(XLIII.)

Der doppelte Jungfrauraub.

[143] Weil die Welt gestanden ist / sind die Frommen mit den Bösen vermengt gewesen: »und weil sie stehen wird / werden der Bösen mehr als der Frommen zu finden seyn: massen wir Menschen uns leichter auf dem Laster durch ärgernis / verleiten / als durch gute Exempel zu dem Tugend-Steig geleiten lassen.« Von beeden folget in nachgehender Geschichte / die solche Vermengung sonderlich außfürlich machet.

2. In der Normandia hat sich aufgehalten ein armer von Adel / Namens Martel / welches Tapfferkeit mehren Gelts würdig gewesen / als er[143] dardurch erlangen können. Dieser erkühnet sich eines vornemen Landsherren Tochter Aldegonde aufzuwarten / und hatte einen Zutrit bey ihrem Herrn Vatern / Philippin / dem er in etlichen gefährlichen Begebenheiten / treuen Beystand geleistet.

3. Martels Demut / Höfligkeit und Bescheidenheit machten ihn bey der Jungfrau angenehm / daß er ihre Gunste verhoffte: seine Armut aber hielte der Tugend Gegengewicht / daß er so hoch anzukommen fast verzweifelte. Doch erlangte er nach und nach Adelgonde Gewogenheit / daß sie keinem andern in ihrem Hertzen Platz zu geben bey sich beschlossen. Beede musten hierinnen behutsam verfahren / damit Philippin nicht Ursach hette diesen Martel seine Güter zu verbieten / und ihn seines Liebsten Angesicht zuberauben / welcher ihm wehrter als deß Tages Liecht.

4. In dem nun diese ihre Liebesflammen mit seufftzen und Thränen an- und auffeuren / kam Epolan ein alter unruhiger Herr wiederumb aus Flandern / dem Schauplatz der Heldentugenden / und weil er ein Wittber / und der Einsamkeit nicht gewohnt / bewarb er sich umb Barsimenam / ein junge Wittib / welche er vor etlichen auch geliebet / und deren Mann in Neuligkeit verstorben / daß sie das Trauerjahr zuvor außwarten / ihm aber in zwischen nichts abgeschlagen haben wolte.

5. Epolan wolte die Zeit zu lang fallen / und nach dem er auch ihr freyen willen zulassen / berahtschlagt / finden sie beede dieses Mittel / daß sie eine Heurat abreden / und nach solcher Verbindnis vollziehen /die offentliche Hochzeit-Begängnis aber / biß nach verwichnen Trauerjahr außgestellet wolten seyn lassen. Nach dem solches geschehen / hat Epolan dieser verlobten (vielleicht zur Straffe ihrer Gebühr) genug /und nimmet seinen Weg wiederumb in das Kriegswesen.

6. Nach geraumer Zeit kehrt er wieder nach Hause /und ersihet in einer Gesellschafft Aldegonde / wie selbe von Tharste einem reichen Edelmann in der[144] Nachbarschafft bedienet wird / welchem Victor der Aldegonde Bruder möglichste Beförderung thete. Wie aber der Mond und die Sterne weichen / wann die Sonne auffsteiget / also musten alle andre Buler zu rucke treten / so bald Epolan erschienen / und hat Philippini diese Heurat noch der guldenen Regel bald außgerechnet / und seine Tochter Epolan versprochen.

7. Als nun Philippin Aldegonde über dieser Heurat bespricht / und Epolons Alter entschuldigen wil /sagte sie daß ihr der junge Tharsie und der alte Epolan gleich viel gielte / sie wolte es seinem willen heim gegeben haben. Der Vater lobte diesen kindlichen Gehorsam / und vermetnet / daß er gewonnen / und seine Tochter deß Alten vergulte Pillulen gerne schlucken würde.

8. Tharsie klaget seinem Freunde Victor / wie ihre Schwägerschafft in den Brunnen fallen wolle / und berathschlagen daß Tharsie Aldegonde entführen solte / er wolte sie bey seinem Herrn Vatern schon wieder außsöhnen.

9. Inzwischen dieser Handel schwebet / kommt Barsimena zu Aldegonda / und erzehlet ihr in vertrauen / was zwischen Epolon und ihr vorgangen / und welcher gestalt er ihr ehlich verbunden / krafft vorgewiesenen schrifftlichen versprechens / an welches Epolon so wenig gedacht / als an die Sünden seiner Kindheit. Aldegonde wünschte nichts mehr / als diese beede abzuweisen / und ihren Martel zu erwarten /bittet deßwegen Barsimena solte Epolon einen Einspruch thun: weil sie aber dieser Rechtfertigung Weitläufftigkeit befürchtet / bittet sie Aldegonde / sie solte sie an dem Hochzeit-Tag an ihre Stelle tretten lassen /da sie ihr Ehversprechen für allen geladnen vorweisen / und Epolon zu solcher Vollziehung anhalten wolte.

10. Die Kirchen war von dem Schloß entfernet /und solte die Trauung bey Nachts geschehen / daß also Barsimena / welche etliche Tage zu vor sich in der Aldegonde Zimmer verborgen sich an der[145] Braut stat leichtlich einschleichen mögen / wie dann auch beschehen / aber mit gantz ungleicher erfolge.

11. Tharsie und Victor hatten den Anschlag gemacht Aldegondam darvon zu führen / und legten es mit dem Knechte an / daß er gegen einer Beliebung /still halten und die Braut solte rauben lassen. Wol /der Abend kommt herbey: Barsimena zieht die Brautkleider an / und vermasquert das Angesicht / der Braut Vater / Bräutigam / und die gantze Freundschafft fahren fort in die Kirchen: Als Barsimena die vermeinte Braut folgen sol / wird sie von Tharsie aus der Kutschen genommen / auf ein Pferd gesetzt / und entführet.

12. Das Geschrey kommt in die Kirchen / jederman eilt den Raubern nach / und als sie endlich gegen morgens ergriffen worden / finden sie sich allerseits betrogen. Epolon muß seine Hand und Petschafft erkennen / wil aber entbunden seyn / weil Parsimena eine gantze Nacht sich bey Tharsie aufgehalten. Tharsie verantwortet ihre Ehre / und als Epolon solcher wiedersprochen / kommen sie darüber zu streichen / und konte Philippin und Victor beede so geschwind nicht von einander bringen / daß Epolon nicht einen tödtlichen Stoß an die Seiten darvon getragen / an welchem er drey Tage hernach / als er zuvor Barsimenam gefreyet / verschieden / Tharsie aber muste flüchten gehen.

13. Aldegonda hatte inzwischen mit Martel die Abrede genommen / das Land zu raumen / und sich in Flandern zu begeben / aldar er sie / Christlöblichen Gebrauch nach / zu Kirchen und Strassen geführet. Nach dem aber Philippin aus Bestürtzug unn Traurigkeit an einem Schlag gestorben / hat Martel die Mutter und Vatter versöhnet / daß er wieder kommen und seines Weibs Erbtheil in Ruhe und friedlichen Wolergehen besitzen dörffen.

14. Der gerechte Gott straffet mehrmals die Ungerechten auf nie erwarte weise / und ist hier zubetrachten der Barsimena Thorheit / daß sie einem schlechten Papier ihre Ehre vertrauet: deß Epolans[146] Untreue / daß er sich entblödet zwey Weiber zu nehmen: Martels und der Aldegonde Beständigkeit / und Vermessenheit / welche zwar noch wol außgeschlagen / aber doch sehr gefährlich angegangen worden: deßwegen ihnen hierinnen niemand folgen sol. Ein Weiser fürchtet sich / sagt Salomon / und meidet das Arge / ein Narr aber fähret hindurch dürstiglich. Es gefällt manchem ein Weg wol / aber endlich bringt er ihn zum Tode.


15. Der honig-süsse Gifft / bringt nicht beliebten Tod /

Deß Artztes Wermut Trunk / hilfft manchen aus der Noht /

Wer alles was er schaut läst seinen Sinn belieben /

Der sucht aus Unverstand / das / was ihn wird betrüben.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 143-147.
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