(XXXVII.)

Der aberglaubische Schwervater.

[124] Cariton ein Edelmann zu Urbino hatte sich von Jugend auf mit zulässigen Wissenschafften nicht vergnügen lassen / und allezeit gelehrter als als Gottsfürchtiger seyn wollen. Der Lateinische Poet sagt hier sehr wol:


Ach! miser est sapiens, qui sapit absque Deo.[124]


Wer weiß ist / ohne Gott /

Hat Elend / Noth und Spott.


Sonderlich aber liesse sich dieser Edelmann gelüsten /das zukünfftige zuwissen / und hatte ihm der Satan durch die Sterne Kunst mit einer ungefehr eingetroffnen Warheit viel Lügen verkaufft.

2. Er hatte der Planeten Lauff in seiner Geburtsstunde zu Papier gebracht / und auch andre erfahrne in der Kunst darvon urtheilen lassen / welche alle einmüthig geschlossen / er werde keines natürlichen Todes sterben / sondern von seinen Tochtermann ermordet werden. Dieses schwebte ihm unablässig in den Gedancken / und wie die bösen Zeitungen mehr eintreffen als die guten / ist ihm diese Furcht gleichsam zu einem Henker wordē / daß sie wie das Schwert Democles ob dem Haubt geschwebt.

3. Er hatte drey Töchter / die nöthigte er alle drey in das Kloster / damit er ja keinen Tochtermann für seinen Augen sehen solte. Die zwo ältsten willigen gerne in so einsames Leben: die jüngste und frischte aber Eugesta genannt / nahme ihr eine Bedenck-Zeit /welche sie nach und nach verlängerte / und endlich ungescheut sagte / sie hette kein Nonnenfleisch / und fühlte / daß ihr diese Art zu leben unerträglich / und ihr Gemüt von GOtt nicht darzu gewidmet.

4. Nach dem nun mit drauen und straffen nichts außzurichten / sperrt sie ihr Vater in ein Gefängnis /auf seinem Landgut / da sie noch Sonne noch Mond bescheinen konte / der Hoffnung sie solte noch froh seyn / von daraus in das Kloster zu gehen. Der Verwalter solches Landguts hatte nicht wenig mitleiden mit dieser unschuldig gefangenen / und erzehlte Marso einem Edelmann / der in der Statt Urbinio sich wegen begangner Ableibung nicht dörffen sehen lassen / und auf dieses Schloß in Bauren Kleidern geflohen war / daß sie wegen ihres Vaters Aberglauben gefangen lege.

5. Dieser Marso verliebte sich von hören[125] sagen /und begiebt sich unbekanter weise in deß Verwalters Dienst / daß er in wenig Tagen Gelegenheit bekommt diese Eugestam zu sehen / zu lieben / und von ihr geliebt zu werden / daß der alte Cariton in ihre Verlöbnis nicht willigen würde / aus vorbesagten Ursachen wissten die beede Verliebten wol / und entschlossen sich deßwegen die Flucht zu nehmen und nach Liburno zu entweichen / welches auch mit Gelegenheit beschehen.

6. Cariton wird also bald einträgtig / daß seine Tochter entkommen / und mit einem Baurenknecht Sylvio genannt (diesen Namen hatte Marso angenommen) nach Livorno gereiset: hierüber betrübt sich Cariton Tag und Nacht / weil er nicht kente den / so sein Tochtermann bereit ohne zweiffel worden / und so viel er unbekante ansahe / vermeinte er bey jedem /dieser oder jener werde ihn umbringen.

7. Es fügte sich daß Cariton den Hertzog von Urbino mit einer bösen Rede beleidigte / und deßwegen nach Livorno fliehen muste / weilen etliche hundert Kronen auf seinen Kopff gebotten worden. Also kame Cariton auch nach Livorno / willens in Spanien abzusegeln. Marso erkennt ihn also bald / weil er ihn zuvor bey Hof gesehen: Cariton aber kennet Marso nicht / und wil ihn Eugesta mit einem Fußfall benebens ihrem Mann ihr verbrechen ab und umb Gnade bitten.

8. Als eines Tages Marso mit zweyen von seinen Freunden sich bey Cariton umb verhör anmelden lässet / bildet er ihm ein / es weren Leute die ihn greiffen und zu verhafft bringen wollen / nimmt deßwegen sein Pistol und seinen Degen / tritt für die Thür / und in dem sich Marso neiget / scheusst er ob seinem Haupt hinweg: deßwegen dann Marso vermeint sein Schwärvater wolle ihn ermorden / entblösst den Degen / sich zuvertheidigen / und durchrennt sich Cariton selbsten / daß er tödtlich verwundet zu boden sanke / Marso auch anfangs in den Arm verletzet worden.

9. Cariton lebte noch biß auf den Abend / und[126] erzehlte den Mißverstand / welcher unter beeden vorgegangen / und hatte noch Zeit seinen Aberglauben zu bereuen / und so wol schrifftlich seinen Fürsten / als mündlich seinen Tochtermann umb Verzeihung zu bitten: massen auch selber für Gericht freygesprochen / und nachmals bey dem Hertzog gnädige Landshuldigung erhalten hat.

10. Wie der Gerechte seines Glaubens leben sol /also muß der Ungerechte seines Aberglaubens sterben. Wer das zukünfftige wissen wil / daß Gott seiner Allmacht vorbehalten / wird gewißlich nicht ungestrafft bleiben. Ein gutes Gewissen ist die beste Propheceyhung / und ein böses Gewissen der böse Prophet.

17. Der welcher seinen Wahn gantz übermässig liebet

Sich umb das Erden-Gut mehr als umb GOtt betrübet:

Der irrt sich überweit: er bild ihm sicher ein /

Gedanken unsers Fleischs sind Gergesener Schwein.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 124-127.
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