(CXXIII.)

Der unschuldig erhengte.

[423] Es waltet eine Zweiffelfrage bey den Weltweisen: Ob ein unschuldiger Mensch / wegen deß gemeinen Nutzens könne hingerichtet werden? Diese Frage hat Caiphas der Hohepriester / mit ja beantwortet / und dem Volk geraten / daß besser ein Mensch sterbe für das Volk / dann das gantze Volk verderbe / entweder durch eine Aufruhr / oder durch der Römer eusserliche Gewalt / Fast dergleichen Rahtschlag hat auch jüngsthin den König in Engeland üm das Leben gebracht / und hat sich nachfolgende Geschichte zu meiner Zeit in Lyon begeben / welche gleichfals auf erstgedachten Lehrsatz abgesehen.

2. In besagter Statt hat es zwischen den Papisten und Calvinisten vielmals grosse Unruhe gegeben /wie dann die Glieder eines Leibs / so gleichsam[423] von zweyen Seelen oder Sinnen regieret werden / nicht wol können einig bleiben. Als sich nun 1627. zugetragen / daß Thomas Aldendorf ein Hessischer Edelmann / der Calvinischen Religion zugethan / und sich damals zu Lyon aufhaltend / durch ein hitziges Fieber / in Aberwitz geraten / hat er sich aufgemachet und ist in der Statt herum spatzieret / mit vielen abenteurlichen Gedanken und Geberden. Als er nun auf die steinerne Brucken über die Saone gehend das steinerne Crucifix gesehen / hat er mit denselben zu reden angefangen / und von dem Todten Bild Antwort haben wollen. Als nun der Stein / wie leichtlich zu erachten /stillgeschwiegen / hat er einen Stab geholet / und wieder Antwort erheischet / und weil solche nicht erfolgt / hat er auf das Bild zugeschlagen / und ein grosses Geschrey angefangen.

3. Unter den zugeloffnen Volcke wurde ein grosser Widerwillen: Die Papisten wolten ihn todt haben: Die Calvinisten entschuldigten ihn / als einen fremden und gantz aberwitzigen Menschen. Weil nun dieser Zwitracht sich von Stund zu Stund mehrte / mit Bedrauen und Scheltworten: musste der Königl. Statthalter seine Soldaten hinsenden / und den Ursacher solches Auflaufs in Verhafft nehmen lassen.

4. Der Catholische Pöbel wolte sich darmit nicht vergnügen lassen / sondern kame mit ungestimm für deß Statthalters Hoff / und begehrten den Teutschen zur Straffe zu ziehen / oder sie wolten diesen Frevler aus dem Gefängnis holen / und selbsten abstraffen. Der Königl. Statthalter wolte sie besänfftigen / aber alles vergebens / und hat dieses ergrimmte Thier / ich sage der gemeine Mann / noch Augen noch Ohren / in dergleichen Fall / aber wol Hände und einen Mund /der grosse Dinge redet. Man sagte ihnen der Thäter were aberwitzig / sie wolten es aber nicht glauben.

5. Weil nun der Königl. Statthalter sahe / daß durch dieses närrischen Menschen Tod / die Rottirer zu vergnügen / hat er einen Galgen / auf der Brücken /[424] gegen dem Crucifix aufrichten / und den armen Aldendorf / durch den Henker / daran henken lassen: ungeacht / er fast aller Vernunfft beraubt / und auf der Leiter / den Scharffrichter gefragt: Ob er nach Paris verraise? Die Calvinisten / als sie die grosse Menge gesehen / haben sich verkrochen / und geschehen lassen müssen / was sie nicht hindern können / befůrchtend / daß ihre Häuser darüber möchten geplündert werden / wie mehrmals zuvor geschehen.

6. Ob solches verantwortlich / wollen wir nicht urtheilen / dieses aber allein gedenken / daß die Rahtschläge / sie haben so guten Schein als sie wollen /wann sie bey Gott nicht verantwortlich / auch bey den Menschen nicht können gerechtfertiget werden. Die Gesetze der irrdischen Götter sollen gleichsam ein Gegen- oder Wiederhall seyn der Himmlischen Gesetze / und muß der Grund unsers Thuns die Ehre Gottes / und deß Nechsten Nutzen seyn / wann es sol wol hinaus gehen.

7. Ein tauber / lahmer / blinder Mann /

und sonst betrübter jammer Stand /

hat nichts zu klagen / wann er kan

gebrauchen seiner Seele Pfand

Sinn und Verstand.

Wer aber dieses ist beraubt /

ist gleich dem Rind und dummen Thier:

ja noch viel ärger / weil sein Haupt

entblödet / trachtet für und für

zu Schaden hier.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 423-425.
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