(CXCII.)

Die ermordten Mörder.

[688] Die Christliche Liebe gange einsten in Gestalt eines armen Weibs (dann wer nichts / als from seyn kan /der muß betteln) entblöst und erfrohren bettlen / und kame an die Fürsten Höfe / üm einen Zehrpfenning unterthänigst ansuchend / wurde aber aldar abgewiesen / mit Vorwand / daß man die Schuldner nicht zahlen / und nichts zu verschencken habe. Sie gange zu den Edelleuten und begehrte eine warme Suppen /muste aber hören / daß in der Küchen nichts übergeblieben / und daß die Jagt Hunde alles aufgezehret. Von dar kame sie zu den Kauffleuten / und begehrte ein Kleid: diese gaben zur Antwort / daß sie Tuch zu verkauffen und keines zuverschenken hetten. Ferners kam sie zu den Bürgern und begehrte ein Stück Brods: diese sagten / daß ihr Brod bereit verstellet /und daß ihr Kind und Gesinde nichts überliessen. Von dannen kam besagte Christliche Liebe zu den Bauren / und heischte einen Trunk kaltes Wasser. Die Bauren sagten / daß sie kein Wasser / als in den Pfützen / da möchte sie wol von trinken.

2. Nach deme nun dieses verlassne und betrübte Weib / aller Beysteur und Narungsmittel entnommen /sich zu den wilden Thieren zubegeben willens / der Hoffnung mehr Barmhertzigkeit von denselben zu erlangen / als von den Menschen / ist sie unter die Mörder gefallen: welche sie nicht nur Hülff- und Trostloß gelassen / sondern Hand an sie geleget / und ermordet: Daher kommt es / daß keine Christliche Liebe mehr bey den Leuten zu finden / in welchem Stande und Orte man sie auch suche.[688]

3. Unter allen Kennzeichen sol dieses das vornemste der Jünger Christi seyn / daß sie einander sollen lieben / und auch ihren Feinden gutes thun: hingegen ist ein gewisses Kennzeichen deß Teuffels Jünger /daß sie einander hassen / und auch den Freunden böses thun. Das Gut unterlassen ist eine grosse Sünde: Das Böse freventlich vollbringen ist noch ein viel grössere / und für Gottes Augen abscheuliche Sünde: deßwegen sich auch zu verwundern / wann die Mörder von Gott und den Menschen / als sträfliche Ubertreter derselben Gesetze / mit abscheulicher /zeitlicher und ewiger Plage angesehen werden / wie wir unter den Trauer Geschichten auch folgende Erzehlungen anfügen müssen.

4. Zu Frauenstein / ein Dorff unferne von Meintz gelegen / hat ein Baurenknecht ein Mägdlein von fünff Jahren in einem Stall geführt und nohtzüchtigen wollen: als er aber solches nicht vollbringen mögen /hat er dem armen Kind die Gurgel abgeschnitten / und den Leichnam in 15. Theil zerstücket / in Hoffnung seine Unthat zu verbergen. Es ist aber ein Bauer dazu kommen / und hat diesen Meuchelmord gesehen / und der Obrigkeit angesagt.

5. Inzwischen haben die andren Bauren / welche denselben Sontag / als solches geschehen / gekugelt /den Thäter geschlagen und in Verhafft angehalten /biß er nach Maintz geführet worden / da er mit glüenden Zangen an dem gantzen Leib gezwicket / lebendig mit allen zerbrochnen Gliedern auf das Rad geleget worden / da er sein Leben mit überaus erbärmlichen Schmertzen geendet. J. Fincel in dem 2. Buch von den Wunder Sachen dieser Zeit.

6. Zu Colgart bey Leiptzig / hat einer in einem Hause Vater und Mutter / Kinder und Gesind bey Nachts erwürget / und ist 3: Tage und Nächte ohne Speiß und Trank unter der Stiegen verborgen geblieben / solches in das Werk zurichten / da er dann Zeit gehabt / seine Missethat zu bedenken / und hat ihm /nach seiner Aussage / eine Stimme stetig zugeruffen /thu es / thu es: Nach geschehener übelthat sey[689] ihm unmöglich gewesen von dannen zu gehen / wie sehr er sich bemühet. Dieser ist gleichsfals gerädert worden.

