(LII.)

Die rechtmässige Betrůbnis.

[537] Man lieset daß Pythagoras durch den gegenstralen grosser Spiegel etliche Blutzeichen oder Buchstaben in dem Monde erscheinen machen. Der Mond ist diese Welt / und die Sünder sind wandelbar in ihrem thun: Diesen muß man entgegen halten die blutigen Mordgeschichte / und in ihrem Sinn erhellen machen die Wort der Schrifft: Fliehe die Sünd als eine Schlange /und: Der Sünden Sold ist der Tod. Ist nun dieser Spiegel / welchen wir dem ersten entgegen setzen /nicht rein / so ist sich nicht zu verwundern / gestalt auch die unreinen Weibspersonen / das zarte Glaß durch das anschauen vernachtheilen und beflecken können.

2. Franckreich kan nicht wol in Ruhe sitzen / und ist ihre Friedens Zeit gleichsam eine Schalt- oder zwischen Handlung der Trauerspiele / welche nicht lange zu dauren pflegen / Mars und Venus sind[537] stetig auf dem Schauplatz / und verbergen sich kurtze Zeit /bald wieder auf zutretten. Viel haben deßwegen für gut gehalten / daß so tapfere Völker / als die Frantzosen niemals ohne Feinde ausser dem Lande seyn sollen / damit sie in dem Lande nicht Unruhe erwecken /und ihr Pferd an deß Nachbarn Zaun binden können. Gewiß ist auch dieses Königreich ein Spiegel / dessen vielfältige Blutzeichen / die gleichsam an den Himmel wiederstralen.

3. Landulph / ein kühner oder vielmehr verwägner Soldat (ich sage verwägen / dann die Tapfferkeit zwischen der bloden Zagheit und dollen Kühnheit ihre mitlere Tugendstelle hat) diente zu unsrer Väter Zeiten / den Hugenotten / und als besagter massen die Sachen zwischen dem König und seinen Unterthanen verglichen / ersahe er Orlandinam eine schöne und Tugendreiche Jungfrau / welche zwar seinem Stand nicht gar gemäß / wann er aber ihre Schönheit betrachtete / hielte er sich viel zu gering / daß er ihr aufwarten solte.

4. Es war keine andre Thür zu Orlandina einzugehen / als durch die ehliche Verlöbnis / und hielte ihr Vater diese Gelegenheit seiner Tochter für anständig /weil er auf der Gruben gange / und seine Sachen in grosser Unrichtigkeit sahe: massen der Krieg einen solchen Nachtrab hinterlässt / der da heisst / gewisse /zweiffelhaffte / verlohrne / unsterbliche Schulden. Dieser Orlandina Vater gehet den Weg alles Fleisches / und hinterlässet etliche Söhne / welche die Schulden bezahlen / die Gegenschulden einbringen / und das überige theilen wollen.

5. Hierzu gehörte eine Zeit / welche Landulph und Orlandina sehr verdrüßlich fiele. Zu dem war dieser Soldat seinen neuen Schwägern sehr verdächtig / weil er wieder den König gedienet / welchem sie jederzeit treu gewesen. Die Nachwart nun abzukürtzen / setzet Landulph ein Eheversprechen zu Papier / und unterschreibet solches mit seinem Blut: Nicht ohne heimliche Bedeutung erfolgter blutigen Begebenheit. Orlandina versahe sich nichts weniger / als[538] einer Untreue /und kostet also die verbotene Frucht viel Threnen / in dem die Anzeichen der reiffen Reue erfolgten / und sie sich wieder verhoffen schwanger befande; doch tröstete sie sich mit Landulphs mündlichen und schrifftlichen Eheversprechen.

6. »Welche ihren Ehestand also anfangen / erfahren daß sie nicht klüglich gehandelt / und glauben die Mannspersonen / daß sie auch andern nicht abschlagen würde / was sie ihnen zulasse / und daß der Weiber Gebrechlichkeit sich erstrecke so weit ihre Begierden langen.« In dem fügte sich / daß Landulph nach Hofe verraisen musste / und hinterliesse seiner Orlandina eine böse Handschrifft und ein unglückseeliges pfand seiner verůbten Liebe. Aus den Augen und aus dem Sinn. Was abwesend ist / kan die Wage nicht halten deme / was gegenwertig ist.

7. So bald Landulph nach Hofe kame / und so viel Schönheiten betrachtete / verliebte er sich in Asola seines Fürsten Gefreundinne / fande auch so viel Gegenneigung und Gewogenheit bey seinem Herrn / daß nach kurtzer Zeit Asola ihme versprochen / und seine lang-gelaiste Dienste mit diesem Fräulein belohnet werden solten. »Diese Art die Diener zu befriedigen ist nicht selten / und sind sie Knechte üm Hoffnung /und wann es wol abgehet üm Hof-Docken / wie jener sagte / gekaufft.«

8. Das Gerücht / welches viel Ohren und Zungen hat / muste solches der Orlandina vortragen / und weil bey dem Verzug so grosse Gefahr waltete / machte sie sich auf und eilte nach Paris / ihrem Ehr- und Ehevergessnen Landulph einen Einspruch zu thun. Landulph lacht ihrer Drau- und Straffwort / sagend / daß ihm die Nasen geblutet / als er ihr Ehgelůbd unterschrieben / sie solte sich an das Papier halten / weil dasselbe Gewerschafft gelaistet. Er sange mit jenem:


Jungfer eins wil ich euch lehren

Buler Schweren ist nicht Sünd:

Gott wil sich daran nicht kehren /

sondern schenkts dem schnellen Wind.[539]


Dieser Streit schlug zu einer Rechtfertigung aus / und in dem sich solche verzögerte / hatte Orlandina Zeit sich zu entbürden. Sie brachte nun eine schöne junge Tochter auf die Welt / welche mehr einem Engelein /als einem Menschen gleichte.

9. Dieses Kind sendete sie Landulph zu / ihn dardurch zu der Gebühr zu bewegen / es hatte aber seine neue Liebe / die Spinnenweben seiner Gedanken (wann also von solcher Nichtigkeit zu reden verlaubt ist) so hoch aufgehenkt / daß er aus Ehrgeitz Asolam darvon zu bringen beharret / und das Packet mit hönischen Worten wider zu rücke gesendet. Ob nun Orlandina rechtmässig Ursach gehabt sich zu betrüben /ist unschwer zuermessen. Ihr Trost war / daß für Gericht ihr Recht widerfahren solte / wie auch erfolgt / in dem die erste Ehe für bündig / die letztere aber für nichtig und unkräfftig erkannt worden.

10. Landulph will diesem Urtheil keine Folge laisten / sondern bringet die Sache an den Oberrichter /da ihm sein Herr dergestalt den Rücken hält / daß das Urtheil geändert / und die erste Ehe fůr eine Winkel-Handlung / die andre aber für öffentlich Verlöbnis erkannt wird: jedoch mit dem Anhang / daß er seine mit Orlandina erzeugte Tochter ziehen / und ernehren solte: darzu er gerne verstanden / und sich mit Asola trauen lassen.

11. Hierüber führte Orlandina / als eine von Theseo verlassne Ariadna eine rechtmässige Betrübnis /klagen und seufftzen / und gedachte auf mancherley Mittel diese grosse Untreue zu rächen. Romelin ein armer Edelmann wohnte in ihrer Nachbarschafft / und weil er dieser lebendig-todten Wittib aufwartete /giebt sie ihm zuverstehen / daß er ihr ein Blutbräutigam seyn müsse / der sie an den treuvergessenen Landulph räche / und die ihr zugefügte Unehre mit seinem Blut abwasche: oder daß er bey ihr nichts zu hoffen habe. Romelin suchet darauf Gelegenheit Landulph zu beschimpffen / und ihme seine böse That mit Ehrrührigen Worten für zu werffen / daß er gezwungen worden / diese Schmach mit den Degen zu[540] rächen / welches Romelin gesuchet / und als ein tapferer Ritter einer unschuldigen Weibesperson wider seinen Gegner dergestalt gefochten / daß er ihn durchrennt / und an die Erden gespisset. Landulph erkannte vor seinem Tode sein grosses Unrecht / und daß Gott solches über ihn / als eine wolverdiente Straffe verhängt / hatte aber wenig Zeit sich zu bessern und zubekehren.

12. Wegen dieses Ableibs kommt Romelin in Verhafft / und hat Asola mit ihrer gantzen Freundschafft /ihn eiferigst zu verfolgen nicht unterlassen / daß er also zum Tod verdammet werden sollen. Orlandina aber thäte dem König einen Fußfall / und erzehlt die rechtmässige Ursache dieses Zweykampfs; welche den König der gestalt vergnügte / daß er Romelin loß /und seiner Orlandina verabfolgen lassen. Diese beede nun haben sich mit einander ehlich verlobt / und hat der Orlandina Tochter ihren Vater Landulph (weil er mit Asola noch kein Kind hatte) wie rechtlich geerbet / welches alles das zweyte Weib verstatten müssen.

Lieb und Treu ist wol gestorben:

Redligkeit ist längst verdorben.

Wenig halten / viel versprechen

muß die Unschuld selbsten rächen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 537-541.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon