(CXI.)

Die vezweiffelte Liebe.

[387] In dem Wörtlein blinde / ermangelt der Buchstab E. mit welchem es erfüllet das Wörtlein liebend. »Wann wir nun nach gebrauch der E. breer in den Buchstaben Geheimnisse suchen wolten / könte man sagen / daß die Liebenden / und Verliebte / ohne die Ehe / oder E / wie die Alten geschriebene blinde Leute weren.« Wie glückselig aber solten sie seyn / wann sie noch der Blinden Fürsichtigkeit hetten / und alle ihre Schritte zuvor mit dem Stab der Furcht Gottes versicherten. Wie aber in vorgesetzter Erzehlung solches nicht beschehen: also folget auch in nachgesetzten /daß die Buler solche Blinde / die mit andern Blinden die sie leiten / in die Gruben fallen / Matth. 15. 14.

2. Zu Verona führten zu Zeiten Bartholme Scaligers zwey vornehme Geschlechte die Montescher und Capelleten beharliche Todfeindschafft / daß sie noch durch Oberherrliche Vermittlung / noch durch der Befreunden Unterhandlung konten vereiniget werden. Die Waffen hatten sie zwar an den Nagel gehengt / jedoch mit dem Willen / solche bald wieder herab zu nehmen: und ob wol die Ursache solcher Feindschafft anfangs gar gering / so hat sie[387] doch / wie das anklimmende Feuer / nach und nach zugenommen / und noch viel andre beederseits belanget.

3. Unter den Montescheren war ein Jüngling / genannt Romeo / welcher sich erstlich in eine edle Jungfrau zu Verona verliebt / weil sie ihn aber keiner Huld gewürdiget / haben ihm seine gute Gesellen gerahten /er solte diese undankbare fahren lassen / mit ihnen zu den Däntzen / welche damals vor der Fasten üblich /gehen / und eine andre ersehen / die seinen Augen gefallen möchte. Dieses Vorhabens führten sie ihn vermummt in der Capelleten Hause / da er / nach gethanem Spiele / sich gleich den andern zu erkennen geben musste / welches doch die gantze Gesellschafft erstlich nicht in willens hatte.

4. Aus sondrer Fügung schickte sich daß die Capelleten den Anwesenden zu ehren / diesen Montescher / ob er wol ihr Feind doch nicht beleidigen wolten / sondern ihn ermahnten er solte sich frölich erweisen / welches er auch gethan / und in dem Fackel- oder Liecht-Dantz zu stehen kommen neben Juliettam / deß Capelleten im Hause schönen Tochter / die also bald ihn mit Drukung der Hände / und etlichen wenig Worten ihre Liebe verständiget / und in ihme gleiche Liebesflammen erwecket. Weil sich aber der Dantz geendet / hatten sie nicht Gelegenheit ferners mit einander Sprache zuhalten.

5. Als sie nun beederseits mit trauren erfahren / daß ihre Eltern Todfeinde waren / wie gesagt / hat ihnen fast alle Hoffnung ihrer Liebe zu geniessen / ermanglen wollen. Romeo / ein tapferer schöner und höflicher Jüngling unterliesse nicht üm seiner Liebsten Hauß zu spatzieren / und kame auch auf einen Abend mit seiner Julietta zu reden / und von ihr zuverstehen /ob sie in ihrer Gewogenheit beharrte: welche sie ihm auch der gestalt versichert / daß solche ihre Liebe auf Ehr und Tugend gerichtet / und dem Ehestand zum abgesehenen Zweg haben solte / etc.

6. Als Romeo ihre Meinung verstanden / und verhofft daß solche Verehlichung ein Freundschafft-Band[388] ihrer Geschlechte seyn / und aus sonderlicher Schikkung Gottes herrühren müsste / hat er seinem Beichtvater einem Minoriten Mönichen / Laurentz genamt /solches vertraut / und ihn üm Raht gebetten. Der Mönich führte ihm zu Gemüt / daß diese Heurat von den Eltern nicht wol würde verstattet werden / und daß er an seinem Orte ihm gerne darzu behülfflich seyn wolte / wüsste aber keine Mittel / weil die Feindschafft beederseits unversöhnlich. Julietta inzwischen beredete ihre alte Kindsmagd / welche sie auferzogen / daß sie ihr in dieser Sache beförderlich seyn solte /wie sie auch gethan / und die Abrede mit Romeo genommen / sich in bestimter Zeit in die Kirchen zu finden / und bey dem vorbesagten Mönichen Laurentz zu beichten / da sich auch Romeo in der Sacristey eingestellet / und nach gehaltenen kurtzen Gespräche und gegebenem Ehepfand / von dem Beichtvater eingesegnet und also ihren Freunden unwissend / getrauet worden.

7. Noch selben Abend schickte Romeo / durch die Alte eine Leiter von seidnen Stricken mit zweyen starken Haken / zu Nachts darauf zu seiner Julietta zu steigen. Solches machte er auch werkstellig / und vollzoge sein Ehliches Versprechen / mit übergrossem vergnügen. Solches trieben diese beede biß in den dritten Monat / und gedachten nicht einmal daß dieser Handel kein gutes Ende würde nehmen müssen. Es fügte sich aber bald hernach / daß die Capelleten und Montescher mit einander zu fechten kamen / daß ihrer sehr viel auf dem Platz geblieben. In noch wärenden Streit kommet Romeo mit etlichen seiner Gesellen darzu / und vermeinte Fried zu machen / und sie zu scheiden: aber vergeblich / dann sie sehr gegen einander ergrimmt / und setzte sonderlich Tibau ein naher Vetter der Julietta Romeo hart zu / welcher weichend sich vertheidigte / und üm Friede schrie: als er aber mit Worten nichts richten konte / gebraucht er sich der Waffen / seinem Gegner tapfer unter Augen zu gehen / und durchrennte diesen Tibau / daß er zur Erden sanke.[389]

8. Romeo musste wegen dieses Ableibens flüchtig gehen / und sich bey guten Freunden verbergen / daß er zu Nachts von seiner Julietta Urlaub nehmen konte / wie auch erfolgt / und er sich darnach von Verona nach Modena erhoben / seinen Knecht Peter hinter sich lassen / daß er ihn berichten solte / was sich etwan zutragen möchte / verhoffend nach kurtzer Zeit wiederum Landshuldigung zu erlangen / deßwegen er bey dem Scaliger / als Statt und Lands-Fürsten anhalten liesse. Julietta musste solchen Abschied / wiewol mit grosser Betrübniß / geschehen lassen.

9. Es erhube sich aber ein noch viel grösseres Unheil / in dem Antonio Montescho seine Tochter dem Grafen Paris von Ledronne Herrn von Villefranche /ehlich versprochen / und Juliettam mit vielen Bedrauungen seinen Willen zu gehorsamen genöhtiget. Julietta klagte solches ihrem Beichtvater / und fragte /welcher gestalt dieses Unglück zu hintertreiben? Der Mönich giebt ihr / nach genommenen Bedacht / ein Schlaffpulver / daß sie über 40. Stunden für todt und aller Empfindligkeit entnommen / würde liegen machen. Weil nun der Capelleten ihre Begräbnis in der Franciscaner Kirchen / in deren Kloster er sich auf hielte / wolte er sie alsdann leichtlich wieder herauß holen / vnd sie in Mannskleidern nach Modena zu Romeo senden etc.

10. Ob nun wol dieser Raht der verzagten Julietta fast abscheulich und grausam fůrkame / daß sie lebendig unter die Todten solte begraben werden: hat sie doch anderseits betrachtet / daß sie / durch die Verlöbnis mit dem Grafen Paris / ehbrüchig und untreu werden müsste / welches sie für sündlicher gehalten /als besagter massen getreu zu sterben. Den Abend nun vor ihrem Hochzeitlichen Ehrenfest / nimmet sie das Pulver in einem Getrank zu ihr / und fället also für todt auf ihr Bett. Was grosses Hertzenleid ihre liebe Eltern über diesem Trauerfall ist leichtlich zu erachten. So bald nun der Knecht dieses Verlauffs inträchtig wird / nimmet er die Post / und[390] reitet nach Modena / seinen Herren zu berichten / daß Julietta geen Todes verblichen.

