Sechste Szene

[222] HAROLD steht auf und geht schweigend um die ganze Tafel herum.

MEITZEN steht gleichzeitig mit Harold auf. Ja, ich ... meine Zeit ist jetzt auch herum. Mahlzeit, meine Herrn! Lieber Rudorff ...


Er drückt ihm die Hand und geht rechts ab.


HANS breitet die Arme aus. Ha, welche Lust, Soldat zu sein. – – Hm ... na!

HAROLD bleibt stehen. Eindringlich. Dummheit! Halt die Ohren steif! Bitt mir aus! Wegen solcher Lappalien ...

HANS. Hast recht, Harold, hast recht ... Komm! Komm wieder 'ran! Lieber, alter ...

HAROLD rechts hinten. Nu ja ...'s is doch lächerlich –

MORITZ. Kinder, die Bowle wird alle! Es muß schon jekippt werden!

PETER. Ach, Mohrchen ... Du stehst grade. Klingle doch mal![222]

MORITZ klingelt an der hinteren Tür links.

ORDONNANZ kommt.

PETER. Noch zwei Carte blanche. Und die Ananas.

PAUL. Der Sekt erfreut des Menschen Herz!

HANS sich von seinen Gedanken losreißend. Ä ... was soll der Stumpfsinn! Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Sterblichen zuteil.

DIE ORDONNANZ bringt den Sekt.

HANS. Also, Moritz – mische du!

MORITZ indem er die Flaschen zusammengießt. Erlaube mal! Wird nicht mehr gemischt! »Der Trank, der Trank, der furchtbare Trank!«

HANS zu Peter und Paul. Seid ihr denn immer noch so intim mit ihm?

PETER UND PAUL gleichzeitig, schnell. Mit wem?

HANS. Mit ihm – dem Grobitzsch?

PETER ein wenig verlegen. Intim ... ach Gott, was heißt intim? Das sind wir doch nun eigentlich nie gewesen.

PAUL. Nein ...»intim« ...?

HANS. Na, ich danke. Vorigen Sommer, in den vier Wochen, wo ich in Erfurt war, auf Gewehrfabrik ... da schient ihr euch doch heftig angebiedert zu haben. Hm? Ich weiß noch, daß ich ganz erstaunt war, als ich wiederkam und ...

PAUL verlegen. Ach, damals ... das war so ...

HANS. Na! Ich kann mir nun mal nicht helfen: mir ist der Kerl einfach ... einfach entsetzlich. Er schlägt wütend auf den Tisch. Und daß die Traute gerade auf den Menschen reinfallen mußte, das bleibt mir unerforschlich. Er faßt sich an die Stirn. Das war ... das Schwerste. Das ist immer noch ...

PAUL. Um Gottes willen ...

PETER gleichzeitig. Mein Gott, nun fang bloß davon nicht wieder an! Ich denke, das war doch nun wohl endlich erledigt.

HANS ohne auf sie zu hören. Und ich Esel hatte sie immer für was Besonderes, für was ganz Apartes gehalten! [223] Halb für sich. Ob sie ihn ... wirklich liebgehabt hat? ...

PETER zuckt die Achseln. »Liebgehabt ...«

HAROLD klopft Hans auf die Schulter. Hans! Laß doch das! Bitte! Laß doch das! Du quälst dich ja nur.

MORITZ singt gleichzeitig. »Ach wie veränderlich sind Frauenherzen ...« Prost, mein Junge: darauf trinken wir!


Er stößt mit Paul an.


HANS halb beruhigt. Ja, ja ... Ihr habt ja ganz recht, ganz recht ... Aber eins – bitte – eins müßt ihr mir noch sagen: verkehrt er noch mit ihr?

PETER mit einem Blick auf Paul. Der? Ho! Da kennst du Grobitzsch flach.

PAUL Peters Blick erwidernd. Und das Trautchen wohl auch. Wer weiß, wen die jetzt beglückt!

HANS gedankenlos. »Das Trautchen?« – Und was ... sagt mir das noch: was ist aus ihr geworden?

PETER energisch. Den Teufel auch: woher sollen wir das wissen?

PAUL gleichseitig. Was geht uns das an!

HAROLD gewichtig. Nun reden wir überhaupt mal von was anderm! Ja?! – Mir ist es mit dem Mädchen gegangen, wie dir. Auch ich habe – obgleich ich sie nur ein paarmal mit dir gesehn habe – große Stücke auf sie gehalten. Ich hätte es ihr nie zugetraut. Aber, du lieber Gott, die Sache ist doch nun mal geschehn: sie läßt sich weder wegleugnen, denn die und die haben sie bei Grobitzsch gesehn – noch läßt sie sich beschönigen. – Und nun, zum Donnerwetter: fertig! Schluß!

