Zweite Szene

[297] MORITZ. Zum Umziehen ist immer noch Zeit – trinken wir in Ruhe unsere Reste aus ... Man setzt sich zusammen. Ach ja! Benno hat das bessere Teil erwählt.

PAUL. Moritz, brülle mal!

MORITZ. Werde mich hüten! Damit ich heute Abend heiser bin.

GLAHN nach den Fenstern blickend. Es macht mir, bei Gott, den Eindruck, als ob der Rosenmontag, der Schwerenöter, bereits zu dämmern begönne, he?

FRITZ VON DER LEYEN kommt von rechts herein. Er ist auf dem Ball gewesen und man merkt ihm seine animierte Stimmung deutlich an. Er trägt Zivil, Domino und alle möglichen Abzeichen. Unmotiviert lachend, bleibt er in der Tür stramm stehn. Morjen! Er lacht. Komm ich hier recht in die Instruktionsstunde?

PETER freundschaftlich grob. Junge, was willst du denn hier noch? Du tatst auch besser, im Bettchen zu liegen, so 'n junger Dachs wie du sollte überhaupt noch nichts vom Karneval wissen.

FRITZ. Ho, ho! Grade! Pardon!


Er lacht.


PAUL. Wo kommst du denn her?

FRITZ grinsend. Wo ich herkomme? Ha! Aus dem Römischen Kaiser komm ich her! Jawohl. – Es war sehr feudal im Römischen Kaiser, sehr feudal. Die beste Gesellschaft. Habe euch auch was Feines zu erzählen. Habt ihr noch was zu trinken? Pardon!

PETER. Ne. Du hast auch genug, mein Sohn ...

PAUL. Gieß dir 'n Eimer Wasser übern Kopf.

FRITZ. Hihi! Ratet mal, wen ich gesehen habe im Römischen Kaiser? Könnt ihr doch nie raten! Rudorff[297] hab ich gesehen! Jawohl! Euren Heben Vetter Hans! Na, du kennst ja meine Auffassung. Er tanzte wie ein Amalekiter!

MORITZ. Erlauben Sie mal, Verehrtester, Benno und ich waren auch im Römischen Kaiser, haben aber Rudorff nicht gesehen.

FRITZ. Ist er wohl später gekommen – er war verdammt fidel! Ich meinerseits fand das höchst ... ä ...

PETER ärgerlich. So. Mein Lieber, hältst du es für nötig oder geboten, uns das zu erzählen? Es ist freilich wenig taktvoll von Hans, wo heute seine Braut kommt, die Nacht so durchzutoben, aber schließlich, es ist Karneval ... Maskenfreiheit ...

FRITZ. Nix Maske, lieber Ramberg ... garnix Maske. Weder er noch sie. Denn er hat immer nur mit der einen getanzt, der einen ... ihr wißt doch ... der von früher ...

PAUL. Was?! Mit ... Wie sah sie aus?

FRITZ grinsend. Sehr gut! Alles was recht ist! Feudal! Zum Anbeißen, wie man so sagt.

PETER. Fritz! Mensch! Doch nicht die ...

FRITZ. Ja, ja, natürlich. Ach, ihr wißt ja ganz genau! Ich habe bloß den Namen vergessen.

PAUL. Die Traute? –

FRITZ lächelnd. Die Traute, nu ja, natürlich. Ihr kennt ja meine Anschauung, wie gesagt ...

PETER UND PAUL sehen sich entsetzt an.


Pause.


MORITZ unterdrückt. Donnerwetter!

PETER UND PAUL wenden sich angstvoll, wie hilfesuchend an von Grobitzsch, der dem Vorigen aufmerksam, scharf beobachtend gefolgt ist. Grobitzsch!

PETER. Um Gottes willen, lieber Grobitzsch ...

PAUL. Was ist da zu machen?

VON GROBITZSCH richtet sich zu seiner vollen Größe auf und mustert die Beiden verächtlich von oben bis unten: Wie? – Was? Was beliebt den Herren?[298]

PETER. Aber, lieber Grobitzsch, ich ...

VON GROBITZSCH. Herr von Ramberg, ich ersuche Sie, sich mir gegenüber eines möglichst kühlen Tones zu befleißigen. Ich werde desgleichen tun. Die Rambergs sehen ihn erstaunt und erschrocken an. Ja, ja, meine Herren! Einmal und nicht wieder. Einmal hab ich allerdings die ... Ehre gehabt, mit den Herren unversehens in eine Art ... in eine Art Bündnis geraten zu sein. Es wird mir Zeit meines Lebens eine peinliche, eine sehr peinliche Erinnerung bleiben. Denn: um Ihnen das denn doch einmal zu sagen – auch hier vor den andern Herrn – Sie waren es, Sie ganz allein, die damals die famose Geschichte eingefädelt haben, und ich – ich war dabei ebenso der Eingefädelte wie der gute arme Hans. Jawohl! Ich, Ferdinand Grobitzsch, habe mich von diesen Herren düpieren, benutzen lassen: das werde ich mir nie verzeihen. Und das ist mir Ochsen erst klar geworden, als das betreffende Schätzchen am frühen Morgen mein Zimmer verließ und mich dabei anguckte. – Wie ich lebe und wie ich es mit den Weibern halte, geht keinen was an, ist meine Sache. Ich fasse das Leben, so wie ich bin – ohne viel Skrupel, mit gutem Appetit und gesunden Kinnladen – und mich haben Sie dazu ausersehen, Ihnen dienlich zu sein bei einem raffinierten Streich zur höheren Ehre der Moral und der guten Familie! Pfui Deuwel! Nein, meine Herren: es trennt uns doch wohl eine ganz gefährliche Kluft. –

Und wenn Ihr Herr Vetter jetzt ein toter Mann ist, und das wußte ich bereits – bevor dieser ... Jüngling uns seine wichtige Meldung machte. Ich selber hatte die unangenehme Pflicht, dem Herrn Oberst davon Meldung zu machen, daß er sein Ehrenwort gebrochen und seine intimen Beziehungen zu jenem Mädchen wieder aufgenommen hatte – – Wenn Ihr Herr Vetter jetzt als Offizier ein toter Mann ist, so hat er das Ihnen zu verdanken und nicht mir![299]

So! Das wollt ich konstatiert haben, – Im übrigen seh ich keine Ursache, den Fall gar so tragisch zu nehmen – mein Gott, es brauchen doch nicht alle Menschen Offiziere zu sein – es muß auch Versicherungsagenten geben.

Guten Morgen, meine Herrn!


Er geht rechts ab.


PETER UND PAUL haben sich, niedergeschmettert, einer nach dem andern gesetzt.

BENNO ist während der Rede von Grobitzsch aufgewacht. Schlaftrunken. Kolossal!

MORITZ ingrimmig zu Fritz, der mit einem blöden Lächeln dasteht. Na, Sie ... »Jüngling« ... adieu!


Die Rambergs und Glahn werfen ihm verächtliche Blicke zu.


FRITZ geht sehr betreten ab. Sein Gruß wird nicht erwidert.


Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3, Berlin 1913, S. 297-300.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon