederman außgelachet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 155-159.
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