MORITZ. Bei Gott! Ich denke auch ...

HANS reicht dem rechts hinter ihm stehenden Harold über die Schulter die Hand. Harold setzt sich wieder an seinen Platz.

PAUL. Großartig! – Ich habe eine Idee! Hast du denn überhaupt schon deine glückliche Ankunft nach Hause gemeldet?

HANS nimmt sich zusammen. Nein. – Hast ganz recht,[224] wollen wir gleich machen. Verzeiht mir, daß ich auf die alte Geschichte gekommen bin. Dummheit, aber Grobitzsch ... na ... es ist nicht grade nett vom Schicksal, daß ich zu ihm in die Kompagnie komme Habt ihr eine Postkarte?

MORITZ. Jawohl! Sensation! Mit Ansicht von der Kaserne – allerneuste Errungenschaft. Drewes! Eine Postkarte!

ORDONNANZ am Büfett stehend. Eine Postkarte.


Er nimmt sie aus dem Büfett.


HANS. Drewes?

ORDONNANZ bringt die Postkarte auf einem Teller.

HANS. Sie heißen auch Drewes? Sind Sie wohl verwandt mit meinem alten Burschen, dem Wilhelm?

ORDONNANZ stramm stehend. Jawohl, Herr Leutnant, das war mein Bruder.

HANS. Na, wie so: jetzt nicht mehr?

ORDONNANZ. Er ist tot, Herr Leutnant. –

HANS. Tot ...


Er schüttelt den Kopf.


ORDONNANZ geht nach links ab.

HAROLD. Wußtest du das nicht? – Der arme Kerl ist im Manöver ... Typhus ... Lazarett ... nach vierzehn Tagen war er tot.

HANS. Hm. – Treue Seele. – Weg. Merkwürdig. Der auch... Die ganze Zeit ...

PAUL schiebt ihm die Karte hin. Na, los. Schreib mal! Sonst kommt sie nicht mehr mit.

HANS nimmt die Karte und schreibt.

PETER sieht ihm zu, sehr erstaunt. Was?! »An Fräulein Katharine«?

HANS. Ja, so!


Er lächelt, klopft ans Glas und erhebt sich.


MORITZ. Aha! –


Er winkt der Ordonnanz herauszugehen.


PAUL. Endlich!


Drewes hinten links ab, schließt die Tür.


MORITZ. Der Geist kommt über ihn.[225]

HANS. Meine lieben Kerls! In wißt, ich bin nicht so'n geborner Redner, wie unser guter Moritz ...

MORITZ. Oho!

HANS. Aber, nicht wahr? Manchmal kann man nicht umhin. Es hat in dem verflossenen halben Jahre manchen Tag gegeben, an dem ich nicht glaubte – daß ich nochmal so unter euch stehen würde. Und das nicht bloß während meiner Krankheit – auch noch nachher ... Ein Dolch – wißt ihr? – ein wundervoller, fester, dreikantiger Dolch lag Tag und Nacht ... Er wird lebhaft unterbrochen und stutzt, wie aus entfernten Gedanken zurückgerufen. Wie? Ja, ja – schon gut. Ihr könnt das schwer verstehn, vielleicht ... ich wünsch es bei Gott keinem von euch, solche Zeiten durchzuma chen. – Na aber Gott sei Dank: das ist überwunden... in harten Kämpfen, ehrlich, siegreich überwunden ... für immer!

PETER UND PAUL. Bravo!

HANS. Ich stehe wieder unter euch! Ich gehöre zu euch!

ALLE. Bravo! Bravo!

HANS. Und ihr gehört auch zu mir! Wenn ich daran noch den geringsten Zweifel gehabt hätte, so würd er mir heute genommen sein durch den herzlichen und echt kameradschaftlichen Empfang, den ihr mir bereitet habt. Ich danke euch aus vollem Herzen. – Ich weiß wohl – hab's ja bereits zur Genüge gemerkt, daß mir für die nächste Zeit manches Unangenehme und Bittere bevorsteht. Aber alle Maßregelungen – mag ich sie nun verdient haben oder nicht, können mich nicht mehr wankend machen in der Treue zu meinem Beruf. Ich bin Soldat – wie es mein Vater – wie es mein Großvater war. Ich bin von Herzen glücklich darüber, daß ich im Regiment geblieben bin – in dem Regiment, dem sie beide angehört haben, und ich hoffe, mich ihrer würdig zu zeigen. – Das Regiment! Hurra! Hurra! Hurra![226]

ALLE erheben sich und stoßen mit ihm an, indem sie in das Hurra einstimmen. Sie trinken aus und schütteln ihm die Hand.

