(CXLVIII.)
Der Warheits-Zwang.

[169] Viel leichter ist / nach dem Sprichwort / die Warheit hören / als reden / weil man mehr Zuhörer derselben findet / als welche solche reden: Deßwegen jener / als man ihn gefragt? Wie weit die Lügen von der Warheit? recht geantwortet / so weit die Augen von den Ohren / weil nemlich nur das für wahr gehalten wird / was man mit den Augen sihet / und nicht was man höret. Man soll der Lügen ein Hauß bauen / ausser der Stadt / wie ein Pestilentzhauß / aber nur auf drey Seulen / daß sie der Wind reinigen kan. Von solchen Warsagern wollen wir etliches in dieser Erzehlung anmelden / und bemercken / wie solche auff nicht gemeine Weise erzwungen wird.

2 Wir wollen hier nicht widerholen / was wir von der[169] peinlichen Frage / an unterschiedlichen Orten / beygebracht / auch nit gedencken / daß der Wein und die Weiber durch angenehmen Zwang / die Warheit herauß pressen können / und daß man ohne Bekantnis deß Verbrechens niemand zu dem Tod verurtheilen kan; deßwegen die Richter auf solche Mittel gedacht / die schmertzlich aber nicht tödlich sind / und unterwerffen keinen solchen Proben / wann nicht genugsamer Beweiß / oder Zeugschafft wider einen Ubelthäter vorhanden / und er doch mit der Warheit nicht herauß wil. Da dann die Marter ein Antheil seiner Straffe wird.

3. Uber die gewöhnliche Marterbanck oder Folter / da man die Glider deß Menschen außeinander ziehet / hat man noch viel Mittel erdacht / die Missethäter zu peinigen / und ist eines der Hunger und Durst / welchen der Mensch nit gar lang ertragen kan: Sonderlich aber der Durst / in dem man solchen Leuten täglich gesaltzne Speisen zu essen giebet / und keinen Tropffen zu trincken. Weil aber etliche wenig / etliche gar nit trincken / wie Dr. Schenck viel solche Exempel er zehlet / ist dieses jetziger Zeit nit mehr gebräuchlich. Die Pillulen von Taback machen / daß man Hunger und Durst leichtlich erdulten kan.

4. Von den grossen Plagen eine ist / daß man einen solchen Ubelthäter der nit bekennen wil / viel Speise und starckes Geträncke zu lässet / bindet ihn aber auf eine Banck / da er die Füsse nit aufstellen kan / und die 2. entblösten Arm über sich / so offt er nun schlaffen wil / stossen jn die Henckersbuben mit brennenden Facklen in die Seiten / und ist keine Pein schmertzlicher und deß Menschen Leib wenig schädlicher / massen man einem solchen die Ruhe und den Schlaff verspricht / so bald er die Warheit bekennet.

5. Ferners hat man sich von Alters deß Feuers unnd deß Wassers gebrauchet / und zwar deß Feuers auff zweyerley Weise; daß sie entweder die Ubelthäter gezwungen auff glüenden Kohlen zu gehen / dardurch die Fußsohlen gantz verbrennt / und ein solcher nit mehr die Zeit seines Lebens gehen kunte: oder beschmierten die Fußsohlen mit Schweinsfett / und liessen sie von ferne also braten.[170]

6. Das Wasser gebrauchten die Alten also: Sie banden dem Ubelthäter die Hände und Füsse / spanten ihm den Mund mit einem Knöbel auff / gossen hernach einen Kübel nach den andern über sein Angesicht / daß zu Zeiten ein solcher ersticket ist. Etliche haben gar Kalchwasser genommen / etliche Essig / oder Wasser mit Essig vermischt / und es auch wol in die Naßlöcher gegossen; ist aber keine peinliche Frage / sondern eine Straffe / mit welcher man die Leibeignen Knechte zu belegen pflegt.

7. Lächerlich ist / aber noch viel verdrüßlicher was folgen soll. Man hat den armen Sünder außgezogen / und ihm einen Kefer auf den Nabel gesetzet / solchen mit einem Glaß oder einer Stürtzen bedecket / und also beedes den Menschen und besagte Stürtzen aneinander gebunden / daß keines weichen können. Es soll nicht außzusagen seyn / was dieses grüsseln deß Kefers für eine Plage / und ist leichtlich zu glauben / weil ein Floh in dem Ohr sehr beschwerlich ist / der doch keine so spitzige Füsse hat / als ein Kefer.

