Nothwendige Vorrede an den Neugierigen Leser.

Welche bisanhero in Beschreibung der Geschichte bemühet gewesen / haben der Könige / Fůrsten und Herren Kriege / Frieden Gesandschafften / Handlungen und dergleichen Begebenheiten zu Papier gebracht; darauß Weltweise Leute / und welchen Gott das schwert der Obrigkeit anvertrauet / kluge Rahtschläge und bedachtsame Fürsichtigkeit erlernen und aus den vergangenen das Zukünfftige überlegen können.

2. Daß aber der privat Personen merkwůrdige Geschichte selten mit eingeführet / und von besagten Geschichtschreibern nicht beobachtet werden / ist daher leichtlich abzunehmen / weil solcher gestalt ihre Wercke gar zu weitläufftig / und ihnen das Absehen zu erstbesagtem Zwecke / durch so vielfältige Begegnissen verrůcket und zu ferne gestecket werden würde.

3. Weil aber vielmehr gemeine Leute zu finden als hohe Standspersonen / (welche sich jener Geschichte allein zu glückseliger Regierung ihrer untergebenen wie gesagt / bedienen) zu einem ehrlichen Wandel der Tugendexempel nicht weniger von nöthen haben / ist von dem sinnreichen Verulamio, hochverständig erinnert worden / daß man alle und jede merkwürdige Fügnissen / so sich unter geringen Leuten mehrmahls begeben / zu Papier setzen / und der Nachwelt zu ihrer Belernung hinterlassen solte l. 6. de Augmentis scient. f. 101. und f. 391.

4. Wann die Alten durch die klugen Fabel gute Lehren haben außbilden wollen / in dem sie die Steine / Thiere / Bäumen und andere stumme Geschöpfe redend eingeführet: Wie viel zulässiger und erbaulicher wird doch seyn / die Geschichte zu betrachten / welche warhafftig und würklich geschehen und uns fast täglich für Augen schweben / aber ja durch derselben Lesung behäglich vorgestellet werden. Was haben wir viel ferne Gleichnissen herzuholen / wann wir solche in den Thun der jenigen finden / welche in unsrer Gesellschafft leben / oder ja zu unsrer Vätter Zeiten gelebet haben / Warum sollen wir unsre Artzneyen in den Ost- und West-Indien suchen / wann sie uns für der Haußthüre wachsen? Warum sol ein Mahler die Gestalt des Menschen von einem entfernten Bilde absehen / wann er viel lebendige Personen in der nähe hat. Daher sagt auch der übertreffliche Marggraff Malvezzi in politico privato, daß wir sehr fehlē / indem unsre Jugend in Lateinischen und Griechischen Geschichten unterrichtet wird / von den Zustand aber ihres Vaterlands und desselben Beschaffenheit von Alters her / fast niemals reden gehöret.

5. Dieser Meinung mahlet der weltberühmte Spanier Diego Saavedera in seinem Politischen Sinnbildern f. 92. zwey Stůcke Scharlach und schreibt darzu Purpura juxta purpuram: bedeutend / daß der Purpurrock seines Königs / könne nicht erkenner werden / als neben dem Purpur-Mantel seiner Lobwürdigen Vorfahren / und erweiset / daß ein König genug studiret / wann er nur die Geschichte deß ihm von Gott anvertrauten Königreichs gelesen habe.

6. Dahin zielten auch der Alten Trauerspiele / welche sie zu grosser Herren Unterrichtung angestellet /darbey aber nicht vergessen etliche Geschichte deß gemeinen Lebens in den Freudenspielen auf den Schau-Platz zu führen / daraus sich geringer Leute spiegeln / die Laster hassen und die Tugend deren Lehrmeister die Historien lieben lernen solten / und zwar mit einer Belustigung / solcher lebendigen Gemähle / welche dem Gedächtnis so leichtlich nicht zu entsinken pflegen.

7. Unter den Spaniern ist Diego Agrada, Eslava Cervantes, und Obregon welche solche Lehrgeschichte (novelas morales) verfasst / unter welchen der erste mit vielen můssigen ümständen / der zweyte mit unnöhtiger Weitläufftigkeit / der dritte aber / (den eine gute Feder Frantzösisch gedolmetscht) ist mit etlichen ärgerlichen Possen angefüllet / daß er nicht viel / höher zu achten / als Gusmann, Lazarillo oder die Picara Iustina deß Vbeda.

8. Die Italiäner habē eine grosse Anzahl allerhand Erzehlung außgedichtet / daraus mehr böses als gutes zuerlernen / und zu folge ihrer Neigung viel Liebshandel beschrieben wie in Boccacio, Bisaccioni Nave, und den nouvellen der Venetianischen Academie, welche sich die Einstimmigen (unisuoni) nennen / zu ersehen / deren wir etliche leswůrdige in unsern Gesprächspielen übersetzet. Solche Erfindungen sind nicht viel schätzbarer / als die Liebs- und Helden Geschichte / welche man Roman nennet / weil sie von Spanier Romance, oder der Römer Sprache der man sich zur Wolredenheit beflissen / herkommen. Pasquier aux Recherches f. 940.

9. Den Frantzosen mangelt es auch nicht an dergleichen Büchern / deren bereit viel übersetzet worden / und hat unsre Meinung mit vorbesagten Lehrgeschichten absonderlich getroffen Belleforest Rosset; und welches letzten Dolmetschung den Teutschen so lieb / daß sie schwerlich mehr zu bekommen / und nun zum vierdten oder fünfftenmahl wider aufgeleget werden.

10. Solchen Fußstapfen hat Iean Pierre Camus Bischoff zu Belley den Fuß rühmlich nachgesetzet / und in unterschiedenen Büchern allerhand denkwürdige Geschichte / so sich zu unsrer Zeit hin und wider begeben / zusammen getragen / der Hoffnung / daß solche die bösen Bücher unterdrucken / und die Tugend an statt der Laster / der neugierigen Welt einstössen solten.

11. Unter dieses wolgedachten Bischoffs schönen Schrifften / habē wir außgewehlt den grossen Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichte / weil deß Menschen Sinn also beschaffen / daß er durch Bestraffung der Bösen mehr beweget wird / als durch Belohnung der Frommen / jener Anzahl auch viel grösser / als dieser; daß also deß Unglücks und die traurigen Fügnissen im mehrerer Anzahl zu begegnen / als der glücklichen und erfreulichen Geschichte.

12. Zu dolmetschen dieser und andrer erstgerühmten Schrifften deß H. Bischofs von Belley hat uns absonderlich veranlasset / daß wir gesehen / wie in den Gespräch spielen die Gesichte und nach der Spielart angeführte Erzehlung / (deren keine geringe Anzahl auß diesem Belley genommen /) fast jederman gefällig / unn mit grosser Gewogenheit beliebet worden / daß wir dir Arbeit der Dolmetschung / an diesem sehr nützlichen / und allen / wes Stands und Lebens sie auch seyn mögen / erbaulichen Buch wol anzulegen ungezweiffelt vermeinen / ob zwar nicht alle Geschichte gleichwol gefällig seyn möchten.

13. Der Titel in dem Frantzösischen ist: L' Amphiteatre Sanglant, ou sont representeés plusieurs actions tragiques de nostre temps. Wir nennen es: Den grossen Schauplatz blutiger oder jämmerlicher Mordgeschichte / welche sich zu unsren Zeiten begeben. Von Wort zu Wort könte man sagen: Der blutige Schauplatz / in welchem / die traurigen Geschichte unsrer Zeit vorgestellet werden.

14. Was nun aus einer jeden Erzehlung zu ersehē und zu lernen ist theils Anfangs / theils zu Ende derselben bemeldet; jedoch sind wir hierinnen dem Frantzösischen selten nachgegangen / weil H. Velley an vielen Orten erwiesen / daß er ein Eifrer / der alles gerne auf seine Religion ziehen wollen / mehrmals mit nachtheil anderer frommen Christen. Also haben wir auch zu Zeiten überflüssige ümbstände in den Erzehlungen untergelassen / den Leser / welcher deß Außgangs begierig ist / nicht verdrüßlich aufzuhalten. Wie wir nun in diesem davon also haben wir in den Lehren aus unsrem Vorraht fast aller Orten darzu gethan.

15. Gleich wie zu diesen unsren Zeit der berühmte Adam Wiele von Harlingen erfunden die Berge zu versetzen / (allermassen die erste Prob zu Dantzig beschehen) und die Erden andrer Orten nach belieben zu gebrauchen macht hat: Also ist es auch einem Ubersetzer frey / den Inhalt eines andren Buchs in seine Sprache zu übertragen / und ihm selben nach gutdünken dienen machen; wann er gleich allem und jeden so genau nicht nachgeher / von den eigentlichē Wort verstand abtritt / und nur den Verlauff der Sachen richtig behält / wie allhier besten Vermögens geschehen.

16. Hierbey ist auch zu gedenken / daß etliche schlechte Historien / mit anderen traurigen Erzehlungen außgewechselt worden / und obwol in den Frantzösischen mehr nicht / als XVII. in dem ersten und XVIII. in dem zweyten Theil zu lesen / so haben wir doch die Zahl biß auf L. nachgehends auch auf CC. denen frölichen unter dem Titul deß Grossen Schauplatzes Lust- und Lehrreicher Geschichte an der Zahl und Format gleichständig erhöhen wollen / theils auß eigner Erfahrung / theils auß andren Scribenten.

17. Ferners was für Personen unter diesen Namen verborgen / ist dem Leser nicht viel daran gelegen /weil er versichert / daß es alle wahre Geschichte / zu welchē / oder von welchen haubtsachlich nichts gethan wordē: allermassen die Zeit und der Ort / wo dieses oder jenes beschehen / gemeldet / und nichts ungläubiges / das nicht geschehen könte / in dem gantzen Buch befindlich.

18. Betreffend schließlich diese Art der Geschichtschreibung / weil solche keine außgesuchte Worte der grossen Wolredenheit leidē / sondern aus einer gleichgeschnittnen Feder herfliessen / daß der Verstand ohne viel mühsames nachsinnen zu Gedechtniß gesasset werden kan / dessen wir uns auch beflissen / und verhoffentlich so unvermengt Teutsch geschrieben /daß man gar wenig Orten bemercken wird / daß dieses auß einer andren Sprache in die unsrige gebracht wordē. Zu mehrern Belusten sind auch zu Ende in jeder Erzehlung kurtze darzu schickliche Reimlein beygesetzet worden / und ist die Rechtschreibung in Abwesenheit des Verfassers dem Verleger und seinen Bedienten freygelassen worden.

19. Ferners ist dieser dritte Druck mit 100. ein-zwey-drey-vier-fünff- und sechsständigē Sinnbildern /wie auch einem Vorbericht von derselben kunstrichtigen Verfassung / und allen Rednern / Poeten / Mahlern / Bildhauern / Glasschneidern / Goldschmieden /etc. zu Behuf / gemehret worden / sich nach belieben solcher Erfindungen zu bedienen / oder nach derselben Veranlassung andre zu ersinnen.

20. Der günstige Leser / welcher neue Sachen zu wissēbegierig / wolle diese unsre Arbeit / wie sie gemeint wol an- und aufnehmen / und sich versichern daß wir ihm zu dienen / und auf alle Begebenheit eussersten Vermögens zu willfahren / begierig sind / und die Zeit unsers Lebens verbleiben werden.


Gott mit uns.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656.
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