(LXV.)

Der ungetreue Bruder.

[219] Weil die Liebe ein freyes Wesen seyn will / und sich alles Zwangs entnehmen / sihet man / daß mehrmals die Brüder / so die Natur mit dem Band der Gesippschafft verbunden / selten grosse Liebe gegen einander tragen / und ihre Neigung vielmehr auf andre / so ihnen an Verstand / Jahren und Sitten gleichamen / zu wenden pflegen.[219]

2. Zu Saltzburg lebten vor wenig Jahren zween Brüder / Namens Adolph und Berdram / unter welchen jener neun oder zehen Jahre älter / als dieser /und deßwegen zu Geschäfften gezogen wurde / deren der jüngste und minderjährige noch nicht fähig. Adolph war ein Soldat / und hatte auch eine Raise in Welschland gethan / daß seine Eltern / als er wieder in dem 32. Jahre nach Hause gekommen / gerne gesehen hetten / daß er sich verheuratet / und sein flüchtiges Glück / durch solchen Stand gleichsam beankert. Wie nun Venus und Mars keine widerige Planeten /war Adolph nicht abgeneigt / seinen Eltern zu gehorsamen.

3. Leichtebig eine sehr schöne vnd sehr leichtfertige Dirne / sahe diesen / oder vielmehr seinen Reich thum für eine anständige Gelegenheit sich ehlich zu begütern; ob wol seine Person / und sein Gespräch also beschaffen / daß sich niemand in Adolph verlieben konte. In deme nun hierinnen gehandelt wird /rühret man die Trummel / wegen einer neuen Unruhe /welche man mit den Waffen stillen musste / und weil Adolph diese Werber vor dessen gekennet / lässet er sich in dem Trunck überreden / wieder mit ihnen fort zuziehen.

4. Inzwischen kame Berdram wieder aus Welschland / und hatte beneben seiner natürlichen Schönheit / so höfliche Sitten mit gebracht daß er es seinen ältern Bruder weit bevor gethan. Leichtebig sahe diesen ihren vermeinten Schwagern / mit den Augen eines in Lieb entbrandten Hertzens / massen solche gleichsam die Spiegel sind unsrer Gedancken / und die stillschweigenden Reden unsers Gemüts. Berdram hatte diese Sprache in Welschland auch studiret / und fügte nach und nach die zucker-süssen Liebswort mit thätlicher Freudligkeit / daß die Jungfrau das Gegenwertige für das zukünfftige zu lieben begunte.

5. Nach deme sich diese Schwägerliche Kundschafft / in ehliche und unehrliche Freundschaft gewandelt / kommet Adolph kranck und den Todten[220] gleicher als den Lebendigen / aus dem Krieg wieder nach Hause. »Wie die Liebe ein Verlangen der Schönheit ist / also macht der Schönheit Verlust der Liebe sincken und fallen.« Hiervon ist zu lesen in dem CCXXXI. Gespräch spiele / daß sich also nicht zu verwundern / wann leichtebig von dem ältern Bruder abgelassen / und dem jüngsten angehangt. Zu deme wird der Weiber Orden / wie etliche wollen /mit dem Gelübd der Unbeständigkeit verbunden / daß sie auch ohne ursach andre mondsichtige und mannsichtige Gedancken fassen.

6. Adolph kommet durch gute Wort / wieder auf /und trieben seine Eltern die Vollziehung deß gethanen Gelübs eiferigsten Geheis: Er auch verstehet darzu /weil ihme das Soldaten wesen mißfallen / und es eine Sache für junge / aber nicht für alte Leute ist. Als nun die Zeit benennet / die Vorbereitung zu hochzeitlicher Ehrenfeyr gemachet / und alles bereitet / hat sich die Braut verlohren / und zugleich auch Berdram / daraus der Argwahn entstanden / diese beede haben mit einander die Flucht genommen / wie auch beschehen.

7. Was Verwirrung dieser ungetreue Bruder verursacht / ist leichtlich zu erachten / und der Eltern Leid mehrte sich dardurch / weil sie nicht wissen mögen /wohin sich diese Flüchtige gewendet / und wie sie wieder zu finden. Sie hatten sich aber nach Venedig /wo Berdram sich bevor aufgehalten / gemacht / in welcher Statt die milch weisen Weiber / honigsüsse Wort hören lassen. Berdram hatte mit seiner Bettgöttinn einen schlechten Vorraht von Geld geschaffet /und schaffen können / aus thörigter Liebs Blindheit /dafür haltend Leichtebig werde ihme über alle Schätze seyn. Sie hatten aufgezehret / und auch das / was sie nicht vermöchten (etliches entlehntes Geld so Berdram von seinen Bekanten entnommen /) durchgebracht / und entschlossen wieder nach Saltzburg zu raisen / und mit den verlohrnen Sohn üm Verzeihung zu bitten.

8. Es berichtete aber Berdrams Freunde[221] einer / daß sie von ihren Eltern enterbet worden / und wie Adolph gewillet were seinen Bruder zu würgen / oder der Obrigkeit zu Abstraffung solcher Frevelthat fürzustellen: die Eltern der Leichtebig auch hetten entschlossen sie in ein Kloster zu sperren / etc. daß sie also der Anstalt ihrer Ruckkunfft außgestellet seyn liessen / und sich auf ein Schiffbegeben / nach Candia abzufahren / und aldar ihr Leben zuzubringen. Man hat aber Nachrichtung erlangt / daß solches Schiff verunglückt / und diese beede / mit allen andern ihren Gefehrten / ersoffen / daß sie also mit einem jämmerlichen Ende /wegen verübter fleischlichen Sünden und verrähterischer Untreue gestraffet worden. Aldolph aber hat sich nach seiner Eltern willen an andre Ort verheuratet.

9. Wer folgt seines Vaters Lehr /

hat zu hoffen Ruhm und Ehr:

die aus frevel widerstreben /

werden stets in Angsten leben /

und verderben in Gefahr /

weil sie hier deß Kains Schar

nachgefolget / den gestraffet /

Gott / der Recht auf Erden schaffet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 219-222.
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