Elfte Szene

[34] WENDELBORN tritt aus der rechten Haupttür vorn herein. Guten Morgen, Tobby ...

BUNTSCHUH in den Lehnstuhl gehockt. Philippchen ... ich werde die höchste Macht noch gewinnen ... ich werde alle Kräfte des Weltalls beherrschen ... was nutzt denn der ganze idealistische Dunst ... was nutzt denn all dieses Glauben und Lieben und Meinen ... ich glaube gar nichts ... was nutzen denn eure Theaterstücke ... was nutzen denn all die steinernen Figuren ... möcht ich nur wissen ... was nutzen denn all die poetischen Redensarten im Leben ... nein ... schweige nur still ... und sage gar nichts ... was nutzen all diese Gaukelspiele ... sie können einem nicht den geringsten Zahnschmerz vertreiben ... ich bin jetzt so fröhlich ... Gewichtig. der Scharfsinn macht Reichtum ... und Reichtum macht fröhlich ... nur mit Reichtum hat man göttliche Macht ... reich ist Gott ... reich ist der Teufel ...

WENDELBORN betrachtet ihn pfiffig gütig. Ich freue mich, wenn du fröhlich bist, Tobby ... wenn ich auch die Einseitigkeit deiner Auffassung in diesem Augenblick nicht völlig teile ...[34]

BUNTSCHUH ganz prahlerisch. Ja ... ich werde bald alle Kräfte des Weltalls beherrschen ... es dauert gar nicht mehr lange ... da werde ich auch die große Sonne zu meinem Mahlochsen gekürt haben ... und damit die irdischen Goldmühlen drehen ... ich bin schon heute der kühnste Beherrscher ... hahahaha ... ein ganz anderer noch als der König Salomo ... ein ganz anderer noch als der berühmte Gold- und Weihrauchkönig ...


In sich hineinlächelnd.


WENDELBORN betrachtet ihn immer kindlicher und liebevoller. Ich freue mich, wenn du fröhlich bist, Tobby ... und wenn dir wieder Großes gelungen ist ... du redest ja heute richtig, als wenn du auf einem Kriegsrosse mit goldener Schabracke säßest ... und nur so als Triumphator verächtlich bei mir vorbeitänzeln wolltest ... du weißt, daß ich dein sieghaftes Genie liebe ... das ist doch viel schöner, als wenn du dir manchmal wie eine Laus vorkommst ... dich jämmerlich zerfrißt ... und dann wie eine traurige Mißgeburt heulst ...

BUNTSCHUH scharf. Schweig ... du sollst mich an Häßliches jetzt nicht erinnern ...

WENDELBORN sehr gütig. Tobby ... ich begreife es ja völlig, daß es dir nach solcher erfolgreichen Arbeit nach Tagen und Wochen wieder einmal die letzte Seligkeit vorgaukelt ...

BUNTSCHUH lächelnd. Ich werde mit meinen Erfindungen ganz gewiß noch die letzte Seligkeit mir gewinnen ...

WENDELBORN. Ich weiß ja, Tobby ... das ist ja hundertmal dein Glaube ... und zum schönen und zum großen Tun muß man den letzten Glauben haben ...[35] sonst kann nichts gelingen ... vielleicht erfindest du es so weit, daß man deine Sonnenstrahlen auch noch persönlich essen kann, um damit zum Beispiel das schönste Kunstwerk hervorzubringen ... oder daß man dadurch eine göttliche Stimme bekommt, wie Caruso ... oder daß man dadurch ein Auge bekommt mit göttlicher Sehschärfe bis zum fernsten Fixstern ...

BUNTSCHUH blinzelnd giftig. Rede nur weiter ... was du noch sagen willst ...

WENDELBORN gütig. Du, ich bin harmlos ... was will ich noch sagen ...

BUNTSCHUH. Ich weiß es ...

WENDELBORN. Da sag's doch ...

BUNTSCHUH. Vielleicht kannst du es noch so weit bringen, daß du wieder aufrecht gehst wie Apollon ... und keinen Krummbuckel mehr hast wie dieser Buntschuh ...

