(CIII.)

Das falsche Zeugnis.

[355] Der böse Feind welcher ein Lügner ist von Anfang /hält seine Sachwalter hier auf Erden / welchen er mit zeitlichen und ewigen Unglück ablohnet. Der Gott der Warheit weiß hingegen die unschuldigen aus der Versuchung zu erlösen / und an das Liecht zu bringen /was verborgen und in geheim behandelt worden. Also hat Gott die unschuldige Susannam von der falschen Anklage der zween Alten durch Daniel errettet / und dem Daniel selbst aus der Löuengruben geholffen /seine Verleumder aber dargegen hinein werffen lassen. Dergleichen fast unerhörtes merkwürdiges Exempel ist auch folgendes.

2. Johan Beliard ein reicher Handelsmann zu Marsilien der berühmten Kauffmannsstatt in Frankreich /hat einem jungen Ehemann Georg Melue zu Tull wohnend 500. Kronen geliehen / darfür sein Vetter Esprit Vantier zu Monasque wonhafft / Bürge worden / und ist zu der Zeit der Wiederzahlung eine Jahrsfrist bestimmet / und darüber eine Handschrifft oder Schuldverschreibung bester massen aufgerichtet worden.

3. Nach zweyen Jahren / heischte Beliard sein vorgeliehenes Geld an den Selbst Schuldner Melue / welcher sich mit der Unmögligkeit entschuldigte / und ihn bate / er wolte mit ihme nach Monasque zu seinem Vettern der Bürge worden / raisen / welcher dann schon mittel machen konte / darein Beliard leichtlich gewilliget / weil es nur ein Spatzierweg. Ventier empfähet diese seine Gäste mit aller Höfligkeit / und weil die Sonne untergienge / blieben sie aldar über Nacht. In dem man nun die Mahlzeit zubereitet / gehen sie in dem Garten spatzieren: Melue sagte seinen Vettern /daß Beliard wolte bezalet seyn / und daß dieses die Ursach ihrer Raise.[356]

4. Ventier ein Ertzschinder hörte solche Zeitung mit betrübten Hertzen / sagend / daß er jetziger Zeit nicht bey Mitteln / und daß ihnen Beliard nachwarten müsste / oder / wenn er nicht wolte / andre Wege zu erfinden. Nach eingenommener Abendmahlzeit / sagte Ventier zu Beliard / daß er wol wisse die Ursache seiner Raise / und daß er leider / der Zeit / nicht bey Geld / ihn zu befriedigen / er solte aber sich gedulten /und noch ein Jährlein nachsehen / oder er würde es bereuen müssen. Beliard hette wol mit ihm handlen lassen / wann nicht die Bedrauung angehengt worden: Antwortet deßwegen / daß er sich für ihren Worten nicht fürchte / und ob das der Danck / daß er ihnen geholffen / ja sagte er / ich wil nicht von dannen / biß ihr mich bezahlet. Wol sagte Ventier / so muß ich dann einen guten Freund ansprechen / der mir einen Vorstand thut / etc. Hierůber weiset man Beliard zu Bette / und Ventier lässet seine Trugsleute / welche er zu vielen Partiten gebraucht noch in der Nacht zu sich fordern / und eröffnet ihnen / daß er ein Mittel erfunden sie alle zu bereichern: redet also die Sache mit ihnen ab / wie sie hernach werckstellig gemachet worden / als folgen sol.

