Dritte Szene

[210] VON GROBITZSCH hat sich während des Vorigen mit der Zigarre am Ende der linken Tafel niedergelassen, wo noch die leeren Kuverts stehen. Laut. Vorwärts, Ordonnanz, räumen Sie mal hier schleunigst ab! Hier wird Skat gespielt. Marschall! Glahn! Keine Müdigkeit vorschützen. Er sieht nach der Uhr. Hab nicht viel Zeit! Zu einer anderen Ordonnanz. Also! Karten, Karten, Skatblock. Für zehn Pfennige Bier und noch einen Kurfürstlichen ... Vorwärts, vorwärts!

PETER auf der rechten Seite. Ordonnanz.

EINE ORDONNANZ. Jawohl, Herr Leutnant!

PETER. Hierher mit der Bowle!


Er weist auf das Ende der rechten Tafel.


ORDONNANZ. Bowle?

PETER. Fragen Sie Tiedemann, der weiß Bescheid.

TIEDEMANN die Oberordonnanz, kommt von links.

PETER. Tiedemann, Menschenskind! Es ist ja höchste Zeit! Hierher!

TIEDEMANN. Sofort, Herr Leutnant.


Eilt wieder links ab.

Währenddem sind die meisten Offiziere teils rechts, teils links vorn abgegangen. Die hintere Tafel wird

nach und nach leer. Vorn, an[210] der rechten Tafel haben sich die leiden Brüder Peter und Paul von Ramberg mit Moritz Diesterbeg und Benno von Klewitz zusammengesetzt. Zwei Plätze am Ende der Außenseite bleiben frei, darauf folgt Peter. Diesem gegenüber an der Innenseite Moritz, dann Benno und am Ende Paul. Vorn an der Schmalseite der rechten Tafel nimmt später der Dr. Meitzen Platz, der, einstweilen noch allein, rauchend im Hintergrunde auf und ab geht. – Am Ende der linken Tafel haben sich von Grobitzsch an der Außenseite, von Marschall ihm gegenüber und Franz Glahn an der Schmalseite zum Skat niedergelassen. Ordonnanzen kommen und gehen und bringen im Folgenden alles Nötige.


PETER zu Paul. Dieser Fritz mit seiner »Auffassung«. Lachhaft!


Paul zuckt die Achseln.


MORITZ indem er sich setzt. Na, was werdet ihr denn da wieder für'n Zeug zusammengebraut haben?

PETER. Wirst schon sehn, mein Sohn. Wart's ab.

MORITZ. Finde das unerhört, daß man das nicht mir überlassen hat.

PETER. Beruhige dich, Teuerster, sie ist ganz nach deinem berühmten Rezept.

TIEDEMANN kommt von links mit einer großen Bowle. Zu den Ordonnanzen eilig. Gläser, Gläser, Gläser. Von den großen.

PAUL mächtig. Ha! Sie kommt, sie naht mit Willen.

PETER. ... ist voller Lieb und Lust!


Die Bowle wird auf den Tisch gesetzt. Die Skatgesellschaft links sieht sich erstaunt um.


GLAHN. Na nu? Was ist denn da wieder los? Schon wieder ein Fest?

VON MARSCHALL. Wissen Sie nicht?

VON GROBITZSCH vieldeutig, mit halbgedämpfter Stimme. Rudorff!

GLAHN gedehnt. Ah ... Was macht der denn? Ich denke: er hatte ein halbes Jahr Urlaub?

VON GROBITZSCH. Nu ja. Das ist eben um. Nu kann's ja wieder losgehn –

GLAHN. Sie meinen: mit dem Harmoniumspielen ... he?


von Grobitzsch lacht.
[211]

VON MARSCHALL. Machen Sie keine Witze, meine Herrn. Sie haben ihn noch nicht spielen hören, Grobitzsch ... großartig, sag ich Ihnen.

VON GROBITZSCH. Hätt er eben Organiste werden sollen.

GLAHN UND VON GROBITZSCH lachen laut. Die Herren am Tische rechts sind aufmerksam geworden.

VON MARSCHALL leise. Pst! Laut zum andern Tisch hinüber. Sagen Sie, Ramberg, wie geht's denn eigentlich Ihrem Herrn Vetter?

PAUL. Ausgezeichnet. Danke sehr.

PETER gleichzeitig. Vortrefflich! Sie werden's ja gleich sehn, lieber Marschall. Harold muß gleich mit ihm antanzen.

VON GROBITZSCH. Null!


Sie spielen weiter.


VON MARSCHALL. Also das verdammte Nervenfieber vollständig überwunden?

PETER. Gott sei Dank.

BENNO VON KLEWITZ. Is sonst ne böse Sache. Geht an die Nieren. Zu Meitzen, der sich noch nicht gesetzt hat. Sie, Doktorchen, sagen Sie mal: wie heißt sowas eigentlich auf lateinisch?

MEITZEN hinter der Tafel, rechts. Was denn?

BENNO. Na ja, wissen Se: so'ne kleine, klangvolle Sache so ... die den Vorgesetzten imponiert ... wo man denn gleich so auf einen Hieb drei Monat Urlaub kriegt? –

MEITZEN. Neurasthenia cerebralis.

BENNO das Gesicht verziehend. Neura ... sthenia celeb ...

MEITZEN. Cerebralis.

BENNO. Gottverdammich!

PAUL. Na, aber Doktor, nu kommen Sie mal her! Hier ist Ihr Platz! – Wenn Sie damals nicht gewesen wären! Sie haben ihn doch eigentlich rausgehaun!

MEITZEN schwerfällig, indem er Platz nimmt. Hm. Na ... seine gute Natur ... Also, es geht wirklich wieder?[212]

PETER. Wirklich! Er soll sich ganz famos erholt haben! Unsere gute Großmutter schrieb ganz beglückt. –

PAUL hat inzwischen Moritz eingeschenkt. Na – Moritz? Probier mal! Stimmt die Sache?

MORITZ kostet und schweigt.

PAUL. Na? Äußere dich!

MORITZ. Nu ja, ganz schön. Mit dem Sekt seid Ihr nicht grade splendide gewesen. Hm?

PAUL. Oho! – Ordonnanz! Dem Manne kann geholfen werden. Noch eine Carte blanche.


Ordonnanz ab.


MEITZEN. Darf ich fragen, Ramberg, wo war denn Ihr Herr Vetter eigentlich zuletzt? Er kommt doch nicht direkt da, aus der Schweiz da ...

BENNO. Aus dem »Dings da«?

PETER. Nein, nein. Er war eben die letzten vier Wochen in Köln, bei unsrer Großmama ... zur Nachkur ...

MEITZEN. Ach, so ...

MORITZ. Kinder, ja, ich wollte, ich hätte auch so 'ne Großmama wie Ihr!

VON GROBITZSCH ohne vom Spiel aufzusehen. Ich nicht.

ORDONNANZ kommt mit dem Sekt und will ihn einschenken.

MORITZ nimmt ihm die Flasche weg. Halt, mein Sohn, Finger weg, Beene weg, det andere jeht von alleene weg. Er schenkt ein. So!

PAUL. Großartig! Moritz, was wären wir ohne dich! Er reicht Meitzen ein Glas. Nu probieren Sie mal, Doktor! Vom sanitären Standpunkt aus ...

MEITZEN kostet. Nichts dagegen einzuwenden. Truppenfrommes Getränk.

VON GROBITZSCH indem er ausspielt, etwas gedämpft. Sie bereiten das Bad der Wiedergeburt! – Zur Freude aller Tanten steigt er aus der Flut.

VON MARSCHALL halblaut. Nicht doch, lieber Grobitzsch, nicht doch ...

VON GROBITZSCH zählt die Karten. Laut. Sechzig! Rum! – ist kein Arrak.[213]

GLAHN hat ebenfalls gezählt. Rum.

EINE ORDONNANZ kommt von rechts. Zu Peter. Die Herren sind da.

PETER. Also! Endlich!


Er steht auf.


MORITZ. Holen wir ihn ein! –


Er steht ebenfalls auf.

Peter, Paul, Benno, Moritz und Meitzen rechts ab.


Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3, Berlin 1913, S. 210-214.
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