11. Anders Theils hat auch der Mönich einem von seinen Brüdern / Robert genannt / einen Brief vertrauet / und darinnen Romeo alles was sich begeben /berichtet mit Bitt / er solte eiligst kommen und seine Julia / im abholen. Es fügte sich aber / daß eben zu selber Zeit einer von den Franciscaner Mönichen an der Pest gestorben / und deßwegen ihnen allen verbotten worden / nicht aus dem Kloster zukommen / daß also der abgeordnete Bruder Robert / Romeo das anbefohlne Schreiben nicht einhändigen können / daraus grosses Unheil entstanden / wie hernach folgen wird.

12. Romeo hatte so bald seiner Liebsten Tod nicht vernommen als er sich auch zu sterben entschlossen /zu welchem Ende auch er von einem Apotecker Gifft erkaufft / seinen Knecht vorangeschicket / und Liecht und andere Geretschafft / in der Julietta Grab-Gewölb welche neben neulich entleibten Tibau ihren Vettern /als todt geleget worden / zu brechen. Bald hernach folgte Romeo / und fande seine Liebste noch vor den 40 Stunden / wie er vermeinet / todt / worauf nach vielen Trauer Worten und Abschied Küssen den sehr starken Gift zu sich genommen hat / daß er warhafftig todt neben ihr niedergefallen.

13. Der Mönch Laurentz kame bald darauf auch in das Grab / weil er wuste daß Julietta wieder erwachen solte / und fande Romeo gantz aufgeschwollen neben ihr todt / darüber er sehr erschrock / und weilen er ein Gereusch hörte / mit Furcht und Zittern / und Hinterlassung der Liechter / aus dem Grabe eilete und also diese halbtodte Juliettam allein liesse / welche bereit zu sich selbst zukommen angefangē / unn ihren liebsten Ehe Herrn gantz erstaunend neben sich todt ersehen. Ihre Augen wurden Threnen Quellen / und flossen als Bluts-Tropfen ihres verwundten Hertzen häuffig über ihre blasse Wangen. Nach einer erbärmlichē Trauerrede konte sie sich nicht enthaltē mit dem zu sterben der sie für tod gehalten / und sie biß in[391] den Tod geliebet / ergrieffe deßwegen Romeo Dolche /welchen er an der Seiten hatte / und stösset ihr selben dreymals in die Brust / dadurch sie dann die Hertzkammer verletzt / und ihr Leben in solcher verzweiffelten Liebe jämmerlich geendet.

14. Dieses wurde nun bald Stattkündig / weil Romeo seinem Knechte einen Brief / darinnen die Erzehlung der gantzen Geschichte begriffen / eingehändiget / selben folgenden Morgens seinem Vatern zu übergeben. Der Mönich / der Knecht und die Magd wurden in Verhafft genommen / die todten Leichname aus dem Grab-Keller zu gerichtlicher Besichtigung vorgewiesen / und endlich die gantze Sache durch die Briefe / so Bruder Roberten anvertrauet worden / außfindig gemachet / deßwegen auch nach Modena geschrieben / daß der Apoteker mit dem Strang vom Leben zum Tod gerichtet / die Magd / weil sie zu solcher Winkel Ehe geholffen / und es ihrer Herrschafft nicht angemeldet / deß Landes verwiesen / der Knecht frey gesprochen / und dem Mönichen sein Unrecht zu erkennen gegeben / welcher ihm selbst die Straffe auferlegt / daß er die Zeit seines übrigen Lebens in einer Einsamkeit als ein Einsiedler zugebracht.

15. Durch diesen erbärmlichen Fall sind die Capelleten und Montescher vereiniget worden / und haben den beeden Verliebten ein herrliches Grabmahl aufrichten lassen / welches zu Verona noch heut zu Tage zu sehen ist. Ob wol ihre Liebe ehrlich und ehlich verbunden / so haben sie solche doch nicht ehrlich angefangen / und deßwegen elendiglich hinaus geführet: Massen nicht genug ist / einen guten Vorsatz haben /sondern man muß auch durch rechtmässige Mittel darzu gelangen. Diesen Verliebten könte man eine solche Grabschrifft verfassen.


Die wir uns gar kurtze Zeit

ehr- und ehlich fest geliebet /

hat die Feindschafft Haß und Neid

in dem Leben offt betrübet.[392]

wann die gleich gesinnten Hertzen

nach dem Tod einander lieben /

werden wir in Freuden-Schertzen

uns in jenem Leben üben.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 387-393.
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