(XCII.)

Der Waffen Ausschlag.

[312] Weil den Wenschen nichts liebers in dieser Welt / als das Leben / massen alle Wollust / Geld und Gut / und was uns nur angenehm seyn mag nach dem Tod /nicht mehr dienen kan / haben die verständigen Alten der Gefahr das Leben zu verlieren / die Ehre und zwar auch nach dem Tod beharrend an die Seiten gesetzet: welches / wann es in rechtmässigen Krugen / und zu Vertheidigung deß Vaterlands aufgesetzet wird / loblich und verantwortlich ist.[312] Es hat aber der böse Menschenfeind und der Mörder von Anbegin / die falsche Ehre den Weltkindern zu Sinn gebracht / daß sie wegen eines zweiffelhafften Worts Haß und Feindschafft / ja thätlichen privat Rache verüben / daß einer den andern / sondere vorbereitung zum Tod / in die Hölle schicket. Solcher Mordfechter haben wir viel auf diesen Schauplatz gesehen / und wollen hier noch ein par mit ihren Beyständen auf führen: keines wegs aber darunter verstanden haben / welche ihr Leben oder Ehre mit tapferer Hand zu retten pflegen.

2. Amador ein Edelmann in Langedoc hatte wegen eines Fischwassers einen Streit mit Andoel: Dieser nimmet mit sich Harpin / jener Geronee / welche beede treuverbundne Gemüts Freunde und bald Schwäger werden solten / weil Odet Geronce Bruder in Harpins Schwester Genevre verliebet / zu welcher Heurat ihm Harpin geholffen / und bey seinem Vater Marcell das Wort gesprochen hatte. Über dieses waren sie mit einander als Edelknaben in Diensten eines Fürsten aufgewachsen / und hette ein jeder sein Leben gerne für den andern gelassen / wie ihre Freundschafft erfordert.

3. So bald nun Geronce Harpin auf dem Platz gesehen / hat er gesagt / daß er seinen Degen nicht begehre aus der Scheide zubringen / weil er wieder seinen besten Freund schneiden solte. Andoel sahe daß Harpin auch keinen Lust zu dem Handel / und beschuldigte ihn / daß er so wol als sein Gegner / unter dem Namen einer falschen Freundschafft / warhafftige Zagheit sehen liessen.

4. Wol / sagte Geronce / Bruder Harpin trit auf meine Seiten / wir wollen diesen weisen / daß wir bey unsren Herrn unsre Ehre zu retten erlernet / damit wir aber auch nicht wieder unsre Freunde / welche uns zu Beyständen ersucht / fechten / wil ich Andoel / und du solt Amador für dich nehmen. Andoel antwortete: Ich bin kommen mit Amador wegen unsres Fischwassers die Sache außzufechten / und wenn Harpin mir keinen Beystand leisten wil / so werde ich[313] sagen daß die Weiber mit ihren Spindlen einander mehr Schaden thun können / als diese Memme mit ihrem Degen.

5. Solche Wort bewegten Harpin / daß er sich verlauten lässet / es habe die höfliche Freundschafft dieses Orts nicht stat / in welcher man die Ehre über alles lieben müsste. Geronce sagte / daß sie dann die Ehre wieder die Anfänger deß Streits fechtend / suchen wolten / welchen ihren Undanck sattsam vermerken liessen. Harpin aber wolte nicht / und ob wol Geronce die Stösse nur außnahme / und ihn nicht zu beleidigen begehrte / übersahe er es doch / daß er ihm das Knie verwundete / und auch zu gleicher zeit in den Arm gestossen wurde.

6. Harpin fället zu boden / und Andoel welcher Amador dreymal durchstochen / kommet nun auf Geronce zu / wurde aber von ihme gezwungen / daß er die Waffen von sich geben / und das Leben bitten müssen. Als nun Andoel wieder aufgestanden / hat er Harpins Degen ergriffen / und Geronce wiederum angetastet / ungeacht er bereit viel Blut verlohren hatte /fande aber solchen Gegenstand / daß er nach wenigem Gefecht durchrennet / den Geist aufgegeben / und in deme er noch zwischen dreyen Abgeleibten stehet /kommen die Häscher und bringen ihn in Verhafft.

