(CII.)

Die Hinrichtung H. Deßfiats und H. de la Thou.

[349] Was die Alten ins gemein zu sagen pflegen: End gut /alles gut / ist absonderlich war von der Menschen Leben. Ist ihr Ende gut / so wird alles andres böses Leben dadurch beschönet / und hat jener Geist- und Sinnreiche Lehrer recht gedichtet / daß ein Stoischer Philosophus sich in der Christlichen Religion unterweisen lassen: Als er aber etliche Christen einen bösen Wandel führen / und doch seelig sterben sehen / hab er solches für ein grosses Wunder ausgeschrien /und gesagt / daß unter allen Völckern die Christen allein übel lebten und wol stürben. Solches wird aus nachgehendem Exempel mit mehrerm zu erlernen seyn.

2. Im Jahr 1642. den 12. Herbstm. wurde Henrich Desfiat de Cinq.-Mars Groß-Stallmeister Königl. Majest. in Frankreich / aus seiner Gefängnis für Gericht gestellet / und von dem H. Presidenten von Grenoble /samt vielen andern Parlaments Herren / welche der König absonderlich darzu ernennet / angehöret / und nach deme er seine Aussage gethan / hat er sich viel standhaffter / als zuvor bezeuget / weil er mit so grosser Ungedult / solchen Gerichtstag erwartet.[349]

3. Der Herr von Thou hat sich nahgehenden Inhalts / als er gefraget worden / ob er von H. Deßfiats Verrähterey wieder den König gewust? geantwortet / etc. Ich könte wol laugnen / daß ich solches gewust / weil mich niemand / als H. Deßfiat (welcher doch gleichfals straffbar / und wider mich nicht zeugen kan) beschuldigen wird. Ist also mein Leben und mein Tod /nach den Gesetzen / und der Gerechtigkeit in meinen Händen: Ich bekenne aber willig und ungezwungen /daß ich wegen gemelter Verrähterey / oder vielmehr angestellter Rottierung gute Wissenschafft getragen /weil ich in dreyen Monaten meiner Gefängnis zu sterben / und dieses elende Leben zu verachten / studiret. Die Gestalt deß Todes beduncket mich viel schöner /als das Leben / und wil ich eine so gute Gelegenheit seelig zu sterben nicht ans Händen lassen. Zum andern ist mein Verbrechen so abscheulich und sträfflich nicht / weil ich zwar üm die Verrähterey gewust /selbe aber beweglichst wiederrahten und davon abgemahnet / ihn auch als meinen vertrauten Freund / der sich auch meiner Gegentreue versichert / nicht angeben / und üm das Leben bringen wollen / welches ich mir selbsten abspreche und mich zu dem Tod verdamme.

4. Bald hernach hat man ihnen angezeigt / sie solten sich zu sterben bereit machen / welches sie mit grosser Standhafftigkeit angehöret / und der H. von Thou hat mit lachendem Mund zu H. Deßfiat gesagt. Nun wol an ihr bringt mich üm das Leben; ich hate Ursach mich über euch zu beklagen / ich liebe und dancke euch aber deßwegen. Es muß mit tapferem Muth gestorben seyn. Das Paradiß für dieses Leben ist ein guter Tausch. Hierauf haben sie einander ůmfangen / und sich erfreuet mit einander zu sterben /weil sie in ihrem Leben jederzeit gute Freunde gewesen. Als nun der Gerichtschreiber kame / welcher ihnen das Urtheil fürlesen sollen / hat der H. von Thou gesagt: wie lieblich sind die Füsse derer / die Friede verkündigen! In dem Urtheil sind die Briefe angezogen[350] worden / welche Deßfiat mit den Spaniern gewechselt / und weil H. von Thou solches gewust und nicht geoffenbaret / sind sie aller Ehren entsetzet /zu dem Tod verurtheilt / ihr Güter dem Könige heimgefallen / und Deßfiat zu Eröffnung der gantzen Handlung / an die peinliche Fage geworffen worden.

5. Hierauf sagte der Herr von Deßfiat: Ich erschrecke nicht für dem Tod / aber die art dieses Todes kommet mir erschrecklich vor. An die Peinliche Frage gehören keine Leute wie ich bin: Ich wil hoffen man wird meines Alters (von 22. Jahren) und meines Standes verschonē. Ich bekenne meine Schwachheit / auf diese Frage kan ich nicht antworten. Nach diesem haben sie zween Jesuiten zu Anhörung ihrer Berichte begehret / welche ihnen auch also bald zugelassen worden. Als nun der Herr von Thou gebeichtet / hat er gesagt / daß er sich sehr wundere / daß er von allen seinen Freunden zu Hofe verlassen werde. Der Jesuit sagte daß solches der Welt Lauff nach den bekanten Versen:


(Donec eris felix, multos numerabis amicos,

Tempora si fuerit nubila solus eris.)


