(CXIV.)

Die Heuchlerische Andacht.

[401] Sihe zu sagt Sirach / daß deine Gottesfurcht keine Heucheley sey: dann Gott / der in das verborgne sihet / lässet sich nicht spotten. Der Schwan mit seinen weissen Federn und schwartzen Fleisch ist als ein Bild eines Heuchlers / von den Opfern verworffen /und pflegen alle Heuchler vor ihrem Tod ein erbärmliches Grablied anzustimmen / wie unter vielen andern Exempeln / auch folgendes bezeugen kan.

2. Doritia eine edle Jungfrau / hatte zwo Schwestern und etliche Brüder / welche alle wol außgesteuret und verheuratet / sie aber in das Kloster verstossen wurde / wieder ihre Neigung und Willen. Ihr Vater ein Löw in seinem Hauß / für welches brüllen alles erzittern musste / erheischte von ihr solchen Gehorsam / und durffte sie sich nicht erkühnen / ihme zu wiedersprechen. Nach ihres Vaters Todt / wolte diese gezwungene Nonne die Kutten / oder vielmehr die Larven wegwerffen / und hatte einen heimlichen Rahtgeber / der ihr ein Zeug seyn konte / daß solches Gelübd gezwungen und genöhtiget / wieder ihren Willen geschehen / und daß sie kein Nonnenfleisch jemals gehabt.

3. Ihre Brüder waren in dem Krieg geblieben / ihre Schwestern hatten das Güttlein getheilet / sie wil ihren Antheil haben / weil ihr Gelůbd für nichtig und unbündig geurtheilt und aufgelöset worden.[401] Ihre Schwestern hatten der Armen Reichthum / ich wil sagen / viel Kinder / und wolten deßwegen nichts heraus geben / oder ja gar wenig / mit dem ihr Sachwalter / und künfftig Ehevogt / welchen Titel er damals nicht haben wolte / sich nicht begnügen liesse / sondern einen Rechtshandel daraus angesponnen / der sich lange Zeit verzögert.

4. Aus dieses Einraten / gabe Doritia für / sie könte nichts zurucke lassen / weil sie ein Kloster von ihrem Antheil der Erbschafft stifften / und die Zeit ihres ruckständigen Lebens darinnen zubringen wolle. Dieses ihr Vorgeben bescheinigte sie mit vieler heuchlerischen Andacht / daß man sie mit Fug eine weltliche Nonne nach eusserlicher und innerlicher Scheinheiligkeit nennen mögen. Sie war kaum der Kloster Gefängnis entkommen / und hatte die Welt mehr lieb gewonnen / als andre / so von Jugend auf weltlich erzogen worden / und stellte sich doch als ob sie ihr Hertz bey ihren Schwestern hinterlassen.

5. Ob nun wol das Geld / welches ihr ihre Schwestern heraus geben wolten / genugsam ein Gedechtnis ihrer Andacht zu stifften / so wolte sie doch nicht zu frieden seyn / und alles haben / damit nach ihrem Gefallen zu geberen / und sich in einen Orden zu begeben / da man den ersten Tag sein Gelübd / ohne vorhergehende Prob- oder Lehr-Jahre zu thun pfleget /welcher ist der H. Ehstand / Gott aber / dem falsche Hertzen ein Greuel sind / hat diese Heuchlerin mit einem Schlag urplötzlich getroffen / daß sie gesund schlaffen gegangen und folgenden Tages in dem Bette todt gefunden worden.

6. Ihr Sachwalter beklaget sich darüber mit kläglichen Worten / daß darauß leichtlich zu schliessen /was Doritia im Sinn gehabt / muste aber mit leerer Hand abziehen / und mit seiner verführten Nonne auch alle seine Hoffnung zu Grabe tragen sehen. »Unter allen Wundern unsers Erlösers ist nicht zu finden / daß er einen Heuchler bekehret / und einen Narren weiß gemachet: ja unter hundert Worten[402] seiner Predigt / sind allezeit vier und zwantzig wieder die Heuchler gerichtet.« Wie diese Nonne gefahren ist leichtlich zu erachten.

7. Einfalt / Warheit / Ehr und Treue /

bringt dem Menschen keine Reue:

aber Gott und Menschen trügen

macht die Lügen-List erliegen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 401-403.
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