Siebente Szene

[244] MORITZ geht zu dem Bilde und betrachtet es. Er drückt seine Zustimmung aus. Schwer vergoldet. – Er geht zum Klavier, öffnet es, wischt die Tasten ab und spielt ein paar Passagen. Dann spielt und singt er.

»Stell auf den Tisch die duftenden Reseden,

Die letzten roten Astern trag herbei

Und laß uns wieder von der Liebe reden,

Wie einst im Mai ...«

PETER UND PAUL VON RAMBERG sind nach »von der Liebe reden« eingetreten und singen den Schluß: »wie einst im Mai« mit.

MORITZ abbrechend. Gott, nun stört ihr mich schon wieder! Ihr konntet nun auch 'ne Viertelstunde später kommen ... Ich bin heute grade wunderbar bei Stimme.

PETER. Na schön. Denn sing uns mal: »Nach Frankreich zogen zwei Grenadier« – dideldum ...

PAUL. »Die waren in Rußland gefangen.« Bum, bum ...

MORITZ. Ach! Ihr Barbaren. – Ihr habt ja keine blasse Ahnung. Was ist das Leben ohne ...

PAUL. Gänseleberpastete!

MORITZ. Materialisten! Gar keinen Schwung habt ihr, gar keinen Sinn für das, was einen so über das elende Kommißdasein hinweghebt. Hans und ich sind noch die einzigen ...

PETER UND PAUL lachen.

PETER. Alter Salontiroler! – Ihr müßt mal zusammen was dichten, verstehste. – Jawoll: so 'n trauriges Singspiel! Er macht det Jefühl – und du[244] die Musike. – Wenn das nich zieht, zieht jarnischt mehr.

HAROLD eintretend. Guten Abend. – Ist Hans noch nicht zurück?

MORITZ. Nein, er ist eben erst gegangen.

PETER. Na? Wie gefällt er euch – der neue Schwiegervater?


Sie setzen sich.


HAROLD. Ganz gut. Solid. Nicht zu protzig.

MORITZ. Fideler alter Herr. Ich glaube sagen zu dürfen: eine nette, eine wertvolle Akquisition fürs Regiment! – Nun und die Braut – kennt ihr natürlich? Wie? Ich habe gehört, sie soll eine außerordentlich musikalische Dame sein.

PAUL. Man ißt sehr gut bei ihm.

PETER. Ich kann dir sagen: die tadellosesten Diners. – Natürlich kennen wir Fräulein Käthe. Reizender Balg – mir etwas zu oberflächlich. Ach, sie war ja schon als Kind der Liebling unserer Großmama.

PAUL. Tadellos erzogen! Ich nähme sie sofort. Aber ach! Schon als süßer kleiner Backfisch war sie ja so verliebt in Hans ...

PETER. Und weiß sich tadellos anzuziehn.

MORITZ. Ich finde, das ist kein Grund, daß wir hier dursten müssen.

PAUL springt auf und geht zum Schreibtisch. Aber Kinder, was wollt ihr denn. Hier ist ja die schwere Menge. – Gestatten die Herren, daß ich sie bediene ... Er nimmt vier Flaschen und stellt sie auf den Sofatisch. Er schenkt ein. Ich weiß nicht, findet ihr das nun stilvoll von Hans, daß er einen bei so 'ner Gelegenheit mit Lagerbier traktiert? Aber das soll so dem Schwiegervater gegenüber nach was aussehen – als ob er Wunder wie solide wäre ... Prosit, die Herren!

PETER. Ja, wenn man sich das so überlegt ... was doch manch einer zeit seines Lebens für 'n unverdientes Glück hat. Er kann's anstellen, wie er will. Der Hans ist ein echtes Sonntagskind![245]

HAROLD. Na ...

PETER. Erlaube mal! Er hatte sich doch – unter uns gesagt – schon böse hineingeritten. Keinen Pfennig Geld mehr, Schulden bis über die Ohren ... Und jetzt?

PAUL. Na prost, Brüderchen: Er stößt mit Peter an. Wir sollen leben! Wir haben es ehrlich verdient.

PETER stößt an und trinkt. Lachend. Bei Gott! Ja! Wenn ich bedenke, was wir doch eigentlich für gute Kerle sind ... Wir haben's wirklich ehrlich verdient.

HAROLD. Verdient? Was habt ihr verdient?

PETER. Ach ja! Weißt du: es war nämlich immer schon der Lieblingswunsch unserer Großmutter, daß gerade die Beiden mal ein Paar würden, der Hans und die Käthe Schmitz.

HAROLD. Donnerwetter! Eure Großmutter – alle Achtung. Die scheint bei euch so die stellvertretende Vorsehung zu spielen.

PETER zu Harold. Bitte, lieber Harold, keine Ironie! Die alte Frau Generalin ist tatsächlich eine ganz hervorragende Dame! Die weiß, was sie will!

PAUL. Jawohl. Und das kann nicht jeder von sich sagen. Es gibt eben Menschen, die immer erst mit der Nase drauf gestoßen werden müssen.

MORITZ. Die arme Nase.

PETER. Ja, ja ... Ihr kennt ihn eben nicht. Hans ist ohne Eltern aufgewachsen. Das darf man nicht vergessen! Wir kennen ihn schließlich doch am besten. Von klein auf.