Dieweil du sitzt im Glück wirst du viel Freunde nennen /

Wann trübes Wetter kommt / so wird dich keiner kennen.


Dieser hat H. de Thou sehr wolgefallen / und die Verse mehrmals wiederholet. Er hat in seiner Gefängnis sonderlich gelesen deß Bellarmini Büchlein (de arte bene moriendi) von der Kunst wol zu sterben /sich GOtt ergeben / die H. Sacramenten gebrauchet und sich mit einem eifferigen Gebet getröstet / sagend / daß diese Standhafftigkeit zu sterben / welche er erzeigt / eine besondere Gabe Gottes sey / und eine unverdiente Gnade / daß er voll Trostes zu dem Tod geführet werde. Er sagte vielmals die Wort in der 2. an die Cor. am 4. v. 17. Unser Trübsal die zeitlich und leicht ist / schaffet eine ewige / und über[351] alle maß wichtige Herrligkeit / uns / die wir nicht sehen auf das sichtbare / sondern auf das unsichtbare: dann was sichtbar ist / das ist zeitlich / was aber unsichtbar ist /das ist ewig. Wie auch die Wort aus der Epistel an die Römer am 8. v. 35. Wer wil uns scheiden von der Liebe Gottes / etc. Ich / sagte er / erkenne jetzund besser / als niemals die schnöde und hinfallende Eitelkeit dieser Welt / und dancke Gott / daß er mich daraus nimmet / und mich das Leben in dem Tod finden lässet.

6. In seiner Gefängnis hatte dieser Herr von Thou ein Gelübd gethan / daß wann ihn GOtt aus dem Gefängnis erlösen würde / daß er wolle ein Capellen bauen / und dreyhundert Pfund jährliche Einkunfften darzu stifften / welches er auch gethan / und selbsten diese Uberschrifft darzu aufgesetzet.


CHRISTO LIBERATORI

Votum in carcere pro libertate conceptum

FRANCIS. AVGVST.

THVANVS.

è carcere vitæ jam jam liberandus merito solvit.

Confitebor tibi DOMINE, quoniam exaudivisti me,

& factus es mihi in salutem. 12. Septem. 1642.


Etliche Brieflein hat er hernach geschrieben / und gesagt / nun wil ich nicht mehr an die Welt gedencken: Lasst uns vom Himmel reden.

7. Als sie auf die Binnen / und den Richtplatz solten geführet werden / und in die Kutschen steigen wolten / sagte der Herr von Thou: Mein Herr / man wil uns auf der Kutschen in das Paradiß führen. Diese Herren halten uns gar zu ehrlich. Nach der Kutschen ist der Hencker gegangen / welcher ein Schröder oder Sacktrager war / weil der Henker von Lyon krank /und sich kein fremder wolte gebrauchen lassen. Der Herr von Thou tröstete den H. Deßfiat / sagend / daß er sich nicht solte verlangen lassen länger zu leben /ob er gleich jung / in hohen Ehren / reich und noch grösser in der Welt hette werden[352] können / sondern vielmehr Gott dancken / daß ihre Seelen aus der Gefahr deß sündlichen Hofflebens gnädig errettet / und sie Christlich und mit gutem Vorbedacht sterben liesse / welches eine sonderliche Gnade Gottes were /und höher zu schatzen / als alle nichtige Hoheit dieser Welt. Wormit haben wir doch diese Gnade verdienet? Ob zwar der Tod schmählich / so bringt er uns doch zu der ewigen Ehre der Kinder Gottes.

8. Als sie nun auf der Binnen / haben sie mit einander höflich gestritten / welcher unter ihnen der erste sterben solte / und hat H. Deßfiat / weil er am meisten gesündiget / und am ersten verurtheilt worden / der H. von Thou aber / weil er der ältste / vorgeschützet /daß der Jesuit den Ausspruch gemachet / sagend / daß er auch der Großmůtigste / und seines Freundes Tod mit Standhafftigkeit würde anschauen können. Als der HErr von Thou die Binnen angesehen / hat er mit freudigen Geberden gesagt: von hier müssen wir in das Paradiß gehen / wer bin ich elender Mensch / daß ich noch heute in die Ewigkeit gelangen sol? Nach dem sie nun bey dem Richtplatz angelanget / hat H. Deßfiat erstlich absteigen müssen / und als er auf der Binnen jederman gegrüsset / seinem Beichtvater den Hut und den Mantel / welchen man ihm nehmen wollen / verehret / auf den Knien nochmals von seinen Sünden entbunden worden / und das Crucifix unterschiedlich geküsset / und gefragt / ob er das Wames müsse ausziehen? als solches geschehen / hat ihm der Jesuiten Diener die Haare müssen abschneiden / weil er nicht gewollt / daß ihn der Henker anrühren solte. Als er nun den Halß darstrecken wollen / hat er diese Wort gesag:


Mein GOtt / dir opfere ich mein Leben auf / zu Vergnügung meiner Sünden. Wann ich noch länger leben solte / wolte ich ein andres Leben führen / als ich bißhero gethan hab: weil es aber GOTT also gefällt / so gebe ich meinen Tod und mein Blut zu Versöhnung meiner Sünden /[353] und thue solches von gantzem Hertzen willig.

