Lass gut sein, Mutter!

[65] Ein spärlich Feuer glimmt noch auf dem Herde,

Es ist der einzge schwache Schein – ein Licht

wär viel zu theuer. In dem engen Raum,

dess Decke du mit deinen Händen greifst,

ist übelriechende, verdorbne Luft.

Man hat die Fenster nicht geöffnet, denn

die Wärme muss man halten, ach, die theure Wärme!


Dort an der Wand, dem Herde gegenüber,

da steht ein schmutzges Bett, und hässlich Stöhnen

kommt von dort her aus einer kranken Brust.

Am blinden Fenster, das im Winde klappert,

der draussen durch des Dorfes Gassen fährt,

sitzt eine Frau und strickt. Sie hört das Stöhnen[66]

des Kranken nicht und sieht die Spiele nicht

der Kinder, die zu ihren Füssen kauern –

sie sitzt und strickt, das Haupt nach vorn geneigt ...


Da plötzlich dröhnt es auf dem rohen Pflaster:

herangerollt in vornehm schnellem Trab

kommt ein Coupé. Die gnädge Frau steigt aus,

der Diener reisst die Thür der Hütte auf,

so dass ein scharfer Luftzug bis ans Bett

des Kranken fährt, und von der Schwelle tritt

ein schönes, junges Weib, die Frau vom Schloss.


Mit leisen Schritten kommt sie näher, winkt

der Frau, die sich erhob, und flüsternd fragt sie:

Wie geht es ihm? – Sie weist zum Bett nach hinten.

Ihr offnes, freudenreiches Antlitz glänzt,

verklärt vom Gotteshauche reinen Mitleids.


Ach, gnädge Frau, das ist nu schon so lang!

Statt dass er für die Kleinen und für mich

arbeitet, muss er selbst erhalten werden,

und besser werden kann er doch nicht wieder,

und wenn er nu man nicht so lange machte ...

Ein rauhes Wimmern unterbricht das Weib,

der Kranke hat sich selbst emporgerichtet:

Lass gut sein, Mutter ... und die eine Hand[67]

streckt er, wie um Erbarmen flehend aus.

Noch einmal ruft er mit gebrochenem Hauch:

Lass gut sein, Mutter ... und dann sinkt er hin –

und in das Haus der Armen trat der Tod.

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Meine Verse. Berlin 1905, S. 65-68.
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