Dritte Szene

[284] TRAUTE erscheint lautlos. Sie ist in einem grauen, fußfreien Armensünderkleide, mit kurzem, rundem Halsausschnitt und weiten offenen Ärmeln – ganz ohne Schmuck, vermummt, einen Strick um die Taille. – Beim Auftreten trägt sie einen Radmantel, den sie alsbald abwirft. – – Schweigende, innige Umarmung.

HANS. Du bist ja wie ein Kätzchen eingeschlichen.

TRAUTE. Ich zittre auf euren scheußlichen Gängen und bin froh, wenn ich hindurch bin. Dein Bursche war nicht da.

HANS. Dem hab ich heute Urlaub gegeben. Damit er auch was hat vom Karneval. Komm.


Er führt sie zum Tisch.
[284]

TRAUTE. Bist du zufrieden mit ihm? Ach du, aber so nett wie der Wilhelm ist er doch nicht! Unser Wilhelm ... die gute Seele. Wo steckt der denn jetzt?

HANS. Wilhelm ... ja. Also dessen erinnerst du dich noch?

TRAUTE lustig. Aber wie ... ich bitte dich. Wenn er mir immer deine Briefe brachte ... mit so bitterernster Miene ... das war so komisch. Und du – er liebte mich.

HANS. Ach ...

TRAUTE. Ja, ja ... unglücklich. Ich hab ja so gelacht – es war eigentlich unrecht von mir. Weißt du, er hatte mir schon öfter von seinem väterlichen Gut erzählt, das er übernehmen würde, wenn er freikäme ... ich wußte immer nicht, weshalb er soviel davon sprach – schließlich, wie du weg warst, plumpste er damit heraus: ob ich nicht seine Frau werden wolle, ich sei doch zu schade, um ... Sie lacht. Aber du, einen Augenblick hab ich mich vor ihm gefürchtet. Ganz blaurot war der Kopf und dabei die gelben struppigen Haare ... Aber wie er dann so hinausging, ohne überhaupt noch was zu sagen – da tat er mir wieder leid. Er hatte so gute Augen. – Na, nun sitzt er wohl längst auf seinem Bauernhof – oder ist er noch beim Regiment?

HANS. Nein.

TRAUTE. Und hat ein liebes, braves Weib aus seinem Dorfe ...

HANS. – Er ist –


Er stockt.


TRAUTE sieht ihn fragend an.

HANS. Ich weiß nicht. Ich habe nichts mehr von ihm gehört.

TRAUTE. Ha, ha! Mein Hans ist nachträglich eifersüchtig auf den guten Kerl.

HANS. Dummchen! Ich geb ihm ja nur recht. Du warst ja wirklich zu schade.[285]

TRÄNTE leidenschaftlich. Für dich? Nie! – Mein Hans!


Sie küssen sich.


HANS streicht ihr übers Haar. Mein liebes Weib. – – Schau, hier steht Sekt! – Oho! Heut soll's noch mal hoch hergehen! Heut ist alles erlaubt. – Komm! Was sagte der Benno vorhin? Alle Frösche hüpfen und die Erhabenen freuen sich. Komm! Lassen wir sie hüpfen! Und freuen wir uns!


Er gießt ein und reicht ihr das Glas. Sie stoßen an und trinken. Man hört von fern, über den Exerzierplatz her, das Signal »Wecken«.

Er setzt das Glas ab und schrickt zusammen.


TRAUTE. Was hast du?

HANS beherrscht sich und lächelt. O nichts ... nichts ...

TRAUTE. Doch. Du zucktest ja zusammen.


Das Signal wird wiederholt.


HANS. Hörst du?

TRAUTE. Ja – was ist das?

HANS. Kennst du das nicht? Das ist unser Wecksignal ... morgens ... damit fängt bei uns der Tag an ... in der Kaserne. Ha, ha ... Das Signal wird wieder holt. Er singt mit. »Ihr – habt genug – lang genug – lang genug geschlafen!« –

TRAUTE leise. Weißt du, Hans –: die Augen zumachen und nie ... nie wieder erwachen ...

