(CLIX.)

Der ungerechte Loth.

[567] Von den Basilisken oder Haanendrachen (darvon zu lesen Vlysses Aldrovandus) schreiben die Naturkündiger / daß man ihn mit einen grossen Spiegel tödten könne / wann nemlich seine vergiffte Augenstralen durch des Spiegels Gegenschein ihn selbsten umb das Leben bringen. Menschliche Klugheit hat solche vergiffte Drachen art / daß sie andre und zu letzt / durch den Gegenschein der Warheit sich selbsten in Verderben bringet. Daher sagt der weise Mann: Klugheit ist nicht Weißheit / verstehend durch die Klugheit die listigen Ränke / welche zu bösen Vorsatz gebrauchet werden: durch die Weißheit aber gute und aufrichtige Mittel in ehrlichen Vorhaben.

2. Dieses hette wissen sollen Fing ein Edelmann in Churland / welcher von gutem Geschlecht / wol auferzogen / in freyen Kůnsten und ritterlichen Ubungen unterwiesen / und von natürlicher Fähigkeit und gutem Verstand / daß ihn Gott vor andern trefliche Gaben verliehen / welche er doch sehr übel angewendet / und sich dardurch in endliches Verderben gestürtzet. Die Lateiner sagen recht: Wer ist weiß /wann er für sich nicht weiß ist? Qui sibi non sapit: cui sapit?)

2. Nach dem nun dieser Edelmann zu männlichen Alter gelanget / hat er sich seinen Stand gemäß verheuratet / und eine Tochter erzeuget / welcher[567] Schönheit mit zuwachsenden Jahren / zu hoher Vollkommenheit gestiegen / und von jederman verwundert wurde. Ihre Mutter hat sie zu allen Tugenden angewiesen / und sonderlich in H. Schrifft und guten Büchern unterrichtet / daß sie wegen ihrer Schönheit gelobt / wegen ihrer guten Sitten und sehr annemlichen Gespräche geehret worden.

3. Da nun der früezeitige Tod diese verständige Zuchtmeisterin hingeraffet / als Innocentia (also wollen wir diese unschüldige Jungfrau benamen) kaum das vierzehende Jahr erreichet / verliebte sich der Vater seine leibliche Tochter. Eine unerhörte Sache /die allen Geistlichen weltlichen und natürlichen Rechten zuwider ist. Dafür nicht nur alle Christen / sondern alle verständige Leute einen Abscheu und Greuel haben solten. Wir wollen geschwind verbey gehen /als ob einem stinkenden Ort / doch etliche nohtwendige ümstände anmelden.

4. Innocentia wiederstrebte ihres unkeuschen Vaters verteuffelter Bulerliebe: Er aber beschwatzte sie /daß solches keine Sünde / und das Loth / der Prediger der Gerechtigkeit / gleichfals seine Töchter beschlaffen / und durch Gottes Segen grosse Völker von ihnen erzeuget. Sie werde nicht finden / das Loth oder seine Tochter / wegen solcher That bestraffet worden. Also konte der listige Kof seine böse Begierden verkappen / und mit der H. Schrifft / wieder besseres wissen / freventlich verlarven.

5. Innocentia wuste zwar darauf nicht zu antworten / daß nemlich solches von Loths Töchtern auß Liebe Kinder zu zeugen / nicht aus Fürwitz / und daß Loth solche Sünde fast unwissend in dem Schlaf und der Trunckenheit begangen / doch wolte sie nicht darzu verstehen / und in so grosses übel willigen. Der Alte hatte nun (wie leichtlich zu erachten) Gelegenheit seine Tochter unbekleidet anzutreffen / und genugsame Kräfften / eine schwache Weibsperson zu überwältigen: wie dann auch auf eine Zeit erfolget.

6. Innocentia war zwar sehr betrübt und geängstiget in ihrem Gewissen / wolte doch ihre Noth[568] niemand offenbaren / und nach und nach der Schamhafftigkeit entnommen / wurde ihr diese Sünde so gemein / daß sie solche wo nicht ein gutes / doch auch kein böses Werck heissen wolte. Ob nun wol der Vater getrachtet sie zu verheuraten / hat sich doch zu selbiger Zeit Freyer (sonder zweiffel aus Gottes Schickung) angeben wollen.