MORITZ. Junge, alter Junge! Dabei nennt er mich einen Redner!

PETER klopft ihm auf die Schulter. Bravo, lieber Vetter. Siehst du: so gefällst du mir! Sollst mal sehn, nun geht alles wie geschmiert. Einrangiert ...

PAUL. Einrangiert!

HANS lustig. Ha, Moritz, was?! Ich rede wie der Vogel singt. Harold, liebster Kerl, mach doch nicht so'n brummiges Gesicht! Einschenken, Moritz, einschenken, dalli, dalli, – ich habe noch was auf dem Herzen!

PETER. Noch nicht zu Ende?

MORITZ gleichzeitig. Oho – noch 'ne Rede?

HANS. Ne, ne – nur... nur 'ne vertrauliche Mitteilung. »Geheim!«

PETER. Hört, hört!

HANS. Ich war schon vorhin nahe dran, es euch zu sagen. Nur der Anblick eines älteren Kameraden hat mich daran gehindert. Aber jetzt – Er sieht nach der linken Tafel hinüber. – wo die Luft rein ist ... wo wir unter uns sind ... Also – haltet euch fest! Ich, Hans Rudorff, habe mich vor acht Tagen – in Köln am Rhein verlobt – verlobt – und ich – bitte Sie, meine Herrn, ihre Gläser zu ergreifen – und mit mir anzustoßen auf das Wohl meiner Braut: Fräulein Käthe Schmitz – sie lebe hoch! hoch! hoch!

ALLE stimmen ein, trinken aus und schütteln ihm die Hand. Donnerwetter! Gratuliere! Herzlichen Glückwunsch! Heil! Heil! Ah, daher das Fräulein Katharina ...

PAUL. Das wußt ich! – Pardon!

HANS. Wieso?

PETER schnell. Dacht ich's doch! – Die Tochter vom Kommerzienrat? Was?

HANS. Dieselbe! Wenn ihr nichts dagegen habt!

PAUL zu Peter. Du, Peter: wir und was dagegen haben –[227]

PETER unterbricht ihn. Still! – Donnerwetter!

MORITZ gleichzeitig. Unglaublicher Mensch! So'n Glück!

PETER schreit. Sekt! Sekt! – Ordonnanz! Sekt, Ordonnanz!!

DIE ORDONNANZ stürzt herein. Carte Blanche?

PETER. Was?! Pommery!!

PAUL. Zwei Flaschen!

HANS gibt ein Zeichen zum Schweigen. Das heißt, meine Herrn, nicht wahr? Die Sache ist heute noch geheim – wir sind ja unter uns. Aber! Morgen Vormittag bereits werde ich den Herrn Regimentskommandeur um die Erlaubnis bitten, meine Verlobung veröffentlichen zu dürfen, und am Rosenmontag werdet ihr alle das Vergnügen und die Ehre haben, meine Braut auf dem Kasinoball persönlich kennen zu lernen.

PETER. Hurra! Am Rosenmontag ...

ALLE in großem Tumult durcheinander. Der Rosenmontag ... Rosenmontag, es lebe der Rosenmontag!


Allgemeines Anstoßen. Man hört von draußen Trommeln und Pfeifen – einen Marsch. Zwei Trommeln und zwei Pfeifen.


PETER eilt am Fenster. Na nu, was ist denn das?

HANS. Ach, mal auf da – die Fenster auf!


Er geht auch ans Fenster.


ALLE begeben sich an die Fenster.

PETER öffnet das Fenster weit. Man sieht draußen eine Kompagnie im Begriff abzumarschieren.

KOMMANDOSTIMME des führenden Hauptmanns laut, scharf. Tritt gefaßt!!

HANS verbeugt sich zum Fenster hinaus.

HAROLD legt Hans gewichtig beide Hände auf die Schultern. Stark. Hast du verstanden, Hans? » Tritt gefaßt!«

HANS. Ich hab es verstanden, Harold – ich hab es verstanden.


Er umarmt ihn.


Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3, Berlin 1913, S. 222-228.
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