HANS sieht sie an, macht sich los und geht zum Fenster. Das ist irgend so 'n dummer Kerl, der da am Sonntagnachmittag Signale übt ... Nervös. Wirklich: ein dummer Kerl. Traute ist zu ihm getreten, er legt den linken Arm auf ihre Schulter. Sie sehen hinaus. Die Sonne ist im Untergehen. Sei nicht bös, mein Liebling. Aber diese letzten Tage – – frühmorgens, das Signal... es traf mich jedesmal wie ein – wie ein Dolchstoß. Weißt du? Es war[286] immer schon früh, wenn ich von dir kam, Süße ... dann ein paar kurze Stunden schweren Schlaf und dann – dies Signal – wieder der Tag – wieder dies Leben – o ... Verstehst du mich, meine Traute?

TRAUTE den Kopf an seiner Schulter, nickt. Pause.

HANS sanft. Aber komm – es wird dunkel und kalt draußen. Wir wollen das Fenster schließen. – Schaut sinnend hinaus. Harold hat recht. Was war das für ein Tag. Was war das für ein wundervoller, närrisch verfrühter Tag im Jahr – man ahnte – ahnte schon alles – und nun ist er aus. Ha ...! Dummheit!


Er blickt verwirrt um sich.


TRAUTE. Hans ...

HANS reißt sie heftig an sich. Daß ich dich so – festhalten könnte!

TRAUTE. Das kannst du!

HANS. Komm – nun wollen wir Licht machen.

TRAUTE. Ja, Hans ... und wieder tapfer sein und heiter. Was hast du mir versprochen, Hans? Dieser letzte Abend sollte noch mir gehören – wir beide wollten noch einmal glücklich und selig beisammen sein und an keine Traurigkeiten denken – nicht an das, was – morgen sein wird.

HANS. Ja! Und so wollen wir es auch halten. Komm, hilf mir! – Auch die Leuchter stecken wir an – und dort die Lampe ...


Er weist auf die Lampe auf seinem Schreibtisch. Beide machen Licht. Hans schließt das Rouleau des Fensters.


TRAUTE am Schreibtisch. O, was ist das für ein großer Brief! – Mit zwei Siegeln ...

HANS. Laß ihn nur liegen ...

TRAUTE. »Frau Generalin« ... Ah, an deine Großmutter? Was hast du denn an die so viel zu schreiben?

HANS. Ach es ... ist eine Art Abrechnung – Geschäfte. Leg ihn hin!

TRAUTE. So rüstig ist sie noch, daß sie ihre Geschäfte selber führt.

HANS. O ja. – Sie führt ihre Geschäfte.[287]

TRAUTE. Und wie alt, sagtest du?

HANS. Achtundachtzig – aber sie wird uns alle überleben. Obwohl sie nicht mehr hören und kaum noch sehen kann, geschieht doch nichts in der ganzen Familie, was sie nicht gewollt hat. Eine eiserne Frau, sag ich dir! – Alles ist vor ihr gestorben. Der Großvater fiel bei Mars-la-Tour – meine Mutter mußte ihr Leben lassen bei meiner Geburt – und mein Vater fiel im Duell – – aber sie lebt – lebt und herrscht – soweit sie's kann – soweit sie's kann.

TRAUTE am Schreibtisch, entfaltet ein Papier. Was ist denn das? – O!

HANS schnell. Nichts – laß das!

TRAUTE freudig. Ein Gedicht! Ein Gedicht! Hurra! Mein Liebster hat mal wieder ein Gedicht gemacht ...

HANS eilt auf sie zu. Ich bitte dich – gib das her ...

TRAUTE weicht ihm aus. Nein, nein. Sie flieht damit und liest schnell.

»Am Rosenmontag liegen zwei,

Die kalten Hände noch verschlungen ...

HANS entreißt ihr das Papier, knittert es zusammen und steckt es in die Tasche. Laß! Laß den Unsinn!

TRAUTE ist zusammengeschauert und wiederholt leise.

»Am Rosenmontag liegen zwei,

Die kalten Hände noch verschlungen ...


Pause.

Schweigende Umarmung.