7. Zu Antwerpen hat sich folgende schröckliche Geschichte begeben / Simon Turk / ein Luckesischer Kauf-Herr hatte Hieronymum Diodati in seinen Garten geladen / mit Vorwand / daß er mit ihme und noch einem andern Handelsmann von Lyon einen Wechsel schliessen wolte. So bald nun Diodati dahin kommen / setzte er sich / auf begehren in einen Sessel / welcher also gemachet / daß er ihm Arme und Beine verbunden und gleichsam angefesselt hielte. In diesem Zustande nöhtigte ihn Turk / daß er muste eine Schuld Verschreibung unter seiner Hand und Petschafft von sich geben / und sich zu einer bösen That schrifftlich bekennen / welche er nicht gethan hatte.

8. Nach deme solches geschehen / ist Julio deß Turken Diener hinein getretten / und hat Diodati die Gurgel abgeschnitten / und mit Hülffe seines Herrn in den Keller vergraben. Als nun Diodati nicht wieder nach Hause kame / fragte seine Wirtin aller Orten nach / möchte ihn aber nicht aus kundschafften: deßwegen sie beursacht worden solches der Obrigkeit deß Orts anzumelden / welche alsobalden die Thoren zuschliessen / und befehlen lassen / daß man alle die Häuser / wo Diodati hinzugehen pflegen / durchsuchen solte.

9. Turk hatte ein böses Gewissen / und vermeinete sich zu sichern / in deme er seinen getreuen Dienern befohlen / sie solten Diodati Leichnam aus graben /und in einen Brunnen werffen: als sie nun im Werke solches zu vollbringen / hört der eine ein Geräusch /und laufft darvon / der andre kan den Leichnam nicht allein tragen / und lässet ihn auf der Gassen liegen /und saget seinem Herrn an / was sich begeben. Der Herr giebt ihm Geld / und ein Gůldnes Ketlein / mit Befehl er solle sich aus dem Staub machen / welches er auch gethan / und ist dieser sonders zweiffel der verdienten Straffe auch nicht entronnen.

10. Turk gehet darauf zu der Obrigkeit / und[690] meldet an / daß sein Diener Julio den Deodati ermordet und die Flucht genommen. Durch dieses Anbringen machet sich Turk verdächtig / daß er in das Gefängnis geworffen wird / der andre Diener wird auch handfest gemachet / welcher also bald bekennet / daß sein Herr ihm und Julio befohlen Deodati Leichnam aus zu graben / und in einen Brunnen zu werffen. Hierauf wird Turk peinlich gefragt / und als er allen Verlauff bekennet / ist er in den Sessel / in welchem sein Landsmann ermordet worden / gesetzet / und mit einem um und um angescherten Feuer lebendig gebraten worden. Le petit l. 8 in dem Holländischen Zeitbuch.

11. Hier ist auch kürtzlich zu erzehlen / daß die Frantzosen eine Schiffart in die Insel Floridam angestellet / der Meinung einen unbewohnten Theil selber Landen zu besetzen / massen sie von Jahr zu Jahren dahin fahren / Früchte und Kauffmannschafft zu holen und eine Handlung dahin zu richten vermeint. Ob sie nun wol den Spaniern das ihrige nicht abzunehmen vermeint / haben sie doch solche ihre von der Natur selbsten zur Feindschafft gewidmete Nachbaren neben sich nicht wollen einkommen lassen / und bey bösem Wetter / sich ihrer aufgeworffnen Schantzen bemächtiget / Mann / Weib und Kind niedergehauet / und die gefangenen Soldaten fůr ihres Haubtmanns Jan Ribants Augen abgekehlt / und aufgehenket.

12. Es hat sich aber nachgehends gefunden ein andrer Frantzos Namens Dominicus Gurgues / welcher eben diese Schiffart angetretten / seiner Lands Leute Tod zu rächen / und ist ihme auch geglücket / daß er viel / eben mit dem Gewehr / und eben an den Mastbaumen / mit welchen und an welchen sie die Frantzosen erwürget / wieder hingerichtet worden / und zwar mit dieser Beyschrifft / daß solches ihnen nicht als Feinden / noch als Spaniern oder Schiff-Soldaten: sondern als Verrähtern / Raubern und Mördern beschehen. Ist also mit gutem Raub wieder Rochelle zurucke gekommen.[691]


Ach daß so viel Menschen Blut

wie das Wasser wird vergossen!

Hilffet nicht die Vater Rut /

muß die Mörder Gott verstossen /

die mit Frevel vollem Rachen

aus dem Laster Tugend machen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 688-692.
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