(CXXXI.)

Der gefangene Ziprianer.

[449] »Wie dorten der König zu Heßbon die Kinder Israel nicht wolte mit Frieden durch sein Land ziehen lassen / ob sie sich wol erbotten keinen Schaden zu[449] thun /und auch das Wasser zu bezahlen: Also werden noch heut zu Tag die Frommen auf ihrer Walfart / in diesem Leben von den Bösen gehindert / wann sie gleich / still und ohne Schaden dahin wallen wollen.« Dieses wird auch aus nachgehender Erzehlung zu bemercken seyn / welche die jenigen geschrieben hinterlassen / so persönlich mit dem langgefangenen geredet / und allen Verlauff aus seinem Munde vernommen haben /als zu lesen in Simon Majol. Hundstagē. oder dieb. canicul. am 159. Blat.

2. Pechio ein Handelsmann zu Mailand ist mit einem vornemen Herren in Feindschafft und Strittigkeit geraten. Als er nun auf einer Raise / wurde ihm von seines Feindes Dienern fürgewartet / und er gefänglich auf deß besagten Herrn Schloß gebracht /und zwar in einem grossen Sack. Dieser Pecchio war ein Zipprianer / das ist / mit der schmertzlichen und fast unheilsamen Krankheit deß Zipperleins behafftet / welche man von Cypern oder der Venus Königreich benamet: weil dieselbe vielleicht nicht die geringste Ursach darzu giebet / nach dem gemeinen bösen Reimen von einer bösen Sache.


Bacchus der Vater

Venus die Mutter

Ira die Hebamm /

zeugen Podagram.


3. Als nun dieser Zipprianer in seines Feindes Gewalt / hat er ihn nicht wollen tödten / sondern ein solches Leben lassen / welches viel ärger / als der Tod /in dem er ihn in ein finstres und kleines Gefängnis zu stecken / und mit ein wenig harten Brod und stinkenden Wasser täglichs abzuspeisen befohlen. Dieses war nur einem Diener vertraut / und allen den andern auf dem Schloß unwissend / daß also Pecchio in einem sehr elenden und armseligen Stand ihme tausend Tod / ja die empfindlichste Marter angewünschet / sich mit kurtzen Schmertzen / von den langwärenden zu befreyen. Doch hoffte er in solchem Elend / Gott werde sich endlich über ihn erbarmen und wiederum[450] an das Tages Liecht bringen / oder das Leben enden lassen.

4. Inzwischen aber laufft das Pferd / welches Pecchius geritten / wieder zu rucke / und ist mit Blut besprützet / daher man vermutet / daß er ermordet wor den. Weilen sich aber zween in Verdacht gefunden /mit welchen sich dieser Pecchio gezanket / sind sie an die peinliche Frage geworffen / und weil sie aus Marter den Todschlag bekennet / unschuldig hingerichtet wordē: deßwegen auch die Erzehlung unter den Traurigen ihre Stelle billig hat: Sonders zweiffel aber /habē diese beede dē Tod an andren verschuldet gehabt.

5. Oberzehlter massen hat Pecchio sein Leben neunzehen gantzer Jahr zugebracht / und bey solcher gezwungenen Mässigkeit das Zipperlein niemals gespüret / auch nachmals / als er ledig wordē / desselben befreyt gewesen. Diese Zeit über hat er noch Sonne noch Mond gesehen / kein Kleid verändert /noch außgezogen / Wasser und Brod zu seiner Nahrung gehabt / daß sich nicht zu verwundern / wann seine Söhne die Gůter getheilet / und ihren Vater für todt gehalten. Nach neunzehen Jahren ist der rachgierige Herr des Schlosses gestorben / und hat einen Sohn hinterlassen / der das Schloß alsobald grösser hat bauen wollen / zu solchem Ende auch die Mauren niederwerffen lassen / und sonders zweiffel aus Gottes Schickung / den Anfang bey dieses Pecchio Gefängnis machen lassen.

6. Hier kroche nun herfür ein andrer Nebuchadnezar / mit Adlershaaren / Löwen Nägeln / und gantz zerlumpten Kleidern. Viel kamen dieses Abenteur zu sehen / und haben etliche verständige geraten / man solte ihn nicht also bald in die Lufft und in das Liecht kommen lassen / damit ihm die geschwinde Veränderung nicht nachtheilig seyn möchte. Also ist er etliche Tage noch in halbfinstern Zimmern und Gewölben über der Erden aufgehalten und alsdann wieder frey gelassen worden.

7. Ob man ihm allerhand Fragen aufgegeben / ist leichtlich zu erachten. Er hat als einer der gleichsam von den Todten auferstanden / seine Güter vertheilt[451] gefunden / und bey der Obrigkeit zu wegen gebracht /daß ihme solche wider eingehändiget worden / und noch etliche Jahr hernach deß Zipperleins gantz befreyt gelebt.


Geschichträthsel.

Er lebt und lebet nicht / doch ist er lang begraben /

sein hagers Angesicht gleicht einem schwartzen Raben.

Der Stein erwecket ihn / daß er nach vieler Frag

aus düstrer Nacht entzukt kommt wieder an den Tag.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 449-452.
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