HANS streichelt sie tröstend und versucht einen leichten Ton anzuschlagen. Ich bin eben ein Esel. Sag es selber. So dummes Zeug. Er versucht zu lachen. Nenne mich Esel! – Nein? Ach, dann hast du mich gar nicht mehr so lieb wie früher – wie oft hast du mich damals so genannt! – Ha! Weißt du noch, wann du zum erstenmal Esel zu mir gesagt hast? – Aber ich! Ganz genau! Draußen in Paulis Garten war's – noch ganz im Anfang.

Ja, ja! Ich hatte mir ein Herz gefaßt und dir so recht ... recht spießerhaft auseinandergesetzt, daß[288] ich ... na? ... daß ich kein ... Vermögen hätte. Er lacht und seufzt dann laut auf. Ha ... ja, ja ... das waren noch Zeiten ... Er trinkt aus und schenkt ein. Trink!

TRAUTE ihn groß ansehend, still. Hans – was – hast du denn vor?

HANS harmlos tuend. Hm? – Was? Was ich vorhabe? Wieso?

TRAUTE. Was – willst du tun?

HANS. Aber Traute! Du weißt doch ...

TRAUTE. Was?

HANS. Wir haben doch alles miteinander besprochen. – Dies soll unsre letzte Festnacht werden – unser Karneval – und dann morgen früh, wenn der Tag graut ... der Rosenmontag, dann wollen wir stumm auseinandergehen – wie's sein muß – du nach Hause – ich in die Kaserne ...

TRAUTE. Und dann?

HANS. Ohne Abschied – das vergaß ich – ohne Abschied. Wir sagen uns nicht Lebewohl ... Das können wir nicht ... wir trennen uns. Du gehst nach Hause – ich in die Kaserne. Hier! In diese Kaserne ...

TRAUTE. Und dann?

HANS lächelnd. Ha, ha ... dann? Kleine Neugier ... Nun – das Leben geht eben weiter. Seinen Lauf.

TRAUTE. Nein, nein ...

HANS. Doch. Auf das Fest von gestern folgt das Fest von heute. Du weißt doch: großer Fastnachtsball des Regiments. Meine Braut kommt mit ihren Eltern. Traute zuckt heftig zusammen. Die Herrn Leutnants spielen den Handschuh von Schiller als Bühnenweihfestspiel. Herr von Grobitzsch spielt das Tigertier, meine beiden Vettern die Leoparden ... das wird sehr lustig werden ... Ha, ha, ha ...

TRAUTE. Hans, und das willst du, das kannst du ... Da wirst du so ... dazwischen sein?

HANS. Muß ich nicht?[289]

TRAUTE schüttelt den Kopf. Das kann ich mir nicht denken ... Wie kann das nur sein?

HANS laut. Ä ... sorge dich nicht um morgen ... ich tu's auch nicht. Trink. Sie stoßen an. Die Tage, die wir zusammen verlebt haben – diese seligen, letzten Tage – und Nächte – nicht wahr, meine Traute: die raubt uns niemand – niemand mehr!

TRAUTE umarmt ihn. Leidenschaftlich. Nein! – Niemand mehr ... Sie trinkt und sieht ihn an. Eindringlich, leise. Nicht wahr! Nicht wahr, Hans: das – das würdest du doch nicht – ohne mich tun?

HANS sieht sie erschrocken an und weicht dann ihrem Blicke aus. Befangen. Das? ... Ich weiß nicht, was du ... ich verstehe dich nicht.

TRAUTE. O ja! Hans! Leidenschaftlich. Nicht ohne mich! Hörst du? – Wenn du mir heute ... zu jeder Stunde ... wenn du mir jetzt tagtest: komm – ich folgte dir. Es wäre nur eine dunkle Pforte ... durch die müßten wir hindurch ... und dann ewig, ewig vereint ...? Hans!

HANS sucht sie zu beruhigen. Was denn: was denn, Traute? Torheiten! Einbildungen!

TRAUTE. Nicht wahr: du gehst nicht allein? Das wäre Sünde von dir, Hans.

HANS zieht sie an sich. Aber wer spricht denn da von? Wer denkt denn daran! – – Mein armes Kind! – – Beruhige dich doch! Mein armes Kind –


Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3, Berlin 1913, S. 284-290.
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