PAUL. Und wie! Für ihn wär's auch viel besser gewesen, wenn sie ihn in die Kadettenanstalt gegeben hätten.

PETER. Nicht jeder ist seines Glückes Schmied.

MORITZ. Man glaubt zu schmieden und man wird geschmiedet.

HAROLD ernst und unwillig. Na, was denn! Das sind ja sehr schöne, weise Worte, aber ich versteh das nicht. Was soll denn das alles heißen? Ich kenne doch auch[246] meinen Hans – und wer weiß: vielleicht versteh ich ihn besser, als ihr alle zusammen.

PAUL. Oho!

PETER. Na nu, man nicht so hitzig! – Sieh mal, lieber Harold, die Sache ist doch ganz klar. Hans ist nun mal von Natur so 'n bißchen Schwärmer, so 'n bißchen Phantast ... er war es wenigstens ... immer.

PAUL patzig. Nu ja! Wenn er zum Beispiel jetzt das Mädel da, die Traute, noch am Bein hätte – so war er heute nicht der Schwiegersohn des Kommerzienrats »August Schmitz und Kompagnie«.

HAROLD. Selbstverständlich. Daran zweifelt kein Mensch. Aber bitte: was hat das mit eurer Großmutter zu tun? Ich versteh den ganzen Zusammenhang nicht. He? Ich will euch mal was sagen! Mir paßt die ganze Art und Weise, wie ihr von Hans sprecht, schon lange nicht! Ich habe bei Gott während meiner ganzen Dienstzeit keinen Menschen kennen gelernt, der so fein, so vornehm, so nobel denkt und – fühlt, wie Hans!

MORITZ. Bravo!

PETER gleichzeitig. Daran zweifelt ja auch kein Mensch.

HAROLD ohne sich unterbrechen zu lassen, laut. Er hat Unglück gehabt. Nu ja! Er ist in seiner Liebe – in seinem Vertraun von dem Mädel schmählich getäuscht worden. – Das hat ihm eben weh getan – verdammt weh – ich weiß das wie kein andrer. Es war eben eine Kanaille. Und es ist ja auch vielleicht ganz gut, daß es so gekommen ist – aber Himmelkreuzmillionenelement! Was hat das mit euch und eurer Großmutter zu tun?!

PETER. Na bitte, nu mal vor allen Dingen nicht so grob.

PAUL gleichzeitig. Das hat allerdings sehr viel mit uns zu tun!

HAROLD. Bitte! Wieso?!

PAUL. Weil wir doch ...[247]

PETER gleichzeitig. Ach, lassen wir doch die Sache ruhn ...

HAROLD energisch. Nein, nein!

PAUL. Weshalb denn auch? Jetzt, wo alles glücklich abgelaufen ist, können wir's doch ruhig sagen: er verdankt es doch bloß uns, daß es so gekommen ist.

HAROLD. Euch! Ja, bitte, wollt ihr mir das nun nicht endlich erklären?

PAUL. Nichts einfacher ...

PETER fällt ihm ins Wort. Paul! Laß lieber!

PAUL. Nein, nein, laß mich jetzt. – Nichts einfacher als das. Wie Hans damals nach Erfurt ging – nicht wahr – da hatte das Verhältnis mit der Traute doch derartige Dimensionen angenommen, daß wir beide ganz klar vor Augen sahn: wenn das so weiter ging – dann ging es schief! Und wir sagten uns: im Interesse der Familie und im Interesse seiner Karriere: hier muß etwas geschehn – wir müssen ihn von dem Mädel loseisen.

MORITZ. Aha!

HAROLD. Ihr – müßt ...?

PETER. Wir! Jawohl! Als Vettern und Kameraden! Wir mußten ihn loseisen!

PAUL. Na ja! Und wir wußten ganz genau: solange die Traute ihm treu blieb – solange war nichts zu machen. Es war also gradezu eine Pflicht gegen die Familie ...

HAROLD. Pflicht gegen die Familie.

PAUL. Jawohl! Ihn aus den Banden dieses Geschöpfes zu befreien!

HAROLD. »Banden dieses Geschöpfes«? Die Traute ... Na, aber weiter!

PAUL. Was weiter? Da haben wir eben den ... »Treubruch« – gedeichselt – was denn weiter? Verstehst du denn das nicht?

HAROLD starr. Nein.

MORITZ. Aber ich! Hört, hört!

PAUL. Herrgott! Bist du schwerfällig.[248]

HAROLD. Oder soll das heißen, daß ihr sie – zu dem Zwecke mit – mit Grobitzsch zusammen – geführt habt?

PAUL. Nun ja, natürlich. Lachend. Auf Grobitzsch konnte man sich doch verlassen! Es genügte ja schon sein Renommee. Na? – Uns hatte Hans sie beim Abschied feierlichst anvertraut – einen besseren Freundschaftsdienst konnten wir ihm gar nicht leisten. Heute siehst du's ja!


Pause.


HAROLD ist aufgesprungen und geht aufgeregt durchs Zimmer. Alle Achtung! – – Alle Achtung!! – Das ist ja eine lustige Geschichte ... Ihr seid mir ein paar wackere Kameraden!

PETER. Ja, was willst du denn?

HAROLD. Na – und Grobitzsch? Der machte das mit?

PETER. Grobitzsch –


Er stockt, als er Hans eintreten sieht.


Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3, Berlin 1913, S. 244-249.
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