(LV.)

Der Glück- und Unglüks-fall.

[186] Das Glück ist füglich mit einem Rad verglichen worden / welches die hinlauffende Zeit treibet / einen bald erhöhet / bald wiederum stürtzet / das also solche Veränderung / allein die Diamantinen Tugendketten hemmen und einhalten können. Wer nun solche nicht hat kan sich seiner Hoheit leichtlich mißbrauchen /und in eusserstes Verderben stürtzen / daß man auch hievon sagen kan / was man sonsten von den Regimenten lieset / daß nemlich das Glück bestehe in dreyen Seufftzern / 1. solches zu erlangen. 2. zu behalten / und 3. zu verliehren.

2. Solche Wendung deß Glückrads hat auch erfahren Roderic Calderon / von seinem Vatern Frantz Calderon / und Maria Sandelin in Unehren erzeuget /nachmals aber durch erfolgten Ehestand zu Antdorff zu einem ehlichen Kind gemachet / oder legitimiret worden. Sein Vater hatte bald nach dieses seines Sohns Geburt / seine Mutter durch den zeitlichen Tod verlohren / und sich nach Valladolid seine Geburtsstatt begeben / da er Gott gedankt / für so viel vermögens / daß er keinem dienen / und keines Dieners von nöthen hatte.

3. Nach deme sich nun Frantz Calderon wieder verheuratet / und seinē Sohn Roderic / von der Stiefmutter / übelgehalten sahe / hat er ihn für einen Edelknaben bey dem Cantzler von Arragonien / in Dienste gebracht / und weil er ein schöner Knab und hurtigen Verstands / ist er hernach zu dem Hertzog von Lerma / welcher als Affter König gantz Spanien regieret /kommen / und desselben obersten Kammerdiener worden.[186]

4. Durch gnädig Handbietung dieses Hn. ist besagter Roderic in des König Dienste getretten / und weil er die Feder wol geführet Secretarius oder Geheimschreiber und zu den wichtigsten Beschäfftigungen der gantzen Regierung gezogen worden. Sein Gehirn war rein / sein Ansehen herrlich / in Berahtschlagung einer Sache bedachtsam / und mit vielen Hof-Tugenden begabt / daß man ihme nichts aufrücken können /als den Stoltz und Hochmut gegen seine Diener / welcher damals nicht wenig waren.

5. In so hoher Ehrenstelle freyte er die Gräfin von Oliva / und wird ein Ritter von S. Jacob / bald hernach Regent zu Ocana und Graf von Oliva (welchen Titel er auch seinem Erstgebornen Sohn hinterlassen.) Endlich bringet er es so weit / daß er Marggraf und Hauptmann über seines Kön. Teutsche Leibwachte wird. Er bringt auch seinen alten Vater bey Hofe an /daß ihn der König zu einem Johanniter Ritter machet / und eine kleine Grafschafft Suegro schencket.

6. Also blitzte dieses Roderico Glück durch gantz Hispanien / und wurde er durch deß Hertzogs von Lerma Behuf so groß / daß er alle andre neben sich für klein und verächtlich hielte / deßwegen er auch von allem Adel gehasset / und gefürchtet / ja von den meisten mit falschen Hertzen bedienet wurde. Was bey den Hertzogen / und bey dem Könige zu verrichten / musste durch Calderons Hand gehen / und verbliebe meinsten Theils bey seinem Ausspruch.

7. Nach dem der Hertzog von Lerma auf seine Güter verwiesen wurde / hatte Caldron keinen Auffenthalt; sondern wird von dem gemeinen Mann vieler heimlichen Todschläge / Falschheit / Zauberkünste /und sonderlich / daß er grosses Geld dem Königlichen Einkunfften entwendet / beschuldiget. Damit ihme nun kein Schimpf wiederfahren möchte / fordert er sich von Hofe ab / und begiebt sich nach Valadolid /der Hofnung sich für fernerem Unglück zu sichern.[187]

8. Von der Zeit an hat ihn sein böses Gewisses bey guten Freunden verborgen gehalten / und hat er so wol seine Verrichtungen / als das meinste seines Reichthums zu Hofe gelassen / und dahin geschicket. Der König aber / als er vernommen / wie dieses sein Geschöpf aus der art geschlagen / und sich zu einem Gefäß der Unehren gemachet / hat er es zerbrechen /und in seine erste Nichtigkeit setzen wollen / welches er auch leichtlich gethan: »massen die Hofcreaturen /aus nichts erschaffen / und wieder zu nichts zu werden pflegen.«

