(CLXXI.)
Der erlöste Dieb.

[269] Diese Geschicht-Rähtsel wird aus folgender Erzehlung leichtlich zu erlernen seyn. Die Herberge bey den Mondschein von dreyen Baumen gebauet / ist der liechte Galgen / das hohe Werck ist der Strick von Hanff gemacht. Der Weg / die Leiter / die Würtz / der Alraun / von welchem in den vorgehenden Geschichten unter dem Titel Alraun gemeldet worden / etc. die schnelle Flut ist die Rohne / welche der schnellste Strom unter allen seyn soll / etc. Das übrige ist leichtlich zu verstehen.

2. In der grossen Handelstadt Lyon in Franckreich wurde einer zu dem Strang verurtheilet / als er nun sein Urtheil angehöret / und zu dem Hochgericht geführet wurde / war die Leiter zu kurtz. In dem der Nachrichter und etliche von den Schergen lauffen eine andre Leiter zu holen / giebt einer diesem armen Sünder ein kleines Messer / daß er sich loß schneiden konte / welches er auch unvermerckt der Beystehenden gethan.

3. In dem er nun warten solte / biß der Nachrichter mit der Leiter daher käme / nach welchen sich jedermann ümgesehen / springet der Dieb von der Pinnen unter das Volck / und einer wirft ihm einen Mantel über die Schuldern / und hatte er sich weit unter die Zuseher eingetrungen. Der Bannrichter schrie: Halt auf / die Schergen / deß Galgenjägers Spürhunde / lieffen herum / und wusten nicht / wen sie anfallen sollen!

4. Einer aber kam auf die Spur / und dem bemäntelten Dieb sehr nahe: In dem ein Italianer ein Hand mit Geld unter das Volck wirfft / und giebet dardurch auch den Schergen zu schaffen / daß der Dieb seinen Fuß weiter setzen konte / und an das außgeworffne Geld mehr gedachten als an Dieb.

5. In dem fügte sich / daß ein Fischer über die Rhone (den Fluß der durch Lyon laufft) schwimmet / und alle die zu Roß waren / sahen solches / vermeinend / daß es der außgerissne[270] Dieb / deßwegen dann die Menschenfischer nach der Brucken eilten / der Hoffnung / den entsprungenen wieder zu fangen.

6. Nach dem sie nun den jenigen / der überschwummen / und von diesem Handel nichts gewust / ergriffen / haben sie gesehen / daß es nit ihr Dieb / welcher sich leichtlich rechtfertigen konte / sondern ein gantz unschuldiger / doch führten sie ihn für den Bannrichter / der ihn wieder lauffen lassen.

7. Inzwischen spatzierte der Rechtschuldige hinweg / und das Volck kehrte mit grossem Gelächter wieder nach Hause / und lachte deß Henckers / der nun eine längere Lettern geholet / aber keinen unter allen Anwesenden gefunden / der sich hätte wollen hencken lassen. Solte man aber die jenigen ergriffen haben / welche dem Dieb darvon geholffen / sie hätten sie Rechtswegen an deß entloffenen Stelle den Galgen Tapezieren müssen.

8. Zu Erfüllung dieser Erzehlung wollen wir noch zweyerley anfügen / deren das Erste gleichfals von einem Nachrichter / das andre aber von wunderlicher Rettung handelt.

9. Diese Biscanier werden für die Einfältigsten unter allen Spaniern gehalten / und hat einer auf eine Zeit auß grosser Armut für einen Nachrichter oder Hencker sich gebrauchen lassen / einen Armen verurtheilten / auffzuknüpffen / deßwegen ihme die Kleider und noch acht Real bezahlet worden.

10. Das Geld war bald verdienet / und die Arbeit nicht groß / daß er deßwegen / nach vollender Messe an einem Sontag sich entblödet und offentlich außgerufft: Er habe jüngsten einen Dieb gehencket / daß man mit ihm wol zu frieden gewesen; Nun habe er den Lohn acht Real verzehret; Wann aber einer oder zween sich wolten hencken lassen / seye er erbietig halbes Geld / und für den Mann vier Real zu nehmen. Darauß hat jedermann ersehen / daß sein Verstandt verhenckt und gehemmt gewesen.[271]

11. In der Insel Cumana in West-Indien haben die Jacobiner Mönichen ein Kloster / darunter vor Jahren eine Kranckheit regieret / an welcher alle gestorben / denen man nit in 24. Stunden eine Ader geöffnet. Diese Mönchen hatten einen Diener / der erkranckte auch / man könte ihm aber keine Ader öffnen / weil er so leibig / und gar kleine Adern hatte. Die Mönichen beten ihn für / und befehlen ihn Gott / als einen Menschen / welcher sterben würde / gleich vielen andern / an dieser Kranckheit begegnet.

12. Zu Nachts kommet ein Spitzmauß und beisset besagten Krancken an die Fersen / welche ungefehr entblösset gewesen / daß sehr viel Bluts darauß geflossen / zu Morgens finden die Mönichen ihren Krancken bey besserm Zustande / und sehen Augenscheinlich / daß diese Heilung von einer so wunderlichen Aderlässe hergekommen / daß sie nit anderst abnehmen können / es müsse solche durch eine Spitzmauß geschehen seyn / welcher in derselben Insel eine grosse Anzahl sind. Uber den Biß wurde ein Kloß von der Erden / in welchem das Wagengleiß gegangen / geleget / und also leichtlich wieder geheilet. L. Guyen l. 5. c. 8.


Rähtsel.


Rahtet / wie nennt man den Mann /

der auß etlich Ohmen Wein

reines Wasser machen kan /

und zwar ohne Feuer-Schein?

Doch muß er ob dieser Kunst

sterben / in versaltzner Brunst.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 269-272.
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