(CLXVIII.)

Die blinde Verzweifelung.

[599] Welche Gottes vergessen / Hülffe und Raht bey den Zauber-Spiegeln und Crystallen suchen / erstaunen und hermen so bald solcher Lügen Geist Verblendung ansichtig werden. Nicht weniger werden dem Leser die Haare gen Berge stehen / wann er in nachfolgenden Exempeln / der durch deß Teuffels Betrug verzweiffelten Blindheit und erbärmliches Ende beschauen wird / und gleichsam in einem Spiegel betrachten /welcher gestalt solche Leute die Höllen Quale von dem letzten Todesziel hertzbetrübt fühlen und empfinden: daher Seneca wo[599] recht gesagt / »man sol die gantze Zeit deß Lebens sterben lernen / und die Kirchenlehrer haben ihre Schüler die letzten Wort Christi und Stephani / bald anfangs gelehret / damit sie auf begebenen Todesfall ihre Seele Gott anzubefehlen wüsten.«

2. Ein Verzweifflender wünschte sich in die Hölle /weil die Wartung solcher Straffe ihm unerträglich und überschmertzlich fürkäme: als man ihn aber auf Gottes Barmhertzigkeit gewiesen / hat er gesagt / daß sich Gottes Kinder / und nicht er / solcher zugetrösten hätten / daß er ein Gefäß deß Zorns / und die Vermaledeyung seiner Sünden bereit fůhle. Als man ihm für sagte GOtt wäre sein Vater und Christus sein Heiland / hat er geantwortet / daß es zwar der Mund sage / das Hertz aber wiederruffe. Wann man ihn tröstete / daß er ein Glied der Kirchen und der Gemeinschafft der Heiligung theilhafftig worden / hat er gesagt / daß solcher Trost nicht wolte hafften / weil er ein Heuchler gewesen / und auch deßwegen billich verdammet werde. H. Belon au thresor de l'ame Crestienne.

3. M. Guerlach ein gelehrter Mann zu Löven in Braband / sagte in seiner letzten Krankheit / daß er übel und ärgerlich gelebt / und für dem Richterstul GOttes nicht bestehen könte / weil seiner Sünden so viel / daß sie ihme nicht könten vergeben werden. Verflucht der ärgerniß giebt / ich habe ärgernis gegeben darumb bin ich ewig verflucht. Als man ihm nun aus Gottes Wort beweglich zugesprochen / hat er mit Nein / nein geantwortet / und ist also verzweiffelt dahin gefahren. Goulard aux Histories memorables f. 163.

4. M. Arnold Bomel gleichsfals ein gelehrter Mann zu Löven / führte wunderliche Meinungen von deß Menschen Rechtfertigung für Gott / und wurde deßwegen sehr bestürtzt. Als er auf eine Zeit mit dreyen Studenten für das Thor spatzierte und sich zu einem Brunnen setzte / da die Studenten fort giengen zoge er sein Messer heraus / und stusse ihm solches in die Brust / daß er zu Boden fiele / und die[600] Studenten ihme zu Hülffe kommen musten. Als sie nun sahen daß die Wunden tödtlich / haben sie ihm zugesprochen / er solte GOtt üm Verzeihung bitten / daß er so übel an ihm selbst gethan hätte. Er aber sahe gen Himmel /und riesse dem einen seinen Dolchen von der Seiten /und stusse sich nochmals durch das Hertz / daß er ohn fernere Rede den Geist aufgegeben.

5. Zu Hall in Schwaben hat ein vornehmer Doctor Namens Kraus die Welt so lieb gewonnen / daß er seines Gewissens vergessen / und gethan was er hätte unterlassen sollen. In seiner Krankheit wachte ihm das Gewissen auf / daß er in den Schmertzen verzweiffelt / und sich selbsten mit dem Strang erwürget.

6. Der Cardinal Crescensius zu Verona hatte auf eine Zeit lang in der Nacht geschrieben / und als er sich ein wenig zu erholen ümgesehen / kame ein sehr grosser schwartzer Hund in das Zimmer / in glintzrenden Augen / langen Ohren / und gantz scheußlicher Gestalt. Dieser gange auf den Cardinal / welcher gantz erblasset / zu / und verbarge sich untern Tisch. Als er sich ein wenig erholt / ruffte er seinen Dienern und befahle / man solte den Hund hinaus jagen. Die Diener suchten mit dem Liecht / mochten aber keinen Hund finden.

7. Der Cardinal entsetzte sich über solcher Begebenheit / daß er in ein hitziges Fieber fiele / welches von Stund zu Stund zu nahme / und schrie er unaufhörlich / man solte doch den grossen schwartzen Hund / welchen niemand sahe / wehren / er steige auf sein Bett / er wolle ihn verschlingen / und in den Geschrey wolte er keinen Trost anhören / sondern sturbe in solcher Verzweifflung jämmerlich dahin. Schleidan im 23. Buch von dem Teutschen Krieg.

8. Was sich mit Latomo und Spira begeben ist gemein / und alhier zu widerholen unnöhtig. Solche Leute sind von den bösen Geist geistlicher weise besessen / welche ihres Lebens Ende ausweiset.

9. Ponsenas ein Advocat oder Sachwalter[601] in dem Parlament in Delphinat / nach dem er sein väterliches und můtterliches Vermögen / auch seines Weibs und seiner Freund Reichthum angewendet / solchen Ehrendienst zu erkauffen / und verhofft die Gerechtigkeit doppelt so hoch wieder zu verkauffen / ist er in eine schwere Krankheit gefallen / deren Ursachen die berühmsten Aertzte nicht erkennen mögen. Er verzweiffelte an Gottes Barmhertzigkeit / und schwebeten ihm stetig für Augen etliche unschuldig Hingerichte / wieder welche er bey Gericht gedienet hatte.

10. Dieser Gottes vergessne Mann ruffte allen bösen Geistern aus der Hölle / mit unerhörten Lästerungen. Zu seinem Schreiber sagte er: O Stephan wie bistu so schwartz! Der Schreiber aber hatte gelbe Haar / und verstande die Rede nicht. Er aber sagte: Du bist schwartz von den Sůnden zu welchen du mir geholffen hast. Ja / antwortet der Schreiber / ich weiß aber daß mir Gott gnädig seyn wird üm Christi willen: Mir nicht / sagte der Verzweifflende / und klagte ihn an wegen etlicher Bubenstücke / deßwegen er auch in Verhafft geführet wurde.

11. Nach diesem hat die Raserey deß Kranken zugenommen / daß er angefangen zu brüllen und zu schreyen erschröcklicher weise. Seine Glaubiger hetten ihn gerne von dem Bette hinweg in den Schuldthurm geraffet / und hat keiner fast seiner Seelen /welche er in der Verzweifflung dem Teuffel übergeben / sondern seiner Schuld Verlust beklaget. Ja /nach dem er in solcher Verstockung dahin gestorben /hat sich eine solche Armut und Mangel in seinem gantzen Hause gefunden / daß niemand wissen mögen / wo er mit so grossem Reichthum hingekommen.

12. In solche Noht und jämmerlichen Tod hat ihn der leidige Ehrgeitz gestürtzet / dardurch ihn aller Segen Gottes entzogen worden / daß seine Kinder an den Bettelstab geraten / und das wenige / was noch von seiner Verlassenschafft übrig geblieben /[602] den hungerigen Glaubigern in die Hände gekommen. Geld und Ehrgeitz sind die Fallstrick deß Satans / dadurch er viel tausend Menschen in die Hölle stürtzet: massen auch dieser Tagen ein Bürgemeister von Eger ein gelehrter und dem Schein nach frommer Mann / sich wegen einer verlohrnen Rechtfertigung selbsten erhenket / und zwar / daß er die Füsse an sich gezogen /weil sich der Baum gebogen hatte / daß er also auf den Knien ist gefunden worden / und sich / wann er gewolt / in der That noch hette retten können.


Lied von Gottes Barmhertzigkeit.

Im Thon:


Hertzlich thut mich erfreuen die liebe Sommerszeit.

oder:


Ich dancke dir lieber HErre / etc.

1.

Wie solte GOtt der Armen

die Er erwehlet hat /

nicht hertzlich auch erbarmen /

nach seiner grossen Gnad?

Es ist ja seine Güte

so groß er selber ist /

Der Trost in dem Gemüte

kommt her von JESU CHRist.


Sirach 2/21.


2.

Die sich von GOtt abwenden /

von denen wend Er sich:

Wer sich wil selbsten blenden /

wird selbst sein Wůterich /

ihn quälet sein Gewissen

das er versehret hat:

Der sich der Sünd beflissen /

bereuets offt zu spat.[603]


3.

Wer Gott nicht wil vertrauen

der kommet nicht zu Ruh':

Er wil das Liecht nicht schauen

und druckt die Augen zu.

Noch ist er so vermessen

und giebet Gott die Schuld /

als ob er sein vergessen /

und weigert' alle Huld.


Ps. 95/11.


4.

Mein Gott laß mich stets hangen /

an deiner Gnad allein /

darvon ich werd empfangen

deß Hertzens Himmelsschein.

Dein Wort laß mich stets leiten

daß ich nicht irre geh' /

und dann nach diesen Zeiten

Dich in dein Reiche seh'.


2. Cor. 12/19. Ps. 4/8.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 599-604.
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