(CXLIII.)

Die schändliche Verleumdung.

[499] Die Verleumdung ist in Gottes Gesetz verbotten /wann Moses sagt: Du solt kein Verleumder seyn. 4. Mos. 19. 15. Und warnet der weise Konig Salomon darfůr / wann er in seinen Sprüchen am 20. v. 19. sagt: Mit dem Verleumder sey unverworren / seine Wort sind Schläge. Sprichw. 18. v. 8. Er ist ein Narr /am 10. v. 10. und machet die Fürsten uneins. 16. 28. Ja Sirach sagt / Ein Verleumder sey schädlicher als ein Dieb am 5. Cap. 17. vers. Weil nemlich ein guter Name mehr ist als Geld und Gut / und der Apostel Paulus nennet einen Verleumder Gottes Feind / weil er dem Teuffel gleichet / der von der Verleumdung seinen Namen hat. So abscheulich nun dieses Laster /so gemein ist es / wie die tägliche Erfahrung / und auch nachgesetztes Exempel beglaubet.

2. In Frankreich ist unter den fruchtbarsten Provincien Auvergne / welche gleichsam der Getreid-Boden deß gantzen Königreichs kan genennet werden. In dieser Landschafft wohnten zu unsrer Väter Zeiten zween von Adel / gute Freunde und Nachbaren / weil ihre Schlösser nur eine halbe Meile von einander gelegen. Diese mussten zu gewissen Zeiten nach Hof /oder auch in den Krieg ziehen / wie sie damals in dem Lager / bey dem Marggrafen von Villars seyn müssen / und ihren Diensten abwarten.

3. Als nun Marin Verlaub erlanget nach Hause zu raisen / hat ihme Jannin sein Freund Briefe mit gegeben / und gebeten / er solte in dem durchraisen sein Weib grüssen / sie seiner Gesundheit / und Wolergehens versichern / und ihr die Briefe einhändigen /[500] welches er auch willig verrichtet / und Laurinam Abents angetroffen / daß sie ihrem Töchterlein und ihren Mägden zu arbeiten vorgegeben / ist auch von ihr /als ein Nachbar und guter Freund ihres Mannes höflichst empfangen worden.

4. Marin betrachtete die schöne Laurinam / und verliebte sich in sie / daß er über Tisch sie beharrlich anschauend / Essens und Trinkens vergasse. Zu Nachts bedacht er seine Thorheit / liebte sie aber doch / massen keine Krankheit angenehmer / als die Liebes Krankheit. Zu morgens musste er Urlaub nehmen /und wurde mit vieler Höfligkeit verabschiedet / daß das Hauß und alles darinnen zu seinen Diensten daß er jederzeit willkomm seyn solte / etc. welches alles der verliebte für Zeichen einer Gegen-Neigung aufnahme / und zu seinem Vortheil außrechnete. Als er sie nun / nach Frantzösischer Gewonheit geküsset /und dardurch seinen Durst / als mit einem Trunck Saltzwasser vermehret / ist er geschieden / mit Hoffnung bald wieder zu kommen.

5. Nach deme er kurtze Zeit zu Hause gewesen /hat er sich mit Vorwand nöhtiger Geschäffte / wieder aufgemachet / und seinen Weg auf Laurina Schloß zu genommen / da er sie dann mit einem sehr schönen Jüngling / (welcher ihr naher Vetter / und sie in einer Sache wie folgen sol zu Raht gefraget) Sprache halten gefunden: darob er einen Eifer / als ob sie sein Eheweib gefasset / und sich an diesem Milch Maul zu rächen entschlossen. Er liesse sich aber dieses nicht vermercken / sondern gabe vor / daß er wiederum zu ihrem Eheherrn zu verraisen gewillet / und kommen seye von ihr anzuhören / ob sie etwas dahin zu befehlen / oder auf seine jüngste / ihn mit überbringung Gegenantwort ehren wollte / etc.

