(CLIII.)
Furcht und Schrecken.

[196] Diese Rähtsel ist von der zweyten Art / und bestehet in versetzten Buchstaben deß Wörtleins Furcht und Frucht. Was nun hier von der Frucht gesagt wird / das ist von der Furcht leichtlich zu verstehen. Es wird aber die Furcht von dem Schrecken unterschieden; wir fürchten uns für der Gefahr / als wann uns etliche Mörder nacheilten; wir erschrecken aber für einem unversehenen Fall / als wann ein Mann von einem Dach herunter fiele. Gewißlich ist die Furcht eine von den stärcksten Gemütsbewegungen / und übertrifft die Liebe und die Hoffnung.

2. Es ist aher eine kindliche Furcht / welche mit Ehrerbietung und Vertrauen beknüpffet ist / unn eine knechtliche Furcht / die von Erwartung der Straffen herkommet: Jene ist in der Frommen / diese in den Bösen zuerkennen. Es fürchten die Menschen nit das gröste / sondern das nähste und ihnen widerigste Ungemach; wie wir sehen / daß ihrer viel den Galgen / die Galeen / und andre offentliche Schandmahle fliehen; die Laster aber / welche sie die Gnade Gottes verlieren machen / und ihre Seele verderben in der Hölle / die scheuen sich nit im verborgen zu begehen. Warum? Weil die Straffen Gottes verzögern / die Straffen der Menschen aber bald kommen können.

3. Die Furcht ist das Band deß Gehorsams / und wann solches entlediget / so gehet alles über und über; deßwegen jederzeit die klugen Gesetzgeber auch bey den Heyden / die Furcht der Götter / der Eltern und Oberherren für den Grund aller beständigen Regimenter gehalten: weil nemlich die Obrigkeit aller Orten nicht seyn kan / so soll man sich für Gott / und für denen die uns zu der Welt geboren / scheuen. Also ist die Furcht in allen Welthändeln / und wird derselben Anfang Fürsichtigkeit und Bey- oder Vorsorge genennet / und gegen die künfftige Gefahr zu verwahren / oder derselben zu entschütten.

4. Wie mächtig nun die Furcht in den Menschen ist /[197] daraus zu schliessen / daß etliche aus Furcht von Sinnen kommen / und wann eine Traurigkeit unn die Einsamkeit dazu kommet (Misrachia genant) so hat der böse Feind ein gewonnenes Spiel: deßwegen man die Kinder mit allerhand Gauckelwerck nit soll fürchtend machen / damit sie nicht gewohnen ihnen selbsten Sachen einzubilden / die nicht sind / sondern sie unter der Ruten halten / und sie selbe fürchten lassen.

5. Es ist sich aber nit zuverwundern / daß etliche fürchten was nit ist / weil vielmals die behertzten Feldherren die Flucht genommen / bevor sie einen Feind gesehen und wird solche Furcht von dem Hirten Gott Pan benamet / weil die Heyden vielmals erfahren / daß die Heerden sich zerstreuet und geflohen / da sie doch niemand gejaget und kein Wolff in der Nähe gespůret worden / welches sie dem Pan zugeschrieben. Wann sich nun dergleichen unter den Soldaten begiebt / so nennet man es Pansfurcht (terrorem Panicum) wolte man nun durch den Gott Pan / den höchsten und Allmächtigen Gott verstehen / so würde man sich nicht irren / weil er bedrauet den Gottlosen ein feiges Hertz zu geben / daß sie beben sollen / wie das Laub an den Bäumen / daß sie zu einem Thor außziehen / und zu sieben einfliehen sollen.

6. Verständige Feldherren sind jederzeit nit weniger bemühet gewesen / ihren Soldaten ein Hertz einzusprechen / als den Feind das Hertz zu nehmen und eine Furcht einzujagen / deßwegen man viel falsche Zeitungen pflegt außzusprengen / welche / wann sie 24. Stunde leben / grosses Heil und Unheil / auf einer oder andren Seiten verursachen können. Gleich wie eine Goldwage durch ein Stäublein oder durch den Odem kan beweget / und auf die lincke oder rechte Seiten bewogen werden; also auch ist deß Menschen Sinn / in Erwartung der Dinge / die da kommen sollen / mit einer falschen oder wahren Zeitung / auff eine oder andre Seiten zu ziehen / daraus grosser Vortheil oder Nachtheil erwachsen kan.

