(LXXIX.)

Der Mörderische Hochmut.

[261] Die Blutgierigen und Stoltzen sind Gott und Menschen ein Greuel / und werden auch zerstäuben wie Spreuer in dem Wind / weil sie leicht und keine gute Frucht / dessen schweres Korn / gleichsam aus Demut / zur Erden fället / da hingegen die Spreuer-Hilsen empor schweben wil. Diese beede Laster finden sich vielmals beysammen / »und wie Demut aller Tugendē Grundfeste: also kan der Hochmut aller Laster Erhöhung / von welcher der Fall / oder ja der Schwindel selten entfernet / genennet werden.«[261] Wir wollen solches von nachgehender denkwürdiger Erzehlung / mit mehrerem abmerken.

2. Zu zeiten als Alexander von Medicis / das Statt Regiment zu Florentz in ein Hertzogliches Fürstenthum / verändert / hatte er unter seinen Bedienten einen Geheimschreiber oder Secretarium / welches Treue er seine Geschäffte / und wichtige Angelegenheiten überlassen / und ihn für so nohtwendig / als seine Zunge / oder Hand (deren Amt unter den Abwesenden die Feder fůhret) hielte / deßwegen auch zu hohen Ehren beförderte / und reichlich belohnte.

3. Dieser Amulio war von Pistola bürdig / von ge ringen Eltern geboren / und hatte sich auch aldar mit einer schlechten Person verheuratet / »Namen Orestilla. Wie nun ein schwaches Gehirn keinen starken Wein vertragen kan / also mag ein Mann von schlechter Geburt ein grosses Gelück nicht wol erdulden.« Er sahe sich in grossen Ehren / und liesse sich bedunken / daß / wann er unverheuratet leichtlich ein Weib schöneres und höheres Herkommens seinen damalichen Würden gemäß / erlangen wolte.

4. Solche Gedanken leiteten ihn aus Stoltz und Hochmut in endliches Verderben. Eine edle Dirne /genamt Hortensia / hatte an stat einer adelichen Aussteuer eine übertreffliche Schönheit / welche Amulio die Augen verblendete / daß er dieser Mann / Orestilla aber sein Weib nur dem Namen nach / worden: ja so unverschamet gewesen / (massen solches verübter Unkeuschheit Eigenschafft ist) daß er solche seine Beyschläferin / in sein Hauß genommen / und Orestillam nicht nur zu ihrer Magd / sondern gleichsam zu ihrer Leibeignen Knechtin gemachet.

5. Der Hochmut oder hochfahrende Stoltz vergleicht sich füglich mit dem Rauch / welcher nach und nach in die Höhe steiget / biß er endlich vertrieben und zu nicht wird. Dieser Rauch der stoltzen Hortensia / ist der armen und verachten Oristilla in die Augen gestiegen / und hat ihr sonder Zweiffel manche[262] trübe Threnen heraus gepresset. Sie sahe sich beraubt aller Ehlichen Gebühr / und musste auch erfahren /daß ihre Feindin ihr zum zweiten mahl Gifft bey gebracht / welcher doch keines mals tödliche Würckung gehabt / und das erstemal von ihr wieder gebrochen /das zweitemal durch Gegengifft / (welchen sie auf allen Fall stetig bey der Hand hatte) von ihr getrieben worden.

6. Als sich nun diese wolgeplagte in stetiger Lebens-Gefahr gesehen / bittet sie ihren Mann / er wolle sie wider nach Pistoja zu ihren Freunden ziehen lassen / und gedachte sie aldar ihr Leben in einem Kloster zuzubringen / etc. Amulio aber will darzu nicht verstehen / weil er befürchtet es möchte der Hertzog der Hortensia verübte Meuchel. Mordthat mit dem Gifft / wie auch sein Ehebruch mit derselben entdecket werden. Er hette sie wol wollen hinrichten lassen /durch Mördersbuben / oder selbsten Hand an sie legen / und sie aus dem wege raumen / wuste aber wol / daß solches sein Herr so gnädig er were / ungestraffet nicht würde lassen hingehen.

7. Damit sie nun dieser Orestilla loß kommen möchten / giebt Hortensia den Raht / man solte sie in dem Keller an Fessel legen / und so ubel halten / daß sie ihr selbst den Tod anthun / oder aus Betrübnis dahin sterben müsste. Dieses lässet ihm Amulio gefallen / und kame also diese unschuldige in einen sehr elenden Zustand / daß sie gleichsam lebendig begraben wurde. Ihr Bett war der harte Stein / Wasser und ein wenig schwartzes Brod war die Unterhalt ihres sterbenden Lebens. Deß Tages Liechts wurde sie nicht ansichtig / als gar kurtze zeit / wann man ihr das elende essen brachte. Zu deme wurde sie von Hortensia übel geschlagen / und fast zu verzweiffeln gezwungen / daß sie mehrmals gewünscht / das Leben /welches alle Menschen lieben / zu verlieren / und den Gifft / welchen sie vormals aus dem Leibe getrieben /wieder einzunehmen.

8. Dieses armen Weibes hat sich Gott nach[263] seiner grossen Barmhertzigkeit / durch ein gantz unerwartes Mittel erbarmet / und geoffenbaret / was niemand als Amulio und Hortensia wissend gewesen / dergestalt. Als auf eine Zeit Hortensia / wie eine Furia oder Höllen-Göttin in den Keller gegangen / Orestillam / ihrer Gewonheit nach zu plagen / ist derselben kleiner Knab von sechs Jahren hernach gelauffen / und als er gesehen / wie übel man mit seiner Mutter verfähret /hat er Hortensiam mit Worten / und dann mit schreien abhalten wollen: Sie aber hat das arme Kind ja so sehr geschlagen / daß die hertz betrübte Mutter Blut weinen / und das Hertz in Stücke hette zerreissen mögen / bittend / sie solte doch aus so vielen Schmertzen und Marterplagen / ihr einen Tod verursachen: würde aber ihrer Bitte nicht gewehret.

9. Nach etlichen Tagen spielet dieser Knab mit an dern seinen Gesellen auf der Gassen / und wird von einem Nachbaren befragt / wo seine Mutter hingekommen? Das Kind saget / was es gesehen / und wie sie in dem Keller versperret / und hette dieser Nachbar so grosses Mitleiden mit dem unschuldigen Weib / daß er andre zu Zeugen nimmet / welche deß Knabens Aussage nach Pistoia / und von dar von ihren Freunden nach Hof und für den Groß-Hertzog gebracht / welcher befihlet diese Gefangene also balden in ein Kloster zu führen / und der Sachen ferners nachzufragen.

10. »Die von grossen Herren geliebet sind / hasset das gemeine Volk« / und waren ihrer viel mit diesem stoltzen Fremdling (also nennten sie alle / welche ausser Florentz geboren) übel zu frieden. Der Raht und die Bannrichter vernehmen unter andern auch diese fast unerhörte Grausamkeit / daß Orestilla die Hortensiam mit guten und bösen Worten vermögen wollen /sie solle ihr doch ein Messer / oder Gewehr geben /daß sie ihr selbsten das Leben nehmen möge; hat aber diese tyrannische Gnade von ihr nicht haben können /weil sie befürchtet / sie dörffte dieses Mords beschuldiget wurden: wann sie aber aus Hunger und[264] Kummer verstorben / könte man ihren Leichnam ohne Verdacht deß Meuchelmords vorweisen / und offentlich zur Erden bestatten.

11. Nach deme nun der Hertzog gewilliget / daß man ohne Ansehen der Person dem Recht seinen Lauff wieder Amulio lassen solte / ist ihme so wol /als seiner Ehebrecherin das Leben abgesprochen / und ob sie wol beede sich auf deß Groß Hertzogs Gnade verlassen / die Häubt für die Füsse geleget worden. Der Hertzog wuste wol / daß dieser Amulio Fürbitter finden würde / hat desswegen denselben Tag eine Jagt angestellet / und sich ausser der Statt begeben. Hortensia hat betraurt / daß sie ihre Feindin nicht gar ermordet / weil sie wegen ihrer und deß Ehebruchs /welchen sie für keine Sünde gehalten / das Leben lassen müsse. Amulio sagte auch biß in die letzte Stund /daß seine Kranckheit nicht tödlich / weil ihm der Artzt (absehend auf den Namen Medicus) mit einem Wort könte gesund machen / daß also seine Bereitung zum Tod sehr schlecht gewesen. Orestilla hingegen ist aus dem Kloster wider zu ihrem Haußwesen gelassen worden / und hat ihr der Hertzog die ihme heimgefallenen Güter ihres Mannes geschencket.

79. Der Mörderische Hochmut

12. Man siht den trüben Most in seinen Banden gieren /

und von der Heffen wust viel leere Blasen führen /

so gar / daß auch das Faß / ohn Lufft / von jungen Wein

zerspringt; die weil die Gier nicht will gezwänget seyn.[265]

So brüstet sich der Stoltz / will kein Gesetz ertragen /

ist schwülstig lebt dahin nach eignem wolbehagen /

biß in dem letzten Nu / der blasse Tod ihn dringt

und solches Stoltzlings Hertz / in eitles Nichts zerspringt.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 261-266.
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