8. Es scheinet auch / daß die Menschen auff noch wunderlicher Qualen sich bedacht / in deme sie einen Ubelthäter auff eine Banck gebunden / die Füsse entblösset und die Sohlen mit Saltz gerieben / oder mit Saltz-Wasser angefeuchtet / hernach eine Geiß / welche unter allen Thieren die rausten Zungen haben / das Saltz ablecken lassen / da man gesehen / daß die Geiß alles Fleisch / biß auff die Gebeine weggefrettet.

9. In deme nun der Richter die Warheit herauß zwingen wil / muß er bescheidentlich verfahren / damit der unschuldige darüber nicht leide / unnd er ihme die Straffe Gottes auff den Halß ziehe. Wann genugsame Proben zu der peinlichen Frage vorhanden / und der Ubelthäter eine Person / welche nach den Gesetzen an die Folter gespannet werden kan / (dann man die Knaben / schwangere Weiber / krancke oder sonst schadhaffte Leute verschonet) muß man[171] erstlich betrachten das Verbrechen / alsdann mit Schreckworten bedrauen / mit binden / mit dem Daumstock / mit Anhangung deß kleinen Steins. Wann alles dieses zu unterschiedlichen Zeiten vorgenommen / nichts helffen wil / mit den grösten Steinen verfahren.

10. Wil dieses alles nicht gnugsam seyn / pflegt man den Ubelthätern kaltes Wasser in den Rücken zu giessen / lässet ihn an der Folter hangen / erschittert die Stricke daran er gebunden / jedoch / daß man länger nit / als eine Stunde darmit umgehe / in welcher Zeit man ihn rasten lassen muß / daß er verschnauffen / sich bedencken und bekennen kan: Hat er aber diese peinliche Frage zum drittenmal außgestanden / so hält man ihn für unschuldig / und wird der Verhafft entlassen; jedoch nach Beschaffenheit der Sachen / und wird dieses zu unterschiedenen Tagen / unnd allezeit vorgenommen / wann der Missethäter zuvor gessen hat.

11. Hier fragt sich nun zweyerley / erstlich: Warum man die Ubelthäter zu bescheren pflege; und wann derselben viel / welche man am ersten mit der Frage angreiffen soll? Daß sie ohne Haare bekennen / lehret die Erfahrung / und wissen wir / daß Samson seine Stärcke in den Haaren gehabt. (Richt. 16. v. 19.) bey dem Ovidio hat Nisus nit können überwunden werden / so lang er die Haare auf dem Haupt hatte / welche ihm Scylla abgeschoren. Mit den Haaren nimmet man vielen auch die Künheit und Tapfferkeit / daher alle leibeigene abgeschorne Haare tragen müssen / und ist bekant / daß die Verschnittenen und Weiber / welche keine Haare um den Mund haben / furchtsam und verzagt sind. Es werden ihnen aber die Haar abgeschnitten / wegen verdächtiger Zauberhändel / und weil solchen Beschornen auch die Kälte das Haubt schwächet unn Schmertzen verursachet; welche sie unter den Haaren zu verbergen pflegen / und beschehet solches / wann sie das erstemal nit bekennen wollen / und dann weil sie grössern Schmertzen an dem entblösten Haubt leiden / in deme alle Schweißlöchlein eröffnet werden / und die Feuchtigkeit der tieffgewölbten Gefängnissen / welche die Haare aufhalten / nit kan gehindert werden.[172]

12. Auf die andre Frage finden sich unterschiedliche Meinungen / und wollen etliche / man sol den ältesten / welche am verständigsten seyn / und die andern abmahnen sollen / am erste angreiffen: andre wehlen den jüngsten / als den einfältigsten / der die andren am leichtsten verrathen solte: Etliche aber nehmen den / dessen Angesicht am tyrannischsten außsihet / und ist nit zu zweiffeln / daß in den Augen das Hertz gleichsam erscheinet / und fehlet man nit leichtlich / wann sonderlich andre Umstände / die einen solchen beschweren / darzu kommen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 169-173.
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