(CLXXIX.)

Die unbarmhertzigen Soldaten.

[645] Die Wölffe hielten einsten einen Raht / wie sie die Schaffe eines reichen Herrn / mit List fangen und erwůrgen möchten: beschlossen endlich das gantze Land voll verborgne Stricke zu legen / damit sich die Schäflein auf der Weide darinnen verwirren / und ihnen zu theil werden möchten. Diesen[645] Fürschlag richteten sie zu werke / daß man bald hier bald dar /ein Schäflein in den Fallstricken gefangen sahe / welche alle dem Wolff zur Speise wurden.

2. Der Herr der Schafe sahe wol daß seine Herde abnahme / und daß die Hunde die Fallstricke nicht verwehren mochten: schickte deßwegen einen getreuen Oberhirten / der die Schäflein aus den Stricken lösen / und sie sicher weiden solte: Solches thäte er mit grossem Fleiß: doch möchte er samt seinen Unterhirten nicht verhüten / daß bey so grosser Herde nicht etliche gefangen wurden / deßwegen er bewogen wurde seine Herde in eine Insel zufůhren / da sie / und für aller Noht gesichert / in gutem Frieden leben möchten.

3. Ob nun wol dieses Lehrgedicht eine feine geistliche Deutung haben kan / wollen wir es doch auf den Zustand jetziger Zeiten ziehen. Die reisende Wölffe deß Krieges / haben die armen Unterthanen aller Orten mit Gewalt und mit Hinterlist in ihre Fallen gebracht / (dann wie soll der Bedenken tragen einen Bürger in der Statt zu betrügen / den er ausser der Statt ům Haab und Gut zu bringen trachtet /) sie beraubet und gleichsam verschlungen. Der Hirt ist der Fried / welcher die Schafe zu sichern von Gott gesendet worden: ist aber leider nicht stark genug / alle und jede Schäflein in Gewarsam zu bringen / wie hiervon etliche Geschichte / mit erstaunen zuvernehmen /unter welche auch folgende zu zehlen.

4. In Elsas hielte sich ein reicher Edelmann auf seinem adelichen und festen Schloß / hatte sich auch die gantze Zeit wärender Kriegsjahre / mit seinen eingeflehnten Unterthanen für äusserlicher Gewalt geschützet / und vermeinte nun bey erhandlenden Frieden künfftig gesichert zu seyn. Es ist aber unter Niederlegung der Waffen und deß würklichen Friedens Anfang eine grosse Klufft befestiget / wie weltkündig.

5. Die Frantzösische Macht hatte noch das Elsas /biß zu endlicher Vollziehung deß Friedens zu[646] beziehen / darinnen aus zu rasten / und fernere Verordnung von Hofe zu gewarten. Unter andern erstrekten sie ihre Einlägerung biß zu besagten Edelmanns Schloß /und begehrten die öffnung. Der Edelmann wuste ihren Gebrauch / daß nemlich bey ihnen kein Ansehen der Person / und daß der Feind ist / welcher noch was ůberig hatte: wolte deßwegen / solche unverschämte Gäste nicht haben / sondern erbote sich / ihnen ein stück Brod (darunter alle Leibes Nohtdurfft / wie in Auslegung der vierden Bitte / verstanden wird) hinaus zu verschaffen / wie er auch gethan.

6. Damit wolten sich die Soldaten nicht abspeisen lassen / und begehren nochmahls sie einzunehmen /oder sie wolten Gewalt verüben. Der Edelman bate darfür / und sagte / daß er alsdann Gewalt mit Gegengewalt werde vertreiben müssen: wol wissend / daß sie keine Stücke bey sich / und ohne solche sie nicht zu ihn hinein werden kommen können.

7. Welcher Gestalt sie diese Sache bey dem Feldherrn vorgebracht ist unwissend: sie haben aber Stücke und mehr Völker erlangt / und sind also mit Macht für das Schloß geruckt / die Stücke gepflantzet / und die Mauren zu fällen angefangen / als ob sie mit ihrem Feinde und nicht mit ihrem Freunde zu thun hätten.

8. Der Edelmann hatte bey sich sein Weib / und seine Schwester / benebens kleinen Kindern / so in dergleichen Belägerung mehr hinterlich / als förderlich / und betrachte daß er solchen Ernst nicht würde wiederstehen mögen / fängt deßwegen an sich in Handlung einzulassen / und nach kurtzem Wortwechsel verspricht er ihnen ein Summa Geld / wann sie ihn sambt den Seinigen frey und sicher / nach Strasburg abziehen lassen.

9. Der Vergleich wird geschlossen / zu Papier gebracht und beedertheils unterschrieben. Als nun der Edelmann das Thor eröffnet / und das Geld gezehlet hatte / willens mit den seinen das Schloß zu raumen: ersehen die Soldaten seine Schwester[647] und wollen dieselbe zurücke behalten. Der Edelmann widersetzet sich / und wil sie nicht hinterlassen.

10. Hierüber zerschlägt sich aller Vergleich / und habē diese ruchlose Gesellen nicht nur die Schwester /sondern auch sein Weib und seine Tochter für seinen Augen geschändet / ihm alles abgenommen / und nach verübten Mutwillen zum Fenster hinaus gehenkt. Mit den Unterthanen und ihren Weibern haben sie es nicht besser gemacht / und sind deßwegen (so viel der Orten wissend) nicht bestraffet worden.

11. Dieses ist / was ich durch der Wölffe Fallstricke / in Eingangs erzehltem Lehrgedicht bedeuten wollen. Es ist ja zu erbarmen daß die nothwendige Kriegszucht bey dem Soldaten (so von Soldhabē den Namen hat) gantz aufgehöret / daß sie fast zu Mördern und Raubern werden müssen: weil der Magen /wie jener gesagt / keine Ohren hat / und sich der Hunger mit Worten nicht stillen lässet.

12. Barnabas Brissonius Præsident in dem Parlament zu Paris / hat zu seinem Denkspruch erwehlet:


Nondum effugimus Fortunæ laqueos.

Wir sind dem Unglücks-Strick mit nichten noch entkommen.


Und er ist in dem Blutbad zu Paris 1569. zu seinem Fenster hinaus gehenket worden / daß es also diesen hochgelehrten Mann geantet / was Todes er sterben würde

Keiner weiß zu welcher Zeit

ihm die Todesstund bereit:

Darumb sol man jederzeit

zu dem Sterben seyn bereit.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 645-648.
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