6. Laurina bedancket sich höflichst / und hatte ihren Vettern verlassen / daß er traurig hinweg gegangen / welches diesen Verliebten in seiner Eifersucht etwas erleichtert / hat deßwegen die Edle Frau[501] bey der Hand in den Garten geführet / und ihr seine Liebe entdecket. Sie verwunderte sich über solche Rede / und giebt zur Antwort / daß sie solche Wort für Höfligkeit hielte / und wol wůsste / daß er so ein redlicher Edelmann und getreuer Freund ihres Eheherrn / daß er seine Unehre nicht suchen würde. Bittend sie mit solchen Sachen zu verschonen.

7. Marin befande diese Antwort nicht gar abschlägig / und versetzte viel verliebte Wort / daß sie ihn endlich schweigen hiesse / und sagte / sie wolte ihr lieber den Tod an thun / als ihren Herren auch mit den Gedancken beleidigen / wil also hinweg gehen / und den Brief an ihren Mann schreiben. Marin aber erwartete ihrer Wiederkunfft nicht / sondern sitzt zu Roß und sagt dem Jungen / er wolle in dreyen Tagen wieder kommen / und die Antwort abholen. Laurina stunde in Bedencken / ob sie ihren Mann von dieses Bößwichts Anbringen berichten solte / oder nicht? Eins theils fürchtete sie Feindschafft und Mord / ander theils / daß der Gegner musste Bott seyn / und daß ihr Stillschweigen / ihme ein Ja-Wort / oder ja Veranlassung zu fernerer Thorheit werden möchte / etc. Es ist ihr aber nie zu Sinne kommen / daß er sich an ihren jungen Vettern ärgern solte.

8. Als er nun wieder zu dem Lager raisen wil /kehrt er nochmals bey Laurina ein / und findet zu allem Unglück den jungen Vettern wieder mit ihr reden / und zwar auf einem Lotter-Bettlein sitzen /daher er ihm die Rechnung machet / daß dieser deß Mannes Stelle vertrette / und er deßwegen nicht einkommen könne. Er redet ihr nicht mehr von seiner /sondern begehret die Briefe an ihren Mann / welche bereit geschrieben / und befragt sich bey den Dienern / wie der Junge Edelmann genennet werde. Den Namen Robis bemerkt er wol / und nimmet also Urlaub.

9. Unterwegs besinnet er / wie er Jannin Sache scheinbar und glaubig möge fürtragen: So[502] bald er auch bey ihme ankommet / und wegen Laurina wolergehen befraget wurde / sagt er / nach langer Ermahnung zu beharrlicher Gedult / daß seine Liebste einen andern und jüngern zu ihrem Liebsten erwehlet /Namen Robis / etc. Das Abwesen Jannins / die Einsamkeit / die Schönheit deß Jůnglings / und offne Gelegenheit zu sündigen / entschuldigten gleichsam Laurinam / daß sie gethan / als ein Weib / das Fleisch und Blut hat / etc. Jannin aber nahme diese Zeitung sehr zu Hertzen / und wolte sich nicht trösten lassen.

10. Kurtze Zeit darnach erlangte er Urlaub von seinem Feldherren / daß er nach Hause ziehen dörffen /und als er aldar angelanget / hat er niemand gegrüsset / sondern sich mit traurigem Angesicht auf das Bette geleget / geseufftzet und sich gegremet. Laurina wolte mit ihme reden / und ihn wegen seiner Gesundheit befragen / kan aber keine Antwort von ihm bringen / als daß er sagte / sie solte ihm aus den Augen gehen /welches sie mit Threnen gethan und ihr Töchterlein /das er sehr lieb hatte / angeschickt / sie solte doch erforschen / was den Vater betrůbe und anläge. Das Mägdlein hatte es mit wolständiger kindischer Höfligkeit gethan / und hören müssen / daß er betrůbt gesagt: Liebes Kind / wann ich doch wissen möchte / ob ich dein Vater oder nicht? gehe hin ich kan dich nicht ansehen / etc.