Hierauff hat er etliche Gebet zu der Jungfrau Maria horen lassen / und alsdann das Haubt dargestrecket /welches ihm aber das Haubt auf einem Hieb von dem Leib nicht abgesondert / daß es der Hencker gleichsam herab seegen müssen. Der Leichnam und das Haubt ist mit seinem Mantel bedecket worden.

9. Nach dem solches geschehen / ist der Herr von Thou aus der Gutschen geholet worden / welcher mit lachendem Angesicht auf die Binnen gestiegen / die Zuseher höflich gegrüsset / und mit ausgestreckten Händen den Henker ümfangen / geküsset und gesagt /daß er ihn liebe / weil er ihn zu dem Paradiß befördere. Er sagte zu seinem Beichtvater: Wir sind der Welt ein Schauspiel worden / den Engeln und den Menschen / und hernach: HErr lehre mich deine Wege /und leite mich deine Stege / in das Himmelreich. Er sagte den 115. Psalm auff den Knien gantz freudig her / und eignete ihme desselben Wort in seinem Zustand tröstlich zu.

10. Etlichmals hat er seinen Beichtvater gefragt: Ob nicht auch eine Eitelkeit in der Begierde zu sterben sey / und ob er nicht sündige? Der Beichtvater hat geantwortet: daß wann es ihm von Hertzen gehe / wie er nicht zweiffele / so sey es keine Sünde. Der Henker wolte ihm die Haar abschneiden / der Jesuit aber nahme ihm die Scheer und wolte es seinem Diener geben / der H. von Thou aber gabe sie dem Henker wieder / und sagte / er solte es ihm abschneiden: weil aber der Henker gar ungeschickt / musste es deß Jesuiten Diener thun: Inzwischen hube er die Augen gegen dem Himmel auf / sagend: was sichtbar ist das ist zeitlich: was aber unsichtbar ist / das ist ewig!

11. Als ihm nun die Haare abgeschnitten / hat er begehrt / es solten die ümstehenden für ihn zu[354] GOtt bitten und gefragt: ob man ihm die Augen nicht verbinden wolle? Der Jesuit sagt / daß solches bey ihm stünde. Darauf er begehrt man sol ihm die Augen verbinden / dann / sagt er / ich habe kein Hertz / ich muß es bekennen / aber Gott hält mein Hertz in seinen Händen / daß ich noch eine Standhafftigkeit sehen lasse / welche von seiner Gnade herkommet. Nach dem er nun ein Fazolet oder Wischtuch von den Zuschauern begehrt / hat man ihm 3. oder 4. zugegeworffen / unter welchen er eines genommen / und sich höflich darfür bedanckt. Er steckte also den Halß unter das Beil / der Hencker aber / nach dem er ihm das Hemmet an dem Hals aufgelöset / hat ihm das Haubt nur halb abgeschlagen / daß er zurücke gefallen / und das Haubt gegen dem Himmel gewendet /welches ihm der Henker gar abgeschlagen. Beide Leichnam hat man in der Kutschen von dannen geführet / und den Hn. Deßfiat in eine Kirchen / Hn. Thou aber gebalsamiret in seiner Eltern Grab gebracht.

12. Dieser Leben und Tod lehret uns die Beschaffenheit deß unbeständigen / und wandelbaren Weltwesens. Ein Poet hat über diese folgende Verse gesetzt.


Morte pari periêre duo, sed dispare causa

Est reus ille loquens, est reus iste tacens.

Morte pari periêre duo, sed perdidit illum

Fracta Fides, alium perdidit arcta Fides.


Es hat zween treue Freund ein gleicher Tod getrennet /

ob gantz ungleicher That: Der eine selbst bekennet

untreue Meuchellist: Der macht es nicht bekannt

aus gar zu grosser Treu und kommt in gleiche Schand.


Hiervon machte einer einen solchen Vers.


Omnia (La Thou ou le Thout) cum Magno (le grand (se sine jure (le Duc de Bouillon) cadunt.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 349-355.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Papinianus

Papinianus

Am Hofe des kaiserlichen Brüder Caracalla und Geta dient der angesehene Jurist Papinian als Reichshofmeister. Im Streit um die Macht tötet ein Bruder den anderen und verlangt von Papinian die Rechtfertigung seines Mordes, doch dieser beugt weder das Recht noch sich selbst und stirbt schließlich den Märtyrertod.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon