(LXXI.)

Der falsche Bruder.

[235] Die Warheit hat einen breiten Fuß fest zu stehen / die Falschheit eine kurtze Ferssen bald zu fallen / sagen die Ebreer Sprichwortsweis / und wird solches von unsren Heiland verglichen mit den weißgedůnichten Gräbern / die von aussen weiß und rein scheinen / inwendig aber voll stinckender Todtenbeine und abscheulichen Unflats sind. Wie nun der Regen vom Himmel die weisse Farbe leichtlich abwäschet; also kan auch Gott alle Falschheit / und was im finstern geschihet an das Liecht bringen / und zu verdienter Straffe ziehen / massen solches auch nachgehende Erzehlung / ob sie wol fast einem Freudenspiele gleichet / mit einem traurigen Außgang beweisen soll.

2. Onesimo ein Rittersmann zu Valentia in Hispanien / hatte einen Streit und tödtliche Feindschafft wieder einen andern / daß er sich zu[235] rächen gewillet /und ihn ohne Wagnis seines Lebens / in seinem Bette ermorden lassen / und ist selbst gegenwertig bey der That gewesen / hat die Mörder angefrischet / und auch Hand angeleget. Wer was zu verlieren hat / wie Onesimo / fället den Schergen viel leichter in die Klauen /als die jenigen / so wie Bias / alles vermögen mit sich tragen.

3. Onesimo hatte Weib und Kind / war begütert und wol angesessen / und wolte sich aus dem Staub machen / wurde aber / weil er solches nicht zu werke richten könnē / bey Antrettung der Flucht ergriffen in Verhafft gebracht / und musste durch deß Henkers Hand sein Leben / alles sein Vermögen aber / dem Königlichen Bedienten lassen: daß seine hinterbliebene Wittib Daniela / wie ihrem Sohne Julian / und ihrer Tochter Decorosa in grossem Elend lebten.

4. Daniela hatte eine Base zu Cartagena / welche sie zu entbürden / Decorosam zu ihr nahme / und ihr alle Unterhaltung schaffte / Julian begabe sich auf ein Schiff / und vorhabens sein Glück in der andern Welt / wo der Pfeffer wächst zu suchen. Es fügte sich aber /daß er mit andern Soldaten / bey Africa außgesetzet /frisches Wasser zu holen / von den Moren gefangen /und in die Eisen geschlagen worden / da er denn kein Lösgeld / ausser seiner Mutter Threnen / welche für Gottes Augen wehrt gehalten / und auf die Erden fallend gen Himmel schrien / zu erwarten hatte.

5. Inzwischen aber nahme Decorosa an wundervoller Schönheit und übertreffligkeit zu / daß die Studenten auf der Hohen Schul Cartagena diese Jungfrau für die schönste gehalten / und ihr auffzuwarten sehr bemühet gewesen. Unter vielen war der grösste Liebhaber dieser Musa Quinidio ein Catalonier / vielmehr reichen / als adelichen Herkommens. Diese Decorosa sahe den schwartzen Vogel mit tauben Augen an /und ob sie wol / wie alle Jungfrauen die Fleisch und Blut haben / diesem ersten Buler nicht abgeneigt / hat sie doch ihr Spiel verbergen können / und ihn dahin genöhtigt / daß er ihr mit Mund und[236] Hand die Ehe versprechen müssen / der Hoffnung / daß er werde sie trösten können in ihrer Armut / jedoch bate Quinidio diese Winckel-Ehe in höchster Verschwiegenheit zu halten / damit ihn seine Eltern nicht enterben / oder mangel lassen möchten / welche zwar Kauffleute /aber nach Gebrauch dieser Landsart über hoch hinaus wolten etc.

6. Es begiebt sich daß Aßbert / ein betagter und reicher Mann zu Cartagena zu verrichten hatte / und Decorosam ersihet / höret auch daß sie eine Tochter Onesimo welchen er wol gekennt / und sich entschleusst bey Daniela ihrer Mutter anzuwerben. Daniela erkennet die Ehre dieser Freundschafft mit demütiger Danknehmung / und verhoffte hierdurch aus aller Dürfftigkeit gesetzet zu werden. Sie lässet also balden ihre Tochter nach Hause kommen / verkündigt ihr mit grossen Freuden / daß sie ihr einen reichen und gantz güldenen Mann geben wolte: Als aber Decorosa seine silberne Haare sahe / were sie lieber bey dem Rabenschönen Quinidio verblieben / dessen Geheimnis sie doch nicht eröffnen wollen.

7. Quinidio wolte diesem Alten einen Studentenpossen spielen / und lässet sich gleich einem leibeignen Ruderknecht aus Mohrenland kleiden / giebt sich für Julian aus / und bleibet also in der Daniela Hauß als Decorosa Bruder / und Aßberts Schwager. Dieser Quinidio erzehlete Wund er geschichte von fernen Landen / und brachte auch etwas von Geld mit sich /vorwendent / daß er solches erworben / und war der armen Wittib ein so viel lieberer Sohn. Daniela befragt ihn wegen Aßberts Trauung mit Decorosa / er wil nicht darzu rahten wegen deß Alters Ungleichheit / die gar zu groß / und kein gutes Ende nehmen würde.

8. Also verzögerte sich die Sache / biß der rechte Julian / von den Brüdern der Gnaden (freres de l'ordre de la Mercy) loß gekauffet worden / wieder nach Valentia kame / und von Daniela nicht wolt erkennet werden. Der heimliche Fürsprecher in dem mütterlichen Hertzen sagte ihr fast daß dieser arme ihr Sohn;[237] weil sie aber mehr nutzen von Quinidio / war ihr der Betrug lieber / als die Warheit: darzu denn Quinidio redlich halffe / und diesen Julian / als einen Betrüger verstossen haben wolte.

9. In dieser Noht fliehet er zu seinen andern Freunden / und giebet denselben so viel mündliche und schrifftliche Anzeichen / daß sie ihn erkennen / und einen Beystand leisteten wider Quinidio. Auf eine Zeit kommen diese beede Julian von den Worten / zu den Wercken / und stösset Quinidio Julian den rechten Sohn Onesimo zu boden / welcher vor seinem Ende von Daniela erkennet / und hertzlich betrauret wird. Quinidio musste nun mit seiner Winckelehe herfür brechen / und begehrte Decorosam zu freyen: Aßbert aber / als er sich betrogen / und den unschuldigen Julian ermordet sahe / bringt bey der Obrigkeit zuwegen / daß man diesen Betrüger / und Mörder an dem Leben straffet / und weil er sahe wie listig ihn Decorosa hintergangen / wolte er sie als eines enthaubten Tochter und Wittib nicht heuraten / daß sie also in Schanden sitzen geblieben.

10. Aus dieser Erzehlung setzen wir folgende Geschichträtsel / welches die aller schwersten sind.


Sag wie man den nennen kan

der ist seiner Schwester Mann?

Sie ist ihres Bruders Frau

biß verfällt der Lügenbau.


Man könte es auf Junonem deuten / die auch deß Jovis Schwester und Weib von den Poeten genennet wird.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 235-238.
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