7. Nach deme sie nun dieses Sündengewerb in das dritte Jahr getrieben / befande sich Innocentia schwanger / und offenbahret solches ihr Anliegen ihrem bulenden Vater / welchen diese Zeitung nicht wenig erschreckte. Er bedenket sich auf viel weise sich aus der Schand und Bestraffung zu winden / wehlet aber eben solche / welche ihn seines Unrechts überführen konte. Er gehet vermessen hin / und meldet der Obrigkeit an / daß seine Tochter Innocentia geraume zeit Hurerey getrieben / und sich von allen väterlichen Warnungen und Züchtigungen nicht wolle abhalten lassen / sondern ihn bedrauet sich deßwegen an ihn zu rächen: Bitte bey so beschaffener Sachen sie einzuziehen / und zu erforschen / ob sie nicht geschwängert worden.

8. Innocentia wird alsobald gefänglich angenommen / und ihr ihres Vatern Anklage vorgehalten / welche sie mit der Warheit beantwortet und erzehlet /welcher massen sie zu dieser Unthat beredet / und daß ihr Vater zu ihrem Kinde Vater sey / und kein andrer. Hierůber kommet der alte Narr / wie der weise Mann solche Leute nennet / (Sirach. 25. 1.) auch in Verhafft / und werden diese beede unterschiedliche malen verhöret / und verbleiben beharrlich in gantz wideriger Aussage.

9. Was dieser Edelmann für hohe Gaben hatte /war bekant / und wolte ihm niemand dergleichen Sündenfrevel beymessen. Man hörte sie gegen einander persönlich Innocentia sagte beständig / daß sie von keinem Manne wisse / als von ihrem Vater / der sie zu der Unzucht genöhtiget / und mit vielen Ursachen darzu beschwätzet. Der Vater sagt / daß ihm seine Tochter diese Verleumdung sonders zweiffel aus ihres[569] Bulers eingeben aufdichte / weil sie von ihrem Schandleben / durch väterliche Bestraffung abhalten wollen: massen sie sich bedräulich vernehmen lassen /ihm einen solchen Possen zu reissen / den er ihr nicht zutrauen solte.

10. Betrachte doch sagte er / ihr meine verständige Richter / mein Alter / mein Leben von Jugend auf /meinen erbaren Wandel / meinen Ehrenstand / und gedenket daß mir ja obgelegen / diese meine Tochter unter der Ruten zu halten. Es hat aber ihre Boßheit meine Aufsicht ůberwunden / ihre Missethat ist meiner Bestraffung entwachsen / und ihr unerhörter Frevel hat meine rechtmässige Anklage / mit einer falschen Gegenklage erwiedert. Betrachtet dieses mein unartiges Kind / eine schwache Weibsperson / eine blöde Dirne / welche nicht errötet / ihrem leiblichen alten und ehrlichen Vater beyzumessen / was ihre schändliche Buler verübet / etc. Als sie ferners ihn untergefahren und reden wollen / hat er sie für rasend außgeschrien / und den Richter so bestürtzt gemachet daß er den Außspruch nicht finden können.

11. Kurtz zu sagen / ist Innocentia zum Schwerd verurtheilet worden / weil sie entweder wegen verübter Blutschande / oder wegen der unerhörten falschen Anklage ihres Vaters den Tod verdienet. In dem sie nun zu sterben bereit / wurde sie nochmals befragt: Ob ihr Vater / oder ein andrer zu ihrem todt auf die Welt gebrachten Kinde / Vater? wie sie zuvor und in den Kindesschmertzen sich vernehmen lassen. Nach dem sie nun mit ja geantwortet / und gesagt / daß sie darauf sterben / und wann deme nicht also / ihre Seele selbsten verdammen wolle / ist sie mit dem Schwert von dem Leben zu dem Tod hingerichtet worden.

12. Der Vater wurde an ein Fenster in dem Gefängnis geführet / und seiner Tochter Leiche vorbey getragen / mit Bericht / daß sie darauf gestorben / er habe die Blutschand angegebener massen mit ihr verübet. Als er solches angehört / ist er mit der Warheit heraus gebrochen / und hat also bald ům ein gnädiges[570] Urtheil gebetten / welches ihm auch wiederfahren / in dem er mit dem Schwert zu Mittau in Churland gleichsfals hingerichtet worden. Dieses ist geschehen in verwichenem 1641. Jahre / und scheinet die Straffe gegen einen so abscheulichen Verbrechen viel zu gering.

Weh dem Greul der blinden Heyden!

Sodom wird an jenem Tag

nicht so grosse Sünden Plag'

in der Höllen Flamme leiden.

Was zuvor ist unerhört /

hat die Laster-Welt gelehrt.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 567-571.
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