5. Zu morgens sagte Ventier / er hette einen guten Freund gefunden / der ihm 500. Kronen leihen wolte /er solte sich nur biß nach Mittag gedulden. Inzwischen kame Peter Lardayret ein Königlicher Schrifftsteller / oder Notarius / und bittet Ventier er solte mit ihm kommen einen Tausch zu siegeln / welchen Peter Bremond und Johann Hodoul mit ihren Weinbergen getroffen / und wer ein Leykauff bedinget worden / für welchen sie ein Früstück bestellet. Ventier fragte /wer der andre Zeug seyn solte / und als er sagte / daß noch keiner angesprochen worden / baten sie beede Beliard / er solte mit kommen / welches auch geschehen / und hat sich der Kauffmann keiner Falschheit versehen. Als sie nun bey dem Früstück sitzen / und alle Diener weggeschaffet worden / giebt ihnen Ventier das Loß / und fangen darauf diese vier an zu sagen / daß Beliard wieder Gott und seine[357] Heiligen /unerhörte Lästerungen außgestossen / welche mit Bedacht hier nicht beygeschrieben worden. Weil man den Namen Gottes nicht soll vergeblich führen. Wann diesem also gewesen / hette Ventier nicht unrecht gethan / daß er es der Obrigkeit angemeldet / nach dem Gebot Mosis. 3. Mos. 5. v. 1. Wann eine Seele sündigen würde / daß er einen Fluch höret / und er deß Zeuge ist / oder gesehen / oder erfahren hat / und nicht ansaget (dem Richter 5. Mos. 17. 4.) der ist einer Missethat schuldig.

6. Beliard ruffet Ventier zum Zeugen an / Ventier aber sagt / daß er ihme keinen Beystand leikönnne /weil die Sache wieder die Ehre Gottes lauffe / und diese Sache nicht könne verschwiegē gehalten werden: bringen es auch dahin / daß dieser unschuldige Kauffmann in den den Kerker geworffen wird Die Zeugen werden wegē der Gottslästerung abgehört /die sagen einstimmig / daß es angegebener massen daher gegangen. Der Kauffmann laugnet / wird aber von den Verrähtern überzeugt / und kunte er sich auf niemand als auf sein gutes Gewissen beruffen. In was Nöhten der gute Mann gewesen / ist unschwer zu erachten: er hette die 500. Kronen gern zu rucke gelassen / wann er nur der ängstigen Verhafft entkommen mögen.

7. Die Parlaments Herren zu Aix / übereilten sich nicht in dieser schweren Sache / unn senden jemand aus ihren Mittlen nach Marsilien / aldar zu erkündigen / was der beklagt Beliard fůr ein Leben und Wandel von Jugend auf geführet / als nun jederman viel guts von ihm gesagt / und daß er ein ehrlicher und frommer Mann jederzeit gewesen von vielen beglaubet worden / werden die Zeugen nochmals verhört /unn er ihnen unter Augen gestellet / und die Anklage nochmals erwiesen / daß das Urtheil ergehet / Beliard sol von dem Henker durch die Statt geführet werden /mit dem Strang an dem Halse / mit einem Waxliecht in den Händen / und auf den Knien bey der Haubtkirchen Gott den König und die Gemeine üm Verzeihung bitten / alsdann sol ihme der Henker auf dem Richtplatz[358] die Zungen aus dem Rachen schneiden /und selbe samt ihm zu Aschen verbrennen / die Aschen auf den Weg streuen. Seine Güter sollen dem König heimgefallen seyn / von denselben für jeden Zeugen 500. Pfund dem Ventier aber / als Anklager und Eiferer üm die Ehre Gottes 2000. Pfund bezahlet werden. Mit was Ohren er dieses Urtheil anhören müssen / und in was Angsten er gewesen / ist nicht außzusagen. Doch verlässet Gott die Unschuldigen nicht / und macht sie ihren Lust sehen an ihren Feinden.

8. Die Freunde dieses Beliards haben sich seiner angenommen / und bey dem Parlament eine Bittschrifft eingebracht / und sich erbotten seine Unschuld außzuführen / dazu ihnen acht Tage Zeit verstattet worden. Hierauf lassen sie die Zeugen noch mals für Gericht erfordern / bittend sie über dieser Anklage ümständiger zu vernehmen. Sie erschienen ausser Jean Roland / welcher todt kranck lage / und Melue der aus Furcht eines bösen Ausgangs verraiset. Die andren Zeugen kundschafften wie zuvor / und Beliard beruffte sich allein auff Gott aller Hertzenkůndiger / welchen er brünstig anflehete seine Unschuld an Tag zubringen / ihn auch erhöret / und seiner Bitt /auf unerwarte weise gewäret.