9. Als er nun in Verhafft gebracht / und seine Register und Briefe durchsehen worden / hat sich grosser Betrug gefunden / daß er den König und die grossen zu Hofe fälschlich hintergangen / bezwackt und sich bereichert. Er wird an die peinliche Frage geworffen /stehet aber alles mit grosser Gedult aus / und sandte sich daß er Alonso de Caravaial und Augustin de Avila / wie auch Frantz Xuara ermorden lassen / und wegen seines Betrugs / in den Königl. Außschreiben /den Tod verdienet.

10. Also wurde er auf eingebrachte sattsame Kundschafft / aller Ehren entsetzet / für unedel erkannt /und weil 242. Missethaten auf ihn gebracht worden /ist er 125000. Ducaten / zu bezahlen verurtheilt worden / daß er sol auf einen Maul Esel / durch alle vornehme Gassen der Statt Valladolid reiten / und auf dem Richtplatz / nach Anhörung aller seiner Mißhandlungen erdrosselt werden. Das enthaupten ist in Hispanien der Verrähter Straffe.

11. Als ihme nun dieses Urtheil vorgelesen / und noch etliche Tage zu seiner Bekehrung verstattet worden / hat er den Schreiber / der solches verrichtet umfangen / ihm gedankt / und erfreuet / daß er aus diesem elenden Leben einmal scheiden solte. Darauf auch gebeichtet / ernstliche Neu- und Buß-Zeichen sehen lassen / und Gott brünstiglich ümb Vergebung seiner grossen und vielfaltigen Sünden angeruffen / ja gantze Nächte auf seinen Knien liegend gebetet.[188]

12. Im Jahre 1621. den 12. des Weinmonats hat man eine Pinnen oder Schauprucken aufgerichtet /und den Verurtheilten / in einem Trauermantel / durch viel Mönchen auf besagtem Maulthier / durch etliche Gassen von dem Hencker geführet / dahin gebracht. Sein Angesicht war bedecket mit einem Flor / und neben ihme zween Schergen / vor ihme etliche Schüler von der Brüderschafft der H. Theresia. Sein Beichtvater sprache ihn zu / er solte sich ermannen /und dem Tod / unverzagt unter Augen tretten. Darauf er diese Wort gesagt: Ich sterbe eines schmählichen Todes / das ich wol verdienet / tröste mich aber meines lieben HErrn Christi / der unschuldig für meine Schuld und Sünde / eines noch schmählichern Todes gestorben. Hat auch das Crucifix zum offtern geküsset / seine Augen gen Himmel erhaben / und Gott angeruffen.

13. Als ihn der Scharffrichter ümb verzeihung gebetten / hat er ihn geküsst / und gesagt er halte ihn für seinen grössten Freund / hat ihme also Hände und Füsse binden / und sich mit einem seidnem Strang erdrosseln lassen / in dem die Geistlichen und alles Volck für seine Seele gebetten. Zu Abends ist er her nach / jedoch mit Verbott / daß niemand seinen Leichnam begleiten solte / in die Carmeliter Kirchen begraben worden.

14. Also wurde dieses Calideron welcher aus keinem Ehebett geborn / und deßwegen vielleicht von so viel bessrer Leibsbeschaffenheit gewesen (massen solche Liebesfrüchte fleissiger als in dem Ehstand gepflantzet werden) hingerichtet / als er von einem armen Gesellen / die höchste Ehre / und jährlich 183333. Frantzösische Kronen Einkunfften erlangt /solcher Königl. Gnade aber schändlichst mißbraucht /und Gott / seinem König / und fast alle so mit ihme zu schaffen gehabt / stöltziglich beleidiget.

15. Das Wörtlein Glük gibt mit verkehrten Buchstaben klüg / daher wir auf solche Gedanken kommen:[189]


Sol dein Glück ein Glück verbleiben /

must du klug und wachsam seyn:

dann der Falschheit stoltzer Schein

wird dich sonst zu boden treiben.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 186-190.
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