WENDELBORN. Tobby ... jeder Mensch besteht mindestens aus Zweien ... aus einem Superklugen und aus einem Weisen im Innern – ... aber du Dämon bist doch extra gemischt ... du hast doch wenigstens drei Götter und neun Teufel in dir ... und das hämische Zeug, das du eben redest, redet doch nicht etwa der hellerlichte Strahlenmensch in dir ...


Buntschuh schweigt.


WENDELBORN. Weißt du, Tobby ... du solltest dich an deinem Schicksal nicht versündigen ... du hast solch eine geistige Gewalt mit auf deinen Lebensweg bekommen, daß du wirklich damit zufrieden sein solltest ... Lustig. dein geliebter Höcker und dein eingedrückter Brustkasten gehört ja doch offenbar zu[36] deinem exorbitanten Tiefblick und Spürsinn in die Geheimnisse dieser Welt aus Dreck und Feuer völlig mit hinzu ...

BUNTSCHUH heftig. Schweig, du beleidigst mich ...

WENDELBORN. Junge ... dem Unvermeidlichen kann auf dieser Erde niemand entgehen ... das greift unbarmherzig noch in jedes Leben ...

BUNTSCHUH. Ich werde es euch schon klarmachen noch, daß ich auf Erden der schönste Mann bin ...

WENDELBORN. Tobby ... Vernunft ... du willst wieder einmal einen beliebigen Streit vom Zaune brechen ...

BUNTSCHUH hat plötzlich aus seinem Schlafrock einen ziemlich großen Silberspiegel genommen und beginnt mit seinem Spiegelbild heimlich ein Spiel zu treiben. Sein Lachen wird krampfhaft. Hahahahahahahaha ... göttlicher Buntschuh ... göttlicher Buckelhans ... hahahahahahahaha ... du kannst dir doch mit deinem Scharfsinn die köstlichsten Paradiesfrüchte aus Golde erhandeln ... warum solltest du dir denn nicht mit deinem Scharfsinn das herrlichste Menschenglück hier auf Erden erhandeln ... hahahahahahahaha ... Tobiaschen ... du bist doch ein Erfindergenie ...

WENDELBORN. Wer dich nicht kennte, müßte in einem solchen Momente ein bissel vor dir erschrecken ... jedenfalls müßte er denken, du redest im Wahnsinn ...

BUNTSCHUH. Ich weiß schon ... ich weiß schon ... das ärgert dich furchtbar, wenn ich mich göttlicher Kräfte rühme ...

WENDELBORN. Glaube, daß es mich ärgert ... den Spaß sollst du haben ... ich weiß ja doch, wie unsinnig in dir die Gegensätze beieinander wohnen ... und wie[37] gerade du um so jämmerlicher aus allen Himmeln herabfällst, je mehr du dir wieder einmal den Wahn deiner Macht vergrößert hast ...

BUNTSCHUH. Ich habe die Macht ... ich habe niemals den Wahn einer Macht ...

WENDELBORN. Trotzdem wirst du es nicht aus der Welt schaffen, daß gerade der idealistische Dunst, wie du es nennst, das ganze göttliche Phantasieleben des Menschen, die höchste und wichtigste Macht ist ... wenn es nur die greifbaren Dinge wären ... selbst Berge Belugakaviar ... oder die bunten Langusten auf den Schüsseln ... oder die Goldhaufen in den Goldschränken ... dann wäre die Welt reif für den Schindanger ... denn dann würden nur gierige Leiber sich um diese Greifbarkeiten reißen ... im übrigen brauche ich dir das gar nicht erst zu sagen ... denn ich weiß nicht erst von heut und gestern, aus welchen heimlichen Gründen du heute wieder einmal mit der Lanze in die Arena reitest ...

BUNTSCHUH. Aus welchen heimlichen Gründen reite ich denn mit der Lanze in die Arena ... da sag' es doch offen ...


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 34-38.
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