(CXXVI.)

Die Menschen Wölffe.

[432] Es rühmet das Sprichwort der Wölffe Einigkeit; in dem ein harter Winter seyn muß / daß einer den andren / verstehe der ältere den Jüngern / oder der stärckere den schwächern fressen sol. Die Menschen aber sind in diesem Fall viel ärger / als die unvernünfftigen Thiere / in dem sie nicht allein einander mit den Waffen aufreiben / sondern auch sich durch Zauberey in Wölffe verstellen / und ihrem Nechsten zu schaden trachten: wie desselben unterschiedliche Exempel gefunden werden.

2. In dem Mitternächtigen Ländern schreibt Olaus /daß sich die Leute in der Christnacht in Wölffe verwandlen und grossen Schaden thun / andre anfallen /zerreissen / und so gar der jungen Kinder nicht verschonen. In Teutschland hat man auch unterschiedliche Exempel / daß Druten und Drütner sich in Wölffe verwandelt haben / und wann sie verwundet / oder daß ihnen eine Patten abgehauet worden / hat sich befunden / daß es Menschen Hände oder Füsse gewesen.

3. Also haben sich auch zwo Hexen / welche gesehen / daß ein armer Weinführer sein Geld in seinen Schubkarn verkeulet / sich in Schweine verstellet /ihme nechst der Statt Würtzburg fürgewartet / verjagt /[433] und mit ihren Waffen den Schubkarn zerbrechen wollen: ungefehr aber hat sie ein Wildschütz begegnet / und die eine darvon geschossen: welche also bald wieder zu ihrer ersten Gestalt kommen / und erwiesen / daß sie ein altes Weib gewesen.

4. Hiervon fragt sich nun: ob solches mit natůrlichen Ursachen geschehen könne? wie etliche wollen: oder ob solches eine Verblendung? Was die H. Schrifft von Nebucadnezar sagt / daß er zu einem Rind worden / das Graß auf dem Feld genossen / und nach neun Jahren wieder zu seiner ersten Gestalt gelangt / kan hieher nicht gezogen werden: weil solches von Gott / und nicht von dem bösen Feind beschehen. Also auch von Lohts Weib / von der Schlangen in Egypten und dergleichen. Was wir auch von Niobe /Lycaon dem güldnen / Esel / etc. lesen / das sind Lehrgedichte / und weiß man wol / daß eine vernünfftige Seel / den Leib eines Thiers nicht wesentlich begeistern / regieren und bewegen kan / weil kein Ebenmaß oder Gleichheit zwischen diesen beeden.

5. Viel glaublicher ist / daß der Tausendkünstler der Satan / den seinen einen blauen Dunst für die Augen mache / ihnen traumend einbilde / daß sie dieses und jenes verrichten / da sie doch an ihrem Ort liegend verbleiben / und als todt / unbeweglich schlafen. Also glaubte jener Prestantius / daß er in ein Mutterpferd verwandelt / den Soldaten Speiß und Trank zugetragen / welches sich zwar geschehen befande / er aber war nicht von der Stelle kommen / wie seine Kinder aussagten: daß man nicht anders wähnen können / als das solches von bösen Feind beschehen.

6. Wie ist möglich / daß eines Menschen Leib solte so klein werden / als ein Ratz oder eine Mauß ist /oder als ein Frosch / eine Katz / etc. daß aber die Verwundung sich an deß Zauberes Gestalt findet / beschihet würklich auch durch den bösen Feind an deß Zauberers Leibe. Ist also die Verblendung nicht eines wesentlichen Wolffs / sondern eines falschen Scheinbild / und weiß man wol / daß melancolische Leut ihnen dergleichen Abenteurliche Sachen einbilden / sich in Wäldern und Einnöhten aufhalten /[434] zu Nachts aber /wie die Wölffe hervor lauffen / und den Menschen und Viehe schaden wollen / ob sie gleich keine Wolffs Gestalt an sich haben.

7. Diese Krankheit kan auch entstehen wann einen ein rasender oder wütender Wolff gebiessen hat / daß solcher Bieß ihn der Wolffsart theilhafftig machet /wann er ihm nemlich solches hart und fest einbildet. Also hat ihr eine Dirne zu Breßlau in Schlesien eingebildet sie sey eine Katze worden / weil sie von einem Katzenhirn geessen. Ein andrer soviel Geißmilch getrunken / hat ihm eingebildet er müsse Graß und Kraut essen wie ein Geiß. Daß aber solche Verwandlung wesentlich beschehen / ist der Göttlichen Ordnung unter den Geschöpfen zuentgegen / und kan der böse Geist nicht eines in das andre verkehren.

8. Diesem nach sind solche Wolffs Menschen /kranke und melancolische Leute / welche ihnen einbilden daß sie solche Thiere / und alles zerreissen und auffressen müssen: massen zu Würtzenburg ein solcher in das Gefängnis kommen / der außgesagt / es sey kein besseres Fleisch als Menschenfleisch / und wer solches einmahl gekostet / nicht mehr darvon ablassen könne. Es werden aber diese Leute nach kunstgründiger Richtigkeit der Teutschen Spraache Wolff-Menschen genennet / weil sie Menschen sind / welche aus besagten Ursachen Wolffs Art und Eigenschafft an sich genommen.

9. Oder es sind Menschen Wölffe: wann der Satan seine Leute glauben machet / daß sie in Wölffe verwandelt sind: ob nun solches wesentlich beschehe (wie dann unter der Grösse eines Wolffs / und eines Menschen / der auf Händen und Füssen kreucht nicht viel Unterscheid) oder / ob der Teuffel ein Aas von einem Wolff belebe / oder sich / aus Gottes Verhängnis / in dieses Thier verstelle / oder darein fahre / wie in der Gadarener Schweine / ist nicht wol zu entscheiden / und gehöret zu der Frage: Ob dieser Trug- und Lügen Geist über die Natur würken könne oder nicht?[435]

10. Der böse Geist ist ein gefallner Engel / welcher aus Neid die Sünde in die Welt gebracht hat / und noch täglich trachtet die Menschen / weil sie von Gott wehrter gehalten / als er / zu verderben. Dieser Geist hat seine Diener / die Hexen / Zauberer / und Gottlosen: wie Gott durch seine Knechte seinen Willen vollbringen lässet. Etliche nun von solchen Unholden unterrichtet er mündlich / oder schrifftlich / wie sie mit Beschwerungen / Figuren / Bildern / etc. übel stifften sollen: bedienet sich auch wol etlicher Wort aus der H. Schrifft / in verkehrtem Verstand / und gereichen alle solche Sachen zu deß Leibs und der Seelen Schaden / aus gerechtem Gericht Gottes / ohne welches Verwilligung kein Haar von unsrem Haubt fallen kan.

11. Dieser Aff deß Allmächtigen will seine Werke nachmachen / und ist der Cirkel / welchen seine besagte Diener üm sich zu schreiben pflegen / eine Nachahmung Göttlicher Vollkommenheit. Mit etlichen redet er aus verfallenem Gemäur / weiset sich in Gläsern / in Krystallen / giebt ihnen allerhand Pulver /welche theils schwartz und töden / rot und kranck machen / weiß / und heilen sollen / deren Farb ist zwar ohne Würkung / ihr Meister aber bringt dardurch das versprochene oder angedraute zu wegen. Die Weiber /welcher Verstand schwächer / als der Männer sind der Verblendung dieses Tausendkünstlers viel fähiger /und macht er sie glauben / was nicht ist und nicht geschehen kan: weiln wir aber solcher Würkungen gründliche Ursachen nicht wissen / halten wir für Wunderwerk / was doch offt natürlich zugehet.

12. Der Satan ist ein Fürst der Lufft / und kan unsre schwache Augen leichtlich betrůgen / daher hat er auch Mittel Wetter und Winde zu erwecken / den Früchten zu Schaden / und hat eine Zauberin in Finnland / die Statt Silhtok in Schweden gantz abgebrennet / im Jahr 1533. Was Job durch diesen Verderber für Leid zugefüget worden / ist aus der H. Schrifft bekannt. Das Ungeziefer mag auch der Satan leichtlich zuwege bringen / weilen er ihren Stoff /[436] und wie solches erzeuget wird wol weiß / und meisterlich zu werke bringen kan. In dem wir nun solches nicht sattsam verstehen / so können wir auch nicht wissen / ob / und was er übernatürlich würke / welches zu Zeiten auch seyn kan / wann es Gott ihm zulässet.


13. Gott ist und bleibt doch gerecht:

den er ob verůbten Stunden

machet seine Straff empfinden /

quält der Höllen Henkersknecht.

Wer am Höchsten sündigt nicht /

fürchtet auch nicht sein Gericht.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 432-437.
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