(CLXVII.)
Die unvernünfftigen Lehrmeistere.

[255] Die Jungfer ist die Schlange / welche neidisch / ihre Haut / als ihr Kleid abstreifft: Sie ist stoltz / stumm / starck / schnell / und scheusset Pfeil geschwind auf den / der sie beleidigen wil. Ihre Klugheit bestehet darinnen / daß sie allezeit das Haubt verwahret / und wol weiß / daß die Wunden an dem Leibe leicht heilen / an dem Haubt aber alle tödlich sind. Daß sie böser Art / und den ersten Sünden-Gifft der Eva eingeblasen / ist auß der H. Schrifft bekannt. Weil nun folgends von den Thieren soll gedacht werden / welche der Menschen Lehrmeister sind gewesen / haben wir den Rähtsel von der Schlangen vorsetzen wollen.

2. Plinius klaget / daß dem Menschen alles in diesem Leben zu wider / und daß die Natur der Thiere rechte Mutter / der Mensch aber ihre Stieffmutter seye / weil sie ihnen so viel Verstand gegeben / daß sie alles dienliche erkennen / und was ihrer Unterhaltung schädlich / fliehen und meiden. Wann die Schlange / von welcher die Rähtsel gemeldet / mit den Störchen und Schnecken streitet / so nehmen sie das Kraut Origanum oder Wolgemut / und schützen sich darmit / weil es der Schlangen sehr zu wider. Der Beer / wann er verwundet wird / heilt er sich mit Omeisereyen / das Schwein mit Wintergrün / das Wieselein mit der Weinrauten und Salve / die Tauben mit dem Eisenkraut / der Habicht mit dem Kraut / das von ihm den Namen hat / und hieracium zu Latein / zu Teutsch Habichtkraut genennet wird / die Gänse / Endten und Hüner artzneyen sich mit helxine, Windig der Zaunglocken / die Hetz mit Lorbeer / der Hirsch mit Hirschjungen / die Schwalbe mit Schwalbenkraut / etc.[255]

3. Der Mensch allein verstehet von Natur nichts was ihm nutzet / weil er vielleicht solche Wissenschafft durch den Sündenfall verschertzet / unn weil er in essen und trincken keine Maß halten kan / welches doch die Thiere meistentheils thun / muß er sich nit schämen / von diesen unvernünfftigen Lehrmeistern zu lernen; allermassen bereit vermeldet / daß solche der Kräuter Krafft besser wissen / als der Mensch / so auf solche nit studieret. Wir wollen aber hier noch weiter gehen / und auf unseren Schauplatz noch andre unbekante Thiere stellen / und sehen / was man von ihnen abgesehen und gelernet.

4. Das Aderlassen ist eine von den gebräuchlichsten und vorträglichsten Artzneyen / wie auch die Clystieren. Beedes haben die Alten von den Thieren erlernet: jenes von den Pferden / welche ihnen in dem Früling / wann sich mit der Natur die Feuchtigkeiten erneuren / die Ader aufbeissen: dieses von den schwartzen Storch in Egypten / welcher mit dem Saltzwasser auß dem Nilusstrom das Gedärm außwäschet / und solches wieder doch die Ausladung von sich lässet / wie hiervon Plinius / Solinus / Cicero und viel andre schreiben. Von diesem Vogel haben die Egyptier den Gebrauch der Clystier lang vor Hippocrate gehabt / und solcher sich alle drey Monat bedienet.

5. Das Brechen soll von den Hunden seyn abgesehen worden / welche Graß und das Samkraut von dem Korn fressen / wann sie sich mit der Gallen oder unverdeuten Speisen beschweret finden. Er isset auch Wegwarten / welche ihm sehr wol bekommen / und seine Leber erfrischen.

6. Etliche wollen / daß die Menschen auch die Waffen von den Thieren abgesehen. Ichnevmon die Indianische Maus waltzt sich in dem Koht / und trocknet sich in der Sonne / solches thut sie zu unterschiedlichen mahlen / und alsdann streitet sie mit dem Otter / und daher sollen Pantzer und Harnisch kommen: Das spitzige Gewehr aber andre zu beleidigen / wollen sie von den Iglen hernehmen.

7. Die Art eine Festung zu untergraben / ist / nach Vegeti-Meinung / von den Caninichen oder Künlein / abgelernet[256] welche ein Mauren solcher Gestalt können über den Hauffen werffen.

8. Das impfen und peltzen soll auch von den Vögeln abgesehen worden seyn / daher kommet / daß man offt auf einem Felsen einen Kirsch- oder Weixelbaum siehet / welches Kern ein Vogel mit seinem Mist in eines solches Steines Ritzen fallen lassen / dardurch er bekleibet und erwachsen / weil es von dem Regen befeuchtet worden / unnd besagten Mist anfangs zu einer Erden gehabt.

9. Die Galeen soll man von dem Krebs abgesehen haben / welcher mit seinen Füssen / als Rudern hinder sich und für sich gehet.

10. Von der Vögel Gesang sollen auch die ersten Menschen haben singen lernen / und schreibet Ferdinand Ovieda / daß die Hispanier (Perillos ligeros) Spurhündlein / welche bellen / als wann sie die sechs Stimmen siengen / und von der höchsten anfiengen / La, sol, fa, mi, re, ut.

11. Plinius wil auch den Thieren beymessen die Sternkündigung (l. 8. c. 28.) und kommet mit den Haanen / Schwalben / Nachtigallen und dem Viehe / welche den Hundsstern spüren / aufgezogen / mich beduncket aber / es seye zu weit gegangen.

12. Der Prophet Esaias hält die Menschen und Thiere gegeneinander / daß jene ihre Gebühr von diesen lernen sollen / sagend: Ein Ochse kennet seinen Herrn / und ein Esel die Krippe seines Herrn / aber Israel kennets nicht / und mein Volck vernimmets nicht / c. 1. v. 3. und Jeremias: Ein Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit / eine Turteltaube / Kranich und Schwalbe mercken ihre Zeit / wann sie wieder kommen sollen; aber mein Volck wil das Recht deß Herrn nicht wissen / c. 8. 7.


Rähtsel.


Es hat mein graues Haubt ein langer Spies durchstochen /

Der Finger und der Mund hat solches abgebrochen /[257]

und durch den Fleiß gemacht / daß ich das Fleisch bedeck

und meines Haubtes Darm an manche Dolchen steck'

Ich werde mit den Kalch gewaschen und gepasset.

biß ich auß dicker Milch den neuen Leib gefasset.

alsdann mein Pflüger trinckt aus seiner Schwester Bauch

Ich werd' ein Pfefferhut / und dien' im Kunstgebrauch.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 255-258.
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