9. Jean Roland / welcher wie gedacht / krank lage /wachte das Gewissen auf / daß er das gegebene falsche Zeugnis bereuend / beichtete / mit Bitt / der Beichtvater solte deß Beliards Unschuld / nach seinem Tod eröffnen. Der Beichtvater spricht ihm über einer so schweren und vorsetzlichen Sünde hart zu /sagend: daß wieder seine Pflichte / das Beichtgeheimnis zu offenbaren / und ihn solcher gestalt von seinen Sünden entbinden / wolle ihm aber rahten / er solle solches durch einen Königlichen Schrifftsteller zu Papier bringen lassen / und eigenhändig unterschreiben /welches er auch auff ernstliches zureden gethan / der Hoffnung / so viel seliger zu sterben.

10. Mit dieser Urkunde eilte der Mönich[359] auf Aix und kame eben zu der Zeit / als das erste Urtheil wieder Beliard bestettiget worden / welcher ihm gantz unbekant war. Als er solches verstanden / erfragt er deß Beklagten Sachwalter / und lesset noch zu rechter Zeit diese Urkund seiner Unschuld und der Anklägere falsches Zeugnis zu hintertreiben einbringen: darüber also bald die Zeugen in Verhafft genommen / und an die peinliche Frage geworffen worden Hodoul und Bremond erschrecket die Marter / daß sie die Missethat bekennen / und daß sie von Ventier solches außzusagen / angestellet worden weren / Beliard zu verderben / und sich zu bereichern. Hierauf schicket man nach dem Schreiber / der die Urkund außgefertiget /welcher den Verlauff der Sachen bekräfftiget.

11. Nach Erkundigung deß gantzen Handelsverfasste das Parlament vier Urtheil. 1. Wurde Beliard für unschuldig erkant / und auf freyen Fuß gestellt /ohne Entgeld. 2. Wurde Ventier (welcher dergleichen mehr gespielt) in die Straffe deß erledigten Beliards verdammet / und alle seine Güter dem König zugeurtheilt / ausser 10000. Pfunden / welche dem unschuldig beklagten darvon bezahlet werden solten: Sein Vermögen hat sich auf 5000. Kronen beloffen / und hat er alle seine Hilbertsgrifflein / bevor man ihm die Zungen heraus geschnitten und verbrennet worden frey bekennt / und erzehlt / wie er zu solchem Reichthum gekommen / etc. 3. Die zween falsche Zeugen sind lebendig gerädert worden. 4. Ist Melue Bildnis als ob er auf das Rad gelegt / aufgehangen worden /der älste Sohn / der erst die Zeugen geholt / ist deß Landes verwiesen / und der jüngste für unschuldig er kennet worden.

12. Also erfahren wir noch täglich / daß war ist was dorten Salomon sagt; in seinen Sprüchn am 6. und 12. Ein loser Mensch ist ein schädliche Mann /gehet mit verkehrtem Munde / darüm wird ihm plötzlich sein Unfall kommen / und er wird schnell zerbrochen werden / daß keine Hülffe da seyn[360] wird / etc. und am 25. cap. v. 6. Wer Schätze samlet mit Lügen / der wird fehlen und fallen und v. 27. Der lügenhaffte Zeug wird ümkommen.


Klingreimen.

Es ist zwar der bösen Zungen

eine Zeitlang wol gerungen /

biß Gott hat gesehen drein /

und den Trug / und Meuchel-Schein

an deß Tages Liecht gezwungen /

daß sie / was sie vor errungen /

mit verdienter Straf und Pein /

müssen hart beleget seyn.

Aus deß Satans Höllen Trieb

redet mancher Ehren Dieb

seinen Nechsten zu verderben:

Wann auch gleich sein frevel Mut /

dardurch schindet Gelt und Gut /

kommt es doch nicht auf die Erben.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 355-361.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon