(LI.)

Die übergrosse Untreu.

[170] Unser Erlöser fraget / (Luc. 18. v. 8. 4. Chr. 5. v. 1.) ob Er auch zu Zeiten seiner letzten Zukunfft Glauben finden werde? Dieses verstehen ihrer etliche von dem politischen Glauben / Treue und Festhaltung dessen /was man zugesagt / verbriefet und gelobet. Andre legen es aus von dem Seligmachenden Glauben / und hanget fest beedes an einander; massen ein frommer Christ niemals untreulich / ein ruchloser Mensch aber / niemals oder ja selten redlich handlen wird. Die Falscheit und der Trug ist Gott ein Greuel / weil es herrühret von dem Lügner von Anbegin / und bleibt nicht ungestrafft.

2. Ein Exempel dessen kan seyn Armilla eines Kauffmanns zu Arles Tochter / welcher übergrosse Untreue gegen ihren Mann / ein wolverdientes jämmerliches Ende genommen / und also in deß Verderbers Stricken / ausser allen Zweiffel in den Höllischen Abgrund hingeraffet worden / wie wir ümständig hören wollen.

3. Zu der Zeit als Franckreich mit einheimischen Kriegen gefähret war / lebten zu Arles zween Kauffherren Adalgar und Hornhold / welche mit Gewürtz Gewerb trieben / und Handelsgesellschaffter waren. Sie waren beede gleich reich / in diesem aber unterschieden / daß Adalgar viel Kinder und grosse Unkosten zu tragen: Hornhold aber war noch in ledigem Stande / und legte zu rucke / was der ander mehr[171] außgeben muste. Jener klagte über den grossen Aufgang seines Haußwesens; dieser über die Einsamkeit / und daß er nicht wüste / wem er das seine sparte: massen die Menschen so beschaffen / daß keiner mit seinem Zustande zufrieden / und in dem sie auch auf das künfftige sorgen / sich der gegenwertigen Ruhe berauben.

4. Adalgar hatte eine mannbare Tochter / Armilla genannt / welche Hornhold in seinem funfftzigsten Jahre / durch Unterhandlung guter Freunde / vertrauet wurde: Der Hoffnung es solte hierdurch ihr Gewerb unzertheilt in gutem Wolstand fortgesetzet werden: ohne Betrachtung daß so gar ungleiche Rinder / als Männer und Kinder / übel an einem Joche ziehen würden: massen Armilla kaum das siebenzehende Jahr angetretten hatte / und in diesen Alten so brünstig verliebet war / als ein gemahltes Feuer.

5. Adalgar hatte sein Absehen auf den Reichthum /wie gesagt / und nöhtigte seine Tochter / daß sie alle Entschuldigung fallen / und Hornhold nehmen muste. Sie war kaum in den Ehestand getretten / so muste ihr Hornhold schöne Kleider und allerhand neues Geretlein schaffen / welches der Alte / wiewol ungerne / jedoch aus Liebe fast überflüssig gethan daß er vielmehr ihr Diener und Verleger / als ihr Eh-Herr worden. Mit so wol außgeziertem Angesicht / suchte sie täglich gute / oder vielmehr böse Gesellschafften /und der fromme Alte liesse ihr eigenwillige Freyheit /daß nicht zu verwundern / daß dieses Schiff ohne Steuermann / auf so gefährlichem Meere von den Wellen und Winden getrieben / an den nechsten Felsen gescheidert und zerdrümmert.

6. Sie kunte leichtlich einen jungen finden der ihr lieber und angenemer / als ihr alter Mann / von welchem sie so verächtlich redete / daß man wol hören kunte / daß sie nach dem Wechsel gelüstet / den sie auch bald mit etlichen Jünglingen geschlossen. Jener Kirchenlehrer sagt recht / »daß es eine grosse Wolthat Gottts / die erste Sünde erkennen damit man nicht[172] blindlingsweis zu der andern und dritten schreite.« Hornhold wurde von guten Freunden berichtet / daß seine Frau auch andern wolgefalle und sich in bösen Verdacht setze. etc. Er wil es aber nicht glauben /sondern entschuldiget ihre Jugend / und sihet auch nicht einmal saur darzu / daß er also nicht geeifert /wie andre Alte Männer mit ihren jungen Weibern zu thun pflegen.

7. Unter den vielen Aufwartern dieser niekeuschen Penelope / war ein Soldat / ein frisches Glückskind /daß sich nicht weniger mit dem Degen als mit der Liebe berühmt zu machen bemühete; massen auch in dem Gestirn Mars und Venus offt in einem Hause gefunden werden. Dieser war der Armilla Liebster /deme sie auch seine Arbeit wol belohnte / wie dort vom Israel stehet / daß es / als eine Hure / noch Geld gebe ihrem Bulen / der ihr nachlauffe wie ein wierender Hengst dem Mutterpferde. Sie halten manchen Anschlag / sich mit einander zu verehlichen / wann sie nur vor ein Kind mit Hornhold erzeuget (dann ihn von dem Brod zuthun / Mittel nicht ermanglen solten /) der das Gütlein erben möchte. Gott aber / dem Gottloses wesen nicht gefället / hat Armilla Leib verschlossen / daß sie nicht gebehren kunte.

8. Eine halbe Meil von der Statt war ein Dorff /und in demselben eine berühmte Kirche. Dahin gange und fuhre Armilla mit ihrem Anhang / unter dem Schein sonderlicher Andacht / und war unferne darvon ein Hauß / welches ihnen der Goldregen zu ihren Sündengewerb eröffnet hatte. Wer Gott zu betrügen vermeinet / muß sich betrogen finden / wie Tetrade /(also nennte sich der Soldat) der in einem Scharmützel von dem Feinde gefangen / und in einem tiefen Thurn geworffen worden. Als er nun ein grosses Lösegeld zahlen sollen / und auf sein Wort / Treu und Glauben (von einem gemeinen Soldaten ein schlechtes Unterpfand) zu entkommen vermeint / hat ihn doch damals der Schloß-Haubtmann nicht lassen wollen. Diesem erzehlte nun der Gefangene / daß er so glückselig / und von der schönsten Frauen in[173] Arles geliebet werde; bittend ihn ein Brieflein an sie / durch einen Trommelschläger überbringen zu lassen / nicht zweifflend / daß sie ihn / als ihren wolverdienten Liebhaber / außlösen würde.

9. Damas hatte verlangen dieses schöne Weib auch zusehen / und als das Lösegeld dergestalt verglichen /daß Armilla selbes in vorbesagtes Dorff bringen solte / führet Damas den Gefangenen dargegen in Person hin / und so bald er der Armilla ansichtig worden /gewinnt er sie lieb / und führet sie / gegen Loßlassung deß Gefangenen / darvon. Tetrande wolte solches erstlich mit Worten / hernach mit gewehrter Hand verhindern / wird aber darüber von Damas Soldaten niedergeschossen / und Armilla darvon geführt / welche sich beklagt / daß Damas nicht Treue und Glauben halte; muß aber hören / daß sie gleichfals ihren Mann / welchen sie ihre Treu in Angesicht der Kirchen versprochen / nicht leiste. Er begehre deß Lößgeldes nicht für Tetrande / sondern habe ihn loßgelassen / und sie dargegen angehalten. etc.

10. Der Armilla Threnen / wegen Tetrande / wurde von Damas küssen getrucknet / und hat sie an diesem gefunden / was an jenem verlohren / daß ihr also ihre Gefängnis eine süsse Freyheit / die Freyheit aber / bey ihren Alten / eine harte Gefängschafft gewesen. Hornhold verstehet / daß Armilla / als sie jhrer Andacht nachgezogen / gefangen worden / und versichert sich ihrer Tugend / daß er nichts weniger als Betrug gefürchtet / sondern an Damas freundlichst geschrieben / 1000. Kronen Lößgeld / für seine Frau gebotten /frey geleit / solches zu überbringen / gebetten / und weil Damas der Armilla Liebe ermüdet / (wie bey solchen Schleppen zu geschehen pfleget) leichtlich erlangt.

11. So bald nun Hornhold in Damas Schloß ankommet / fället ihn dieses untreue Weib üm den Hals / hertzet und küsset ihn / lobt Damas / daß er ihre Ehre geschützet / und bedancket sich der grossen Liebe / welche er gegen sie unwürdige würklich verspühren lasse etc. Hornhold glaubte diesen falschen Worten /[174] und erweiset / daß er mit der That seinen Hörnern-Hold / weil er derselben ursache so teur erkauffen will. Ee zehlet die 1000. Kronen / und sagt seinem Weibe / daß er noch so viel bey sich / weil er nicht wissen können / ob nicht ein mehrers von nöthen seyn möchte. So bald Armilla dieses verstanden /findet sie sich zu Damas / und beklaget sich / daß er sie ihrem Alten unwissend verkaufft / und bittet ihn niederzumachen / und sie zu ehlichen. Damas sagt /daß er mit solcher Untreue seinen Namen nicht zu befleckten gedenke / weil er ihme sicheres Geleit versprochen / etc.

12. Wol / sagte die Treuvergessne / so will ich ihm Gifft beybringen / daß er die 1000. Kronen / so er noch bey sich / euch / und auch mich hinterlassen muß. Damas erstaunte über der grossen Undankbarkeit dieses Ehrvergessnen Weibs / und fürchtete / daß sie mit der Zeit ihme dergleichen Sůpplein auch beybringen möchte / oder das er ihr zu Gebotte würde stehen müssen / und sagte / daß sie so übel an ihren Mann nicht thun solte / und gedachte bey sich so teufflisches Beginnen zu rächen. Suchet deßwegen Gelegenheit von ihr zu kommen / und mit seiner Soldaten einem zu reden / befehlend / daß man Morgens ein Frühstück zurichten solte / wie auch geschehen.

13. Man setzte Hornhold mit an den Tisch / und hatte er kaum drey Bissen geessen / als Armilla ihme den vergifften Tranck überreichte / welches Damas ersehen / ihr das Geschirr aus den Handen genommen /und zu ihn in Gegenwart aller seiner Befelchshaber /also zu reden angefangen: Halt innen / guter Freund /und höre die übergrosse Untreue / deines treuvergessnen Eheweibs. Erzehlt darauf was sich mit Tetrande und ihme begeben / und wie sie jetzund ihn mit Gifft hinzurichten gewillet. Nach deme er nun gleichsam auf dem Dache gepredigt / was in verborgnem geschehen / setzt er der Armilla den Dolchen an die Gurgel /und nöhtigete diese verfluchte Ehebrecherin / daß sie ihren Gifftgetrank selbsten aussauffen müssen.[175]

14. Nach deme sie das Gifft / in Hoffnung man werde ihr wieder eine Gegengifft beybringen / genommen / hatte sie kaum so viel Zeit / daß sie gebeichtet /und hat also Untreu seinen eignen Herrn getroffen /daß sie tod zur Erden gesuncken. Hornhold hat Gott gedanckt / daß er dieser Wölffin / welche brünstig nach Menschen Fleisch gehungert / ist erlediget worden. Nach dem er auch wieder sicher nach Arles kommen / und seine 2000. Kronen mitgebracht (weil Damas das Geld wegen der Gefangenen Tode aus Großmütigkeit / nicht behalten wollen /) hat er seine Lebenszeit in den Wittibstand geendet / und mit einer so betrüglichen Waar / als die Weiber / nicht mehr handlen wollen.

15. Also richtet GOttes Gerechtigkeit der Menschen Boßheit / und betrüget sich die Einfalt selbsten. Wie die Rosen / nechst dem Knobloch gepflantzt /stärcker riechen; also wird die Tugend durch der Laster Erkentnis befördert / und derselben gutes Gerücht erkannt. Die erste Staffel gutes zu thun ist / das Böse fliehen / welches nicht abscheulicher außgebildet werden kan / als neben der darauf erfolgten schweren Bestraffung.


Der den Armen recht verschaffet /

und die Sünde langsam straffet /

giebt zur Busse lange Zeit /

endlich nie geendtes Leid.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 170-176.
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