7. Also gebrauchte Gedeon der Trompetenschall / und die zerbrochnen Häfen die Amalekiter zu schrecken. Doch kan solches keine Pansfurcht genennet werden / weil solche keine[198] offenbare Ursach hat wie gesagt / sondern von übernatürlichen Ursachen eingegeben wird. Wir lesen 1. Sam 14. 15. daß in der Philister Lager / welches Jonathan unn sein Waffenträger angegriffen / ein Schrecken gekommen / also / daß dz Land erbebet; dann stehet darbey / es war ein Schrecken von Gott gekommen. Psal. 6. 13. 1. Mos. 35. 5. und an vielen andern Orten mehr / ist umständig hiervon zu lesen. Die falsche Einbildung hat hierbey keinen geringen Antheil / und rühret her von einen ungefähren Wahn / und verblendet den Verstand / daß er als durch ein grünes Glas / alles grün anschauet / und anders als es ist / betrachtet / deßwegen jener wol gesagt: Ein Feldherr soll nit alles glauben / und nicht alles verachten / was man ihm vorträget.

7. Viel sind aus Furcht in kurtzer Zeit grau worden / viel haben aus Furcht und Entsetzen die Pest an den Hals bekommen / viel haben aus Furcht bewilliget / das hernach nicht hat gelten können / und haben die Rechte hierinnen weislich verordnet / daß in solcher mit Furchten behaffter nichts verbindliches schliessen könne l. 1. ff de eo quod met 9 causa. etc. weil er nemlich nit bey völligen Verstand / und von der Furcht in seinen Gedancken verwirret / unn sein freyer Will / der zur solchen Handlung vonnöthen ist / durch die Furcht gehemmet wird. Wie aber solche Furcht beschaffen seyn müsse / ist hin und wider bey den Juristen zu lesen.

9. Carolus Molineus ein gelehrter Jurist von Paris / hat zu Tübingen gelehret / in Bestallung deß Hertzogen von Würtenberg / als aber sein Wirt ihn gerne aus dem Hause vertreiben wolle / und gehöret / daß er noch Ratzen noch Mäuse hören oder sehen könne / hat er in der Nachbarschafft solche Thierlein zusammen fangen / und ihm verborgen in seine Kammer sitzen lassen / dafür er sich so entsetzet / daß er bey der Nacht das Hauß geraumet / und eine andre Wohnung gesuchet.

10. Aldana ein Hispanier in Siebenbürgen hat sich zu Lippe so sehr gefürchtet / daß er entschlossen / die Festung mit Pulver in die Lufft zu sprengen / so bald der Bassa von Budweiß auf ihn würde anziehen / wie das Geschrey[199] erschollen: Als er nun zween außgesendet / sie solten Kundschafft bringen / und sie von keinen Soldaten weit und breit gehört / sind sie Spornstreichs wider zurucke gekommen / und als ungefehr eine Herd Viehes / einen Staub hinter ihnen gemachet / hat sich Aldana so sehr gefürchtet / daß er das Pulver angestecket / und die Festung in die Lufft gesprengt / deßwegen er auch auf Leib und Leben gefangen gelegen / und hernach erbetten worden. Ascanius Centorius l. 5. de bell. Transylvan.

11. Vor Jahren zu unsrer Vätter Zeiten ist zu Labath der Hauptstadt in Kärnten / ein solcher Schrecken für den Türcken entstanden / daß jederman darvon geflohen / und kein vermahnen noch zusprechen helffen wollen. Inwendig war Furcht / und außwendig befurchtete man das Schwert / und dieses wärte 3. Tage / in welchen ihrer viel erdrucket und zertretten worden. Nach dem man aber das Volck versichert / daß es ein falsches Ausgeben / dessen Urheber nicht mögen erfahren werden / ist ein jeder wieder an sein Ort gekehret.

12. Es ist auch in Oberöstereich ein Geschrey außgekommen / daß der Türck weit in das Land streiffe / und hat der Haubtmann auf dem hohen Schloß Schallenburg / welches jetzund dem tapferen und hochberühmten Herrn Johann Wilhelm von Stubenberg zustehet / viel flüchtige Leute von fern gesehen / und deßwegen ihnen entgegen geschicket und fragen lassen / wo sie herkommen / und wo sie hin wolten. Sie berichteten / daß die Türcken in grosser Anzahl unferne hinter ihnen als man aber zugesehen / ist es eine Heerde Ungerischer Ochsen gewesen / welche einen grossen Staub gemacht: Es sind aber dieselbigen Türcken hernach verzehret worden.


Rähtsel.


Aus der Sonnen Bettgezelt

kroche hervor eine Schlange /

die den dritten Theil der Welt

mit vegiffter Stärck fange:

Sie hat eine Kron geraubt /

die sie träget auf dem Haupt.

keiner hat sich noch gefunden /

Der die Schlang hat überwunden.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 196-200.
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