(LXXXIII.)

Die doppelte Ehe.

[276] Daß etliche in dem Neuen Testament das alte halten wollen und viel Weiber nehmen / wird von allen Christlichen Oberherren billich gestraffet. Mahomet hat hierdurch sein Reich gemehret / in deme er der Völker gegen dem Aufgang Fleisches Lust / durch Verlaub vieler Weiber zugelassen / und also seinen Anhang gehauffet. Daß aber solches Gott mißfällig und solche Beflekung ein sträfflicher Ehebruch / ist ausser allem zweiffel. Doch wann ausser dem Gebot Gottes eines unter beeden seyn solte / würde thunlicher fallen / daß ein Mann viel Weiber / wie der Haan: als daß ein Weib viel Männer wie die Hündin hette. Hiervon ist zu lesen unser CLXXXXIV. Gesprächspiel / etc. und sol hier ein merkwürdiges Exempel folgen.

2. In Preussen / welches deß Königs in Polen Bottmässigkeit unterworffen / hatte Ratislas ein Landherr geheuratet Judith / eine Jungfrau von alt adelichem Geschlechte / mit welcher er sich etliche Jahre sehr wolbegangen. Sein Land war fruchtbar / seine Wohnung herrlich / und ermangelte nichts mehr / als ein guter Nachbar / welches allen Haußfrieden zerstören konte. Daher der weise Mann gesagt / es ist besser ein bissen Brods mit Ruhe / als grosser Reichthum mit Sorgen. Sigisbert der nächste[276] Nachbar hatte einen Streit mit diesem Ratislas / wegen der Jaggerechtigkeit / und begegneten diese beede selten einander ohne Bedrauung und Zankwort.

3. Einsten verfolget Sigisbert / ein Wild fast biß an Ratislas Schloß / welcher vermeinte / daß ihme solches zu sonderem Schimpf beschähe / fället deßwegen mit den seinen hinaus / und schiesset Sigisbert zu boden. Er wuste wol daß er wegen dieser That in Gefahr / weil Sigisbert grosse Freunde zu Hof / und flohe also in Schlesien. Der König lässet auch nach ihn greiffen / er entkommet aber / und weichet in Niederland und Flandern / da er / als auf den Schauplatz aller Kriegshelden / nicht wolte einen müssigen Zuschauer geben; sondern seine Tapferkeit auch erweisen / wie er dann in vielen Begebenheiten ritterlich gethan.

4. Wie man nun in dem Winter von so blutiger übung abzulassen / und in den Stätten aus zu rasten pfleget / hatte Ratislas auch Gelegenheit mit trinken; spielen und Frauenvolck seine Zeit kostbarlichst zu vertreiben / weil er reich / zu solcher Handlung den Verlag hat / und das geitzige Alter noch nicht erreichet hatte. Der güldne Schlüssel öffnete ihme nicht allein die Thüre / sondern auch deß Frauenvolkes Hertzen / daß er fast aller Orten willkommen / und weil er schön / jung und stark / willig eingelassen wurde.

5. Nach Verlauff etlicher Monat verliebte er sich in eine tugendreiche Jungfrau / die zwar gegen seiner Höfligkeit nicht undankbar / mit verdächtiger Begünstigung aber ihme keines weges wilfahren wolte: biß er sich endlich in Ehliche Verlöbnis eingelassen / und weil die Mutter vermeinte / daß ihre Tochter einen reichen Polnischen Herren heuratet / hat sie das Ja Wort nicht lange zu rucke gehalten / und wurde Ratislas diese Anwerbung wol unterwegen gelassen haben /wann er sonsten zu streichen hette kommen können.

6. Also führet dieser Pol die schöne Niederländerin zu Kirchen und Strassen und erlanget durch Verrähterey / was man ihm nicht wollen zu[277] kauffen geben. Die Schönheit und Freundligkeit Adalgis hielte Ratislas von dem Krieg ab / damit er dieser Affter Gemahlin Gesellschaft obliegen könte. Endlich hat Judith durch ihre Befreunde Ratislas Landshuldigung ausgewürket / und die Sache mit Sigisbert Erben verglichen / daß er also sicher wiederkommen mögen /wann er nur sich aus den Armenbanden seines liebsten Weibs hette winden wollen. Er bindet eine Entschuldigung an die andre / setzet Zeit und Ziel / verspricht und verschreibt zu kommen / bleibt aber wo er ist; daß Judith ihn abzuholen willens / und solches auch ugescheut an ihren Mann berichtet.

7. Nach zweiffelhafften Bedacht / entschleusst er seine Adalgis mit ihm zu nehmen / wie auch nicht sonder Threnen ihrer Mutter / und ihrer beschehen. Als sie nun / nach langen ümwegen / nach Breßlau in Schlesien gekommen / sagte er / er müsse vor an raisen / und zusehen in was Stand seine Güter / zugleich auch seine Freunde / wegen seiner Verehlichung zuberichten / etc. Adalgis glaubet alles was er ihr fürschwätzte / und lässet sie also mit zweyen Mägden /so aus Flandern mit ihme kommen / samt zweyen Knechten / die ihme getreu waren. Judith empfahet ihren Mann / der so lange Jahre von ihr entfernet gewesen / mit hertzlichen Freuden / und ersättigte ihr verlangen mit seiner angenemen Gegenwart.

8. Nach etlichen Tagen musste er nach Hof / dem König wegen erwiesener Gnad zu danken / und seiner Treue versichern. Er hatte viel Schlösser / und vermeinte seine Niederländerin auf einem / welches nahe bey Dantzig / zu halten / und sich ihrer als eines Kebsweibs zu bedienen / welches er auch so klüglich zu werk gerichtet / daß Judith nicht den geringsten Argwahn darvon schöpffen können. Er beredete die einfältige Niederländerin / daß seine Freunde übel zu frieden / daß er zu veracht seines Geschlechts eine Außländerin geheuraten / und musste sie deßwegen /nach der Zeit unbekant aufhalten.

9. Es zeugte nun dieser Ratislas mit beeden Weibern[278] Kinder / die unehlichen / oder letzt ehlichen aber dorfften / wie die unartigen Adler / nicht an das Sonnen Liecht blicken. Nach etlichen Jahren wird dieser Weiber süchtige Pol / von einem seiner Diener / den er mit Worten übel angefahren / verrahten / daß nemlich noch eine Beyschläfferin / auf dem Schloß Pogltz unterhalte. Judith bespricht ihren Mann deßwegen /wird aber sehr übel angefahren / und gegen der schönen Adalgis verachtet / mit Bedrauung / daß es sie das Leben kosten solte / wann sie noch ein Wort mehr wegen dieser Sache verlieren würde.

10. Hierdurch wurde die Liebe gegen Judith fast außgeleschet / gegen Adalgis aber von neuem angezündet / und ob wol das Geschrey durch Judith außgebracht / wie ihr Mann in Ehebruch lebte / hat er sich doch wenig hindern lassen / und allein getrachtet /daß Adalgis nicht erfahren möchte / daß er verheuratet / zu welchem End er sie auch verwachen lassen. Als aber auf ein ezeit Ratislas sich zu Hof aufhalten musste / kleidet Judith seine Kleider an / klebt einen Bart / der dem seinen gleicht an das Kien / und dinget etliche Soldaten / welche ihr Beystand leisten solten.

11. Die Wachten vermeinten / daß es ihr Herr Ratislas / und lassen ihn mit den Dienern in das Schloß Pogltz / da sie dann wie ein Thyger die arme Adalgis samt ihren zwey Kindern und Mägden mit eigner Hand mörderischer weise erwürget / und sich hernach wieder auf ihre Wohnung begeben / willens selbes Schloß so wol zu versehen / und zu vertheidigen / daß er Ratislas nicht werde überwältigen und bezwingen mögen. Als er auch für das Schloß kommet / sagt sie ihm alles was einem eiferenden und verzweiffeltem Weib zu Sinne kommen kan. Ratislas giebt gute Wort / billichet ihren gerechten Zorn / bittet üm Verzeihung / und ihn weil die Ursache ihrer bösen Ehe nicht mehr im Leben / wieder anzunehmen.

12. Nach dem aber Judith sich beredenlassen / und vermeint / daß nunmehr die Ehe wieder gut / erwürget[279] Ratislas seine Judit / mit eben dem Strang / mit welchem sie ihre Feindin erhangen lassen. Seiner Kinder hat er zwar verschonet / weil sie Fleisch von seinem Fleisch / und Gebein von seinen Gebeinen / alle Diener aber so zu Adalgis Mord geholffen / haben wieder sterben müssen. Nach dieser That ist er mit allem Gold / Silber und Edelgesteinen in Schlesien geflohen; seiner verstorbnen Frauen Befreunde aber haben ihn auskundschafften / und gleichfals erwürgen lassen.

Unrecht bleibet zwar verborgen

aber niemals ungestrafft /

wer weiß was heut oder morgen

dir Gott für ein Ende schafft?

darum sey die Stund bereit /

zu der letzten Sterbenszeit.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 276-280.
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