7. Oder sein Bruder wolte sich seiner annehmen /damit er nicht in deß Henkers Hand kommen möchte; diesem nach hat er / und seine Spießgesellen / theils mit List / theils mit Gewalt die Sache so wol gespielet / daß Geronce wieder auf freyen Fuß gestellet / sich mit der Flucht gerettet. Wegen solches Verbrechens müssen beede Brüder aus Franckreich weichen / und nach Perpignan entfliehen. Inzwischen aber hat sich ein andrer und älterer Freyer bey Genevra angemeldet / welcher sahe / daß Marcell Geronce / so wol als Odet / wegen ihrer That und Ausbruchs aus der Gefängnis / hasste / und seine Tochter keinen flüchtigen geben wolte / versprach sie deßwegen Quintil.

8. Ob nun wol Genevra nicht darein verstehen[314] wolte / hat er doch sie zu nöhtigen bedraut / und dardurch verursacht / daß diese Heldin ihres verstorbnen Bruders Kleider angezogen / biß auf die nechste Post gegangen / und von dar aus nach Perpignan geritten. Wer das Frauenvolck in Languedoc kennet / welche in männlicher Ubungen / zu hetzen und jagen angewehnet werden und betrachtet daß die Liebe Flügel hat /der wird dieses / wie es auch wahr ist / leichtlich glauben. Odet vermeinte nun / daß ihm solcher massen alles zulässig seyn würde / musste aber hören / daß diese Amazonin von der Richtschnur der Ehre nicht abtretten wolte / sondern ihn warten machte / biß die Trauung mit hochzeitlicher Begängnis verrichtet werden könte.

9. Wie sehr sich Marcell hierüber betrübet / ist nicht wol auszusagen / und reitzte seinen Grimm Quintil / welcher sich verachtet sahe / deßwegen er auch sich an Odet / aus dessen Raht er solches angestifftet zu haben vermeint / zu rächen gedachte. Dieser Meinung raisen die beede auf Perpignan / und lassen die zween Brüder ihre Ankunfft durch ein Fedbrieflein wissen / welche sich an bedeuten Ort befinden vielmehr sich zu entschuldigen und Unterredung zu pflegen / als sich mit ihnen zu schlagen.

10. So bald aber diese einander zu Gesicht kommen / gehen die Alten mit blossem Degen auf die beeden Brüder zu / und wollen ihre Entschuldigungen nicht anhören. Marcell wil seines Sohns Tod an Geronce rächen / und Odet den Rauber seiner Liebsten todt haben / ob sie wol beede unschuldig / wie gehört / Odet hatte die beste Schantz in dem Spiel (ich wil sagen wurde von Genevra geliebt) und hatte die Stärcke in den Armen / daß er seinen Gegner bald nieder sätzte. Deßgleichen konte auch Geronce leichtlich thun / wann er gewolt hätte. In deme nun die zween Brüder gegen Marcel stehen / führen sie ihme zu Gemůt / daß sie noch an den Tod seines Sohns Harpins / noch an der Genevra Flucht schuldig / und daß sie ihme lieber mit ihrem Leben dienen / als ihm daß seine nehmen wolten.[315]

11. Diese Bescheidenheit hat endlich den alten Marcel erweicht / daß er sich (weil er hörte daß seiner Tochter Ehre unverletzt) überwunden / in dem die Waffen ihrer Höfligkeit den Ausschlag gegeben /Odet seine Tochter versprochen / und Geronce verziehen den ungefähren Tod seines Sohns. Quitil wurde wie ein Esel begraben / ich wil sagen auf den Schindacker geworffen / nach Verordnung der Geistlichen Rechte.

12. Nach deme sie nun eine zeitlang noch der Orten verblieben / hat Marcel ihnen Landshuldigung zu wegen gebracht / daß Odet seine sonders zweiffels in dem Himmel gemachte Ehe / auf Erden vollziehen können.


Das / was die Welt nennt wankel Glück

ist nichts als Leid- und Freudgeschick.

Ein Bild das Angesicht und Rucken

verwendt in flügelschnellem nu /

und dem es günstig scheinet zu /

kan es gar bald zu Boden drucken /

der sich dem Würbelwind vertrauet

Die Reu auf falsches Glücke bauet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 312-316.
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