11. Hierüber bekümmerte sich Laurina noch mehr /und weil ihre Mutter eben damals sie zu besuchen kommen / und sie ihres Mannes würklichen Zorn zu befürchten gehabt / hat sie begehret mit auf ihr Schloß zu fahren / vnd das Töchterlein mit ihr zu nehmen /welches auch Jannin / als es die Schwiegermutter angebracht / gerne gewilliget / und in seiner Traurigkeit beharret / die Rache aber GOtt heimgestelt. Laurina bekümmerte sich hierüber schmertzlichst / daß sie auch zu keiner Verhör kommen / und ihre Anklage /ausser deme was das Kind hinterbracht / nicht wissen mögen; fället darůber in[503] eine tödtliche Krankheit /und erwünschte ihr / ausser ihres Mannes Gunsten nicht zu leben.

12. Weil nun die Schwachheit von Zeit zu Zeit zunahme / schriebe der Laurina Mutter / an ihren Tochtermann / daß er kommen solte / sein Weib noch einmal zu sehen / und wann sie es verdienet / nach Gebühr zu straffen: wann sie aber unschuldig erfunden würde / sie in ihrer Krankheit zu trösten etc. Jannin würdigte den Brief keiner Antwort / welches Laurina angesaget wurde / und ihren Schmertzen vermehrte /daß sie sich zu sterben bereitet / und ihren Beichtvater bittet / ihrem hinterlassnen Eheherrn anzumelden /daß sie die Zeit ihres Lebens ihm getreu geblieben /und darauf sterbe: Ihn bittend / das hinterlassne Töchterlein in der Furcht GOttes auf zu erziehen / und nach eröffneter ihrer Unschuld / für ihre Seele zu bitten etc. Als dieses Jannin angemeldet wird / wähnet er / daß eine Verleumdung mit unterlauffen müsste / und trauret deßwegen noch viel mehr / als zuvor / »wol wissend / daß der Tod alle Falschheit auflöset / und nicht glaubig / daß sie ihr Gewissen so beschweret für Gottes Richterstul erscheinen wollen.«

13. Es fůgte sich aber nach dieser Begebenheit /daß Robis sich zu Jannin auf sein Schloß findet / und den Tod seiner Basen bitterlich betrauret / welches Jannin für ein Liebs-Zeichen gehalten / und ihm befragt / was Ursachen er habe / ein Weib zu beklagen? Robis antwortete / daß er ihres Rahts in einer ihm angelegenen Sache gepflogen / betreffend eine Heurat /die ihm sein Vater aufdringen wolle / darzu er aber keines Weges verstehen könne. Warumb? sagte Jannin / weil ihr vielleicht eine andre liebet? Ach nein /sprach der arme Robis / ich weiß nicht was Liebe ist /und werde es auch nicht erfahren / weil mich ein Pferd in meiner Knabschafft verletzet / daß mir das / was einen Mann machet / zerknirscht / und gantz undienlich außgeschnitten worden / deßwegen ich auch keine ehrliche Jungfrau betriegen wil. Meine Mutter hat diesen meinen Schaden verbergen helffen / und nun bitte ich den H. Vettern üm Raht / welchen[504] ich von seiner verstorbnen Haußehre nicht erlangen können.

14. Jannin erstaunte über dieser Erzehlung / und sahe nun / daß sein Wahn falsch / und daß er seiner verstobnen Gemahlin groß Unrecht gethan. Weil er nun sich seiner Einsamkeit nicht entreissen wollen /hat er an Robis Vatern seinen Zustand schrifftlich berichtet / und den Jůngling gebetē / er solte offt zu ihm kommen / und die böse Zeit wol vertreiben helffen. So bald er nun sein Unrecht erkennet / hat er seine Schwiegermutter mit seinem Töchterlein zu sich kommen lassen / sie ům Verzeihung gebetten / und ihr sein gantzes Haußhalten anbefohlen / welches sie auch wegen ihres Enenkeleins übernommen / und ihn zu einem frölichen Leben / wie wol vergeblich / ermahnet.

15. Es war bereit ein Jahr verflossen / als der junge Robis / (dem der Verdacht in welchem er gewesen gantz unwissend) Jannin besuchte: Als sie sich nun wolten zu Tische setzen / tritt einer in das Zimmer /mit einem Diener / welcher wegen eingefallnen Wangen / langen Haaren / vergilbten Angesicht / so abscheulich / daß er mehr einem Gespenste / als einem Menschen gleich gesehen. Dieser war der Verleumder / welcher an allem Unglück schuldig / und gabe sich auch für den Mörder der Laurina aus / mit Bitte / Jannin solte ihm das Leben nehmen / weil er ihn seiner Ehre berauben wollen / und durch Eifersůchtige Verleumdung die schöne und Tugendreiche Laurinam in das Grab gebracht etc.

16. Jannin wolte seine Hände in seines falschen Freundes Blut nicht waschen / und konte ihn / wegen der abscheulichen Verstellung / fůr den nicht halten /fůr den er sich außgabe. Als nun jedermann erstaunet diesen Fremden anzuschauen / begehrt er ein Glaß Wasser zu trincken / welches ihme gereichet wurde /und als er solches mit einem gelben Safft / den er bey sich hatte / untermischet / und hinein getrunken / ist er wieder darvon gelauffen / in dem nechsten Dörfflein aber darbey / nieder gefallen / und todt gefunden worden. Die Bauren deß Orts machten[505] ein Geschrey / daß die Sache für den Bannrichter kommen / und weil man gesehen / daß der Verstorbne von Jannins Schloß her gekommen / und für Marin erkennet worden / hat seine hinterlassne Wittib zu wege gebracht / daß besagter Edelmann in Verhafft gekommen / und beschuldiget worden / er hette Marin und seine Gemahlin mit Gifft hinrichten lassen.

17. In dem Gefängnis bekennet Jannin aus Schwermütigkeit / und Verdruß zu leben / daß Marin in seinem Hauß die Gifft empfangen / und daß er Ursacher an seines Ehe Weibs Tode. Auf solche Bekantnis ergehet ein Urtheil / daß Jannin in deß Henkers Hand geliefert / und enthaubtet werden solte. Ob er nun wol solchen ungerechten Ausspruch an keinen Ober-Rich ter gelangen lassen / und das Leben zu verlieren erbietig gewesen / hat seine Schwieger-Mutter / ihrem Enenkel einen Vormund oder Gerhaber setzen / und denselben im Namen seiner Pfleg-Tochter / die Sache an höhere Orte gebracht.

18. Als er nun an deme / daß das erste Urtheil bestättiget werden sollen / hat sich Marins Knecht gefunden / welcher in das Mittel getretten / und ümständig erzehlet / daß sich sein Herr in die verstorbne Laurinam verliebet / nach ihrem Tode aber / sich für desselben Mörder dargegeben / und auf viel weise zu sterben gesuchet / endlich auch ihn genötiget / daß er von einem Apotheker zwey Gläßlein mit Gifft kauffen müssen / deren er das eine mit in Jannins Hauß genommen / und sey niemand hieran Ursach / als der Verstorbne selbsten. Das andre Gläßlein habe zwar er Sager gebrauchen sollen / weil er aber Gott mehr fürchte / als die Menschen / habe er es auf behalten.

19. Nach deme nun der Apotheker / und die Haußgenossen Jannins alle gekundschafftet / daß er unschuldig an diesem Tod / sondern aus Traurigkeit zu sterben entschlossen sey: ist das Urtheil geändert /Jannin auf freyen Fuß gestellet / der Knecht auf 5. Jahre deß Landes verwiesen / der Apottker aber an[506] die Ruderbank geschmiedet worden / daß er sich mit Geld verblenden / und wieder seine Pflicht / einen so tödtlichen Gifft verkauffet.


20. Weh dem und aber weh / den Basilisken Gifft /

gleich deß Verleumders Zung' / aus fernem Orte / trifft:

Wird er gleich wieder heil / so bleibet doch im Hertzen

die bittre Drachen Gall / und bringet manchen